Kommentar zur kollektiven EuphorieViertelfinal –
na und?
Nach fast 70 Jahren erfolglosem Probieren stehen wir endlich da, wo Wales und Island auch schon standen. Und machen ein Riesentheater. Wir sind wirklich mit wenig zufrieden.
In den EM-Viertelfinal haben wir es also geschafft, nachdem wir 67 Jahre lang höchstens das Achtelfinale erreichten. Mit Riesendusel gegen eine französische Mannschaft, deren Tagesform sie zum Schatten ihrer selbst degradierte. Und nachdem wir auch noch das Glück hatten, im bisherigen Verlauf des Turniers nur ein einziges Mal auf einen wirklich starken Gegner zu treffen, arrivederci e alla prossima.
EM-Viertelfinal: Das erreichte 2012 auch Griechenland, das notabene acht Jahre zuvor Europameister geworden war. 2016 standen Wales und Island im EM-Viertelfinal, und Wales kam sogar eine Runde weiter. 2004 schafften es Griechenland, Tschechien und Dänemark.
An der WM 2018 stand Uruguay im Viertelfinal, vier Jahre zuvor Costa Rica, 2010 Ghana und Paraguay. Erinnert sich noch jemand daran?
Viertelfinal, big deal!
Kollektiver multipler Orgasmus
Wenn deswegen das Land einen kollektiven multiplen Orgasmus erlebt. Wenn wirklich jede und jeder in den sozialen Medien irgendeinen euphorisierten Senf abgeben muss. Wenn an jedem Bierausschank das Wort «historisch» fällt, als wäre ein Tyrann gestürzt worden oder eine Mauer gefallen.
Wenn jene Nationalspiesser das Nati-Leibchen überziehen, die sich zuvor über Doppeladler-Gesten aufregten und über eine nur maulfaul gesungene Nationalhymne. Wenn jene, die Kleiderverkäufern, Versicherungsangestellten oder Lokomotivführern mit Namen à la Seferovic, Shaqiri und Xhaka am liebsten die Einbürgerung verweigern würden – wenn all diese Leute wegen eines ausnahmsweise erreichten Viertelfinals ins Delirium tremens fallen, dann ist das alles vor allem eines: uncool.
Es geht hoch zu und her in Niederbipp
Es ist etwa so, als würde im Schweizer Cup eine unterklassige Mannschaft aus dem Solothurner Hinterland oder dem Bernbiet in einem Once-in-a-Lifetime-Match ein Team aus der Super League bezwingen – und nicht wie erwartet gleich ausscheiden, sondern erst eine Runde später. Kommt manchmal vor.
Natürlich, wenn dann die ganze Bevölkerung von, sagen wir, Niederbipp auf der Dorfstrasse Rambazamba macht und ein paar angetrunkene Lokalpolitiker in eine Vuvuzela tröten, dann mögen wir das denen gönnen.
Aber fänden wir es nicht auch ein wenig lächerlich? Eben.
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