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Hauptstadt der arabischen Amerikaner
Wo Kamala Harris längst aufgegeben hat

Demonstrierende in Dearborn im Swing-State Michigan kritisieren Kamala Harris für ihre Haltung gegenüber Gaza und Israel. In der Stadt in der Nähe von Detroit hat die Mehrheit der Bevölkerung Wurzeln im Nahen Osten.
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In Kürze:
  • Muslimische Wähler in Michigan könnten bei der Präsidentschaftswahl den Ausschlag geben.
  • Joe Biden hatte den Staat im Mittleren Westen 2020 knapp gewonnen, auch dank der Stimmen der Muslime.
  • Nun wenden sich die Muslime wegen des Nahostkonflikts von Kamala Harris ab.
  • Jill Stein, die Kandidatin der Grünen, erhält grossen Zuspruch als Protestkandidatin.

In jedem anderen Land wäre es ein kurzer Fussmarsch von der Ford-Villa zu den Foodtrucks bei der Canteen at Midtown, exakt 500 Meter entfernt. Nicht so in Dearborn, Michigan. Hier entwickelte Henry Ford das Model T, das erste Automobil für die Massen. Damit machte er die USA zum Autoland und Dearborn, unweit von Detroit, zu dessen Hauptstadt.

Nun durchschneiden Zäune und Strassen den direktesten Weg vom historischen Ford-Anwesen hinüber ins moderne Dearborn, schneller geht es mit dem Auto. In einem Gebäude, das an eine umgebaute Autowerkstatt erinnert, wurde vor kurzem eine «food hall» eröffnet. Solche Sammelrestaurants aus mehreren Imbissbuden waren mal eine Eigenheit von Einkaufszentren, sind aber nun ein Gastronomietrend.

Keine Lust auf Süsses und Schawarma

Unter einem roten Sonnenschirm sitzen an einem Oktoberabend kurz vor den Präsidentschaftswahlen zwei Frauen und ein Mann Anfang 30 beim Abendessen. Der Mann legt sein Fladenbrot-Sandwich auf eine Serviette. «Das musst du versuchen, das beste Schawarma weit und breit», sagt er. Spitze sei auch Kunafa. Er deutet auf ein Schälchen mit palästinensischem Gebäck, Frischkäse, Zuckersirup, Pistazien.

In Dearborn, der Heimatstadt der Ford-Automobile, hat die Mehrheit der Bevölkerung Wurzeln im Nahen Osten.

Das ist das moderne Dearborn. Die einzige Stadt in den USA, in der die Mehrheit der Bevölkerung Wurzeln im Nahen Osten hat. Irak, Jemen, Syrien, Palästina. Vor allem aber: Libanon. Südlibanon. Im Grenzgebiet zu Israel.

Das macht verständlich, warum die Begleiterin des jungen Mannes an diesem Abend keine Lust hat auf die Leckereien. Sie nennt nur ihren Vornamen: Nadya, 32 Jahre alt, palästinensische Amerikanerin. Sie verhüllt ihr Haar nicht, anders als viele Frauen hier. «Wir leben unseren Alltag. Aber es ist ein täglicher Kampf», sagt sie. Weil die Verwandten in Gaza und Libanon um ihr Überleben kämpften. Nadya ist eine von 200’000 muslimischen Stimmberechtigten in Michigan, die mehr als enttäuscht sind über die Nahostpolitik der US-Regierung.

Für viele hier leistet die Hamas legitimen Widerstand

Das könnte Kamala Harris, Vizepräsidentin und Kandidatin der Demokraten für die Präsidentschaft, den Sieg kosten. Im Swing-State Michigan gewann Joe Biden vor vier Jahren gegen Donald Trump mit nur 154’188 Stimmen Vorsprung. Eine davon war von Nadya. Bei den jüngsten Vorwahlen hingegen war sie eine von mehr als 100’000 Personen, die «uncommitted» ankreuzten. Eine leere Stimme, aus Protest.

Seither hat sich einiges getan bei den Demokraten, sie haben die Kandidatin gewechselt. Der Krieg hingegen blieb, von mehr als 40’000 Todesopfern in Gaza ist die Rede, von mehr als 2000 im Libanon. Harris wird darum Nadyas Stimme nicht erhalten. Sie könnte damit Trump zum Sieg verhelfen. Obwohl dieser in seiner ersten Amtszeit Israel freie Hand gelassen und ein Einreiseverbot aus muslimischen Ländern verhängt hatte. Das ignoriert Nadya. «Die Demokraten sind nicht besser», sagt sie. «Sie kommen hierher, wenn sie unsere Stimmen brauchen, sie geniessen unser Essen, unsere Musik. Aber unsere Leben halten sie für unbedeutend.»

