Springfield, OhioHier wurde Trumps Hundelüge geboren
Katzen gegessen, Gänse gestohlen? Was wahr ist und was falsch, ist seit Donald Trump eine Frage der Ideologie. Ein Besuch in der Stadt, in der es zumindest den Tieren bestens geht.
- Donald Trump behauptet, Migranten würden Hunde und Katzen in Springfield essen.
- Die Stadt im Bundesstaat Ohio wird aufgrund dieser Behauptung international bekannt.
- Springfield symbolisiert die gespaltene politische Lage in den USA.
Im Snyder Park geht eine Gans spazieren. Jetzt kann man natürlich sagen: ist doch nur eine Gans. Aber so einfach ist es nicht. Nicht hier, in Springfield, Ohio. Da ist die Gans jetzt auch ein Politikum. In Springfield sind alle frei lebenden und grundsätzlich essbaren Tiere zum Gegenstand der politischen Auseinandersetzung geworden.
Neben ihrer inzwischen weltberühmten Hunde- und Katzenaffäre hat die Stadt neuerdings auch ein Problem im Bereich der Enten und Gänse. Aus Sicht der Trump-Fans jedenfalls. Die würden natürlich niemals behaupten, dass die Migranten aus Haiti den ganzen Snyder Park leergefuttert haben, das wäre ja absurd. Aber einige von ihnen behaupten sehr wohl, dass man dort früher prima Enten füttern und Gänse beobachten konnte. Und jetzt? «Alle weg.» – «Spurlos verschwunden.»
Unterwegs im Snyder-Stadtpark
Das sagen Leute wie Billie Blanton und Dave Nichols, die hier in Springfield leben und von denen gleich noch die Rede sein wird. Leute also, die problemlos im Snyder-Stadtpark vorbeifahren könnten, um mit eigenen Augen zu sehen: Da geht nicht nur eine Gans auf der Wiese spazieren, da sind überall Gänse. Es schwimmen auch Enten im Wasser, ganz friedlich. Dazu gibt es Kinder auf der Schaukel, bunte Blätter an den Laubbäumen, ein gemischtes Doppel auf dem Tennisplatz. Und Hundebesitzende, die furchtlos ihre Hunde von der Leine lassen. Selbstverständlich will niemand diese Tiere essen.
Andererseits: Was ist noch selbstverständlich in den USA? Mit dem Aufstieg von Donald Trump als Politiker und seiner radikalen «Make America Great Again»-Bewegung haben sich Gewissheiten aller Art aufgelöst. Was wahr ist und was falsch, ist nicht mehr eine Frage der Wahrnehmung, sondern eine Frage der Ideologