Verdacht auf KriegsverbrechenInternationaler Strafgerichtshof erlässt Haftbefehl gegen Netanyahu
Israels Premier und dessen Ex-Verteidigungsminister Gallant werden verdächtigt, Hunger als Kriegsmittel eingesetzt zu haben. Die israelische Regierung reagiert empört.
![News Bilder des Tages 241026 -- TEL AVIV, Oct. 26, 2024 -- This photo released on Oct. 26, 2024 shows Israeli Prime Minister Benjamin Netanyahu C, L, Israeli Defense Minister Yoav Gallant C, R and other senior military officers gather at the headquarters of the Israel Defense Forces in Tel Aviv, Israel. A number of strong explosions were heard in the Iranian capital Tehran in the early hours of Saturday, state-run IRIB TV reported. Israel confirmed that it had launched precise strikes on military targets in Iran early Saturday morning local time. The Israel Defense Forces said the strikes were in response to months of continuous attacks from Iran. /Handout via Xinhua SpotNewsISRAEL-TEL AVIV-IRAN-STRIKES Israel sxGovernmentxPressxOffice PUBLICATIONxNOTxINxCHN](https://cdn.unitycms.io/images/4CZYj8KgaBm9tLseq73cBj.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=i8NUy_ueeAs)
- Der Internationale Strafgerichtshof erliess Haftbefehle gegen Israels Regierungschef Netanyahu und den ehemaligen Verteidigungsminister Yoav Gallant.
- Netanyahu und Gallant werden Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen.
- Israels Regierung zeigte sich empört über die internationalen Haftbefehle.
- Reisen nach Europa könnten für Netanyahu rechtlich schwieriger werden.
Als Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu zum letzten Mal zu Besuch war in Berlin, da traf er im März 2023 Kanzler Olaf Scholz zu einem Gedankenaustausch. Ein Treffen, das sich womöglich nicht wiederholen wird. Sollte Netanyahu planen, noch einmal nach Berlin zu kommen, dann wäre die Wahrscheinlichkeit hoch, dass er bereits am Flughafen verhaftet wird.
Reisen nicht nur nach Europa werden nun schwieriger für Netanyahu. Seit Donnerstagnachmittag gelten für Israels Regierungschef und den ehemaligen Verteidigungsminister Yoav Gallant Haftbefehle des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Den Haag – die für aktuell 124 Mitgliedsstaaten, unter ihnen auch die Schweiz, rechtlich bindend sind. Israel selbst erkennt den Strafgerichtshof nicht an.
Das Gericht folgte am Donnerstag in vielen Punkten Chefankläger Karim Khan, der die Haftbefehle im Mai beantragt hatte. Ihr genauer Wortlaut bleibt geheim, das Gericht teilte aber mit, Netanyahu und Gallant stünden im Verdacht, das Kriegsverbrechen des Aushungerns als Mittel der Kriegsführung begangen zu haben – ausserdem Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
![FILE - Karim Khan, Prosecutor of the International Criminal Court looks up prior to a press conference in The Hague, Netherlands, Monday, July 3, 2023. (AP Photo/Peter Dejong, File)](https://cdn.unitycms.io/images/8hzH2WpjKYdBc75TqaWV87.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=J0Xz_zsb1b4)
Die Kammer stellte fest, dass es hinreichende Gründe für die Annahme gibt, dass der Mangel an Nahrungsmitteln, Wasser, Elektrizität und Treibstoff sowie an bestimmten medizinischen Hilfsgütern in Gaza Lebensbedingungen schuf, die darauf ausgerichtet waren, einen Teil der Zivilbevölkerung zu vernichten. Dafür sei Israel verantwortlich, das nach dem Terror der Hamas vom 7. Oktober mit 1200 Toten einen Krieg gegen die Hamas und den Gazastreifen begann, dem bis heute nach Angaben der Hamas etwa 43’000 Menschen zum Opfer fielen.