Für Nadya ist ein «Genozid», was für Israel ein existenzieller Krieg ist, gegen die Hamas in Gaza und die Hizbollah in Libanon, beide von den USA als terroristische Organisationen eingestuft. Nadya hingegen hält sie für legitime Widerstandsgruppen. Wie viele hier in Dearborn.

Nein zu Harris, Ja zu Hassan Nasrallah und Yahya Sinwar

Harris habe Schuld auf sich geladen, weil sie Israel unterstütze, findet Nadya. So denkt auch Hassan Chami, Chef der Canteen, in der alles Essen «halal» ist und kein Alkohol ausgeschenkt wird. «Ich kann nicht für eine Kandidatin stimmen, die Genozid an meinem Volk unterstützt», sagt Chami, und sein tätowierter Bizeps droht sein T-Shirt zu sprengen. Harris bemüht sich, Verständnis zu zeigen für die Palästinenser. Aber sie betont auch, felsenfest hinter Israel zu stehen.

Hassan Chami vertritt konservative Werte. Bei den Präsidentschaftswahlen will er aber für eine grüne Kandidatin stimmen.

Chami sagt, er wolle Taten sehen von der Demokratin. Er ist gut vernetzt in Dearborn, er führt eine Apotheke und eine Jugendorganisation, er hält in sozialen Medien Videovorträge über Männlichkeit und islamische Spiritualität, zwischen Lobpreisungen für Hizbollah-Chef Hassan Nasrallah und Hamas-Anführer Yahya Sinwar, beide inzwischen tot. Eigentlich steht Chami den Republikanern nahe. Konservative Werte, die Wirtschaft. Aber Trump gibt er seine Stimme nicht: «Er ist mir zu extrem.» Diesmal will Chami für Jill Stein stimmen.

Die Muslime wählen eine jüdische Kandidatin

Die Grüne, dürfte diesmal besonders viel Unterstützung erhalten in Michigan. Ihre Kandidatur kostete Hillary Clinton schon 2016 knapp den Sieg.

Die ideale Protestkandidatin sei Jill Stein, lautet der Konsens beim Sonntagsfrühstück im Islamic Center of America, der grössten Moschee der USA. «Sie ist Jüdin. Damit beweisen wir, dass wir keine Antisemiten sind», sagt ein älterer Herr libanesischer Herkunft. Seine Landsleute zogen nach Dearborn, um in den Fabriken von Ford zu arbeiten. Treu wählten sie jeweils die Demokraten. Diesmal aber ist es anders.

Die Provokation mit einem riesigen Plakat

Walid Harb sitzt in einem Büro der Moschee auf einem riesigen blauen Diwan. Viele wollten gar nicht oder leer stimmen, andere tendierten zu Drittparteien, sagt der pensionierte Arzt, Mitglied im Vorstand. Harris hatte sich um ein Treffen bemüht. «Wir haben abgesagt», sagt Harb. «Wir wollen Taten sehen.»

Walid Harb in der grössten Moschee der USA, dem Islamic Center of America.

Harris scheint Dearborn längst aufgegeben zu haben. Um die Stimmen der Afroamerikaner, bei denen sie etwas schwächelt, bemüht sie sich energisch, bald wird sie mit Michelle Obama in Detroit auftreten. In Dearborn hingegen hat sie sich nie blicken lassen, nirgends sind Schilder mit ihrem Namen zu sehen. Mit wenigen Ausnahmen. Auf einem riesigen Plakat steht, Harris sei «pro Israel». Das ist eine Provokation in der Hauptstadt der arabischen Amerikaner. Finanziert von einer obskuren Wahlkampforganisation Trump-naher Geldgeber. Die Trump-Kampagne hat viel unternommen, um die Muslime gegen Harris aufzubringen.

Mohamad El Hajj Hassan, schiitischer Geistlicher und Kritiker des iranischen Regimes, will Trump wählen.

Bei Mohamad El Hajj Hassan musste Trump keine Überzeugungsarbeit leisten. Der schiitische Geistliche redet von Dearborn aus gegen den Einfluss des Iran auf den Libanon und die Diaspora an. Der Republikaner sei der Einzige, der den Iran hart genug angehe, sagt Hassan, der Einzige, der einen glaubwürdigen Friedensplan habe.

Hassan ist noch keineswegs überzeugt, dass seine Landsleute Trump helfen werden: «Wir Araber sind sehr emotional, wir lassen uns vom Moment treiben.» Die grosse Mehrheit der Muslime in Dearborn unterstütze Irans Stellvertreter-Milizen Hamas und Hizbollah. Und der Iran wolle eine zweite Trump-Präsidentschaft verhindern.

«Gewinnt Trump gegen Harris, ist das nicht unser Problem», sagt Nadya. «Das ist einzig und allein das Problem der Demokraten.»