Janet Yellen in PekingWarum die USA keine Warenschwemme aus China akzeptieren wollen
Der US-Finanzministerin eilt der Ruf voraus, China vergleichsweise wohlgesonnen zu sein. Deswegen kann Janet Yellen die Machthaber in Peking kritisieren, ohne einen Eklat auszulösen.
US-Finanzministerin Janet Yellen – so eine Legende – sammelt gern Briefmarken. Wer ihr also eine Freude machen will, schenkt ihr welche – so wie die indonesischen Gastgeber des G-20-Gipfels vor zwei Jahren auf Bali, die ihr sogar Briefmarken mit Yellens Porträt überreichten.
Doch Obacht: Wie das «Wall Street Journal» kurz darauf berichtete, sammelt Yellen gar keine Briefmarken, sondern Steine und Mineralien. Obwohl die US-Zeitung in China zensiert wird, scheinen sie die Beamten dort aufmerksam zu lesen. Als Yellen vor einigen Monaten in San Francisco ihren Hauptansprechpartner, den chinesischen Vizeregierungschef He Lifeng, traf, schenkte er ihr einen seltenen Stein, den sie nun in ihrem Büro aufbewahrt.
Mahnungen an China
Obwohl das Klima zwischen den Supermächten so feindselig ist wie seit Jahrzehnten nicht mehr, gibt es also noch Platz für freundschaftliche Gesten und persönliche Beziehungen. Diese zu festigen, bevor in den USA der Wahlkampf alles andere dominiert, war Yellens Mission bei ihrem zweiten und vermutlich letzten Besuch als Finanzministerin in China. Die Beziehungen zwischen den USA und China stünden nun «zweifellos auf einer solideren Grundlage» als noch vor einem Jahr, betonte sie am Montag zum Abschluss ihrer immerhin viertägigen Reise.
Und gerade weil Yellen als ein Mitglied der US-Regierung gilt, das China vergleichsweise wohlgesonnen ist, konnte sie dort einige Mahnungen anbringen. Die grossen Sorgen des Westens über Chinas industrielle Überkapazitäten etwa. «Wenn der Weltmarkt von künstlich billigen chinesischen Produkten überschwemmt wird, stellt das die Lebensfähigkeit amerikanischer und anderer ausländischer Unternehmen infrage», sagte Yellen am Montag in Peking. «Wir haben diese Geschichte schon einmal erlebt.»
Im Stahlsektor nämlich, vor über einem Jahrzehnt. Heute versuche China das Gleiche mit Elektroautos, Batterien und Solaranlagen. Doch sie habe klargemacht, dass die US-Regierung eine Wiederholung dieser Geschichte «nicht akzeptieren» werde.
Beschwerde bei der WTO eingereicht
Ein bemerkenswerter Sinneswandel, denn früher sah Yellen die günstigen chinesischen Importe als Möglichkeit an, die Inflation in den USA niedrig zu halten. Noch vor zwei Jahren hatte sie vergeblich dafür plädiert, bestimmte US-Strafzölle auf Produkte aus China abzuschaffen. Jetzt aber vergibt die US-Regierung mit dem Inflation Reduction Act selbst grosszügige Subventionen, um die Produktion grüner Zukunftstechnologien im eigenen Land zu fördern. Dagegen hat China kürzlich bei der Welthandelsorganisation (WTO) Beschwerde eingelegt. Mit seiner Sorge steht Washington aber nicht allein da. Die EU-Kommission bereitet Strafzölle auf chinesische Elektroautos vor.
Doch Yellen zufolge ist eine Eskalation des Handelskonflikts noch abwendbar. Sie empfahl ihren chinesischen Gesprächspartnern etwa, die Sozialversicherungssysteme zu stärken, damit ihre Bevölkerung weniger spart und mehr Geld für den Konsum der in China produzierten Waren ausgibt. Ob solche Vorschläge verfangen, ist fraglich.
Die Regierung in Peking erklärt die niedrigen Preise mit der Grösse des chinesischen Marktes und der höheren Effizienz. Zölle oder andere Handelsbeschränkungen würden den Verbrauchern weltweit klimafreundliche Produkte vorenthalten, was der Erreichung der globalen Klimaziele entgegenstünde. Regierungschef Li Qiang warnte Yellen am Sonntag zudem, Wirtschaft nicht mit Politik zu vermischen.
Die zweite Botschaft der USA an China zielt auf den Ukraine-Krieg. Chinesische Firmen und Banken müssten mit «deutlichen Konsequenzen» rechnen, wenn sie «materielle Unterstützung für Russlands Krieg» bereitstellen. Die USA und die EU haben bereits einige Firmen Chinas auf Sanktionslisten gesetzt, weil sie Russland sogenannte Dual-Use-Güter, die sowohl zivilen als auch militärischen Zwecken dienen können, geliefert haben sollen.
Handel mit Russland
Seitdem der Westen den Handel mit Russland weitgehend eingestellt hat, erreicht der zwischen Russland und China neue Rekorde. Trotzdem sagte eine Sprecherin des chinesischen Aussenministeriums: «Wir haben nie und werden auch in Zukunft keine Vorteile aus der Krise ziehen.» China regle den Export von Dual-Use-Gütern «in Übereinstimmung mit den Gesetzen und Vorschriften».
Yellens Reise vorausgegangen war vergangene Woche ein Telefonat mit US-Präsident Joe Biden, in dem Chinas Machthaber Xi gemäss chinesischer Mitteilung von einer «Stabilisierung» der Beziehungen sprach. Dass Peking nicht stärker auf die Sanktionen und Drohungen der USA reagiert, könnte auch daran liegen, dass es vor den US-Wahlen im November neue Risiken vermeiden möchte. «Die USA haben ein Druckmittel, weil Chinas Wirtschaft immer noch anfällig ist», sagte Christopher Beddor vom Analysehaus Gavekal Dragonomics der Nachrichtenagentur Bloomberg.
Wie viel Gedanken sich China derzeit über seine US-Beziehungen macht, zeigt sich Bloomberg zufolge auch in dem neuen Geschenk an Yellen, das Vizepremier He persönlich ausgesucht haben will: eine grosse Servierplatte, auf der ein chinesischer Künstler Yellens offizielles Porträt nachgebildet hat. Immerhin keine Briefmarke.
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