Die EU, die USA und viele andere Staaten hatten Israel seit einem Jahr immer wieder dazu aufgefordert, mehr Hilfe für den Gazastreifen zuzulassen. Die USA hatten vor wenigen Tagen eingeräumt, dass Israel ein 30-Tage-Ultimatum für mehr Hilfsgüter nach Gaza nicht eingehalten habe.
Ob das gesuchte Hamas-Mitglied noch lebt, ist unklar
Chefankläger Khan hatte im Mai auch Haftbefehle gegen drei Hamas-Führer beantragt: den obersten Hamas-Führer in Gaza, Yahia Sinwar, den politischen Führer Ismail Haniya und den Militärchef Mohammed Deif. Wegen Kriegsverbrechen und der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wegen der Tötung von Zivilisten und der Entführung von Geiseln während des Angriffs im Oktober 2023 sowie der Misshandlung von Geiseln und sexualisierter Gewalt gegen sie während ihrer Gefangenschaft in Gaza. Sinwar und Haniya wurden seitdem von Israel getötet, das angibt, auch Deif getroffen zu haben, was das Gericht nicht mit Sicherheit bestätigen konnte, weshalb es für ihn auch einen Haftbefehl ausstellte.
Israels Regierung reagierte empört auf die Haftbefehle gegen Netanyahu und Gallant: «Anständige Länder und jeder anständige Mensch in der Welt muss diese Ungerechtigkeit mit Abscheu zurückweisen», sagte Israels Aussenminister Gideon Saar. Das Gericht habe «sich auf die Seite des Terrors und des Bösen gestellt und nicht auf die Seite der Demokratie und der Freiheit», sagte Staatspräsident Isaac Herzog. Itamar Ben-Gvir, der israelische Minister für nationale Sicherheit, sagte, Israel solle als Reaktion auf die Entscheidung des Gerichts das besetzte Westjordanland annektieren.
Spezielle Situation für Deutschland
Netanyahu kann nun rein rechtlich gesehen kein Land der Europäischen Union mehr bereisen, ohne Gefahr zu laufen, verhaftet zu werden. Es wäre eine Situation, die in Deutschland angesichts des Holocausts kaum vorstellbar ist: Das Land der Täter verhaftet einen israelischen Regierungschef. «Wir halten uns an Recht und Gesetz», hatte ein Regierungssprecher in Berlin im Frühjahr auf die Frage geantwortet, ob Deutschland einen Haftbefehl umsetzen würde. Aussenministerin Annalena Baerbock hatte zudem gesagt, dass Deutschland die Unabhängigkeit der internationalen Gerichte schätze, auch wenn man nicht jede Entscheidung für richtig halte.
Die deutsche Regierung hatte aber gleichzeitig versucht, die Haftbefehle zu verhindern, und einen Brief an das Gericht geschrieben, in dem die Richter gebeten werden, Israel die Zeit zu geben, mögliche Verbrechen selbst aufzuklären. Das Land sei ein Rechtsstaat, das Weltstrafgericht dürfe nur dann einschreiten, wenn Nationalstaaten nicht selbst «willens und in der Lage» seien, Vorwürfe selbst aufzuklären. Ähnlich argumentierten die USA, Tschechien und Ungarn. Die Richter sahen nun aber offenbar keine Anzeichen, dass Israel selbst mögliche Verbrechen aufzuklären gedenke.
Wie Netanyahu sich weiter verhalten wird, ist unklar, wichtige Länder wie die USA und viele arabische Nationen sind dem Gericht in Den Haag nicht beigetreten, dessen Haftbefehle in der Vergangenheit auch von Mitgliedsstaaten ignoriert wurden: Südafrika weigerte sich beispielsweise, den sudanesischen Diktator Umar al-Bashir festzunehmen. Trotzdem beschuldigte Südafrika vor dem Internationalen Gerichtshof Israel des Völkermordes, ein Verfahren, das noch anhängig ist.
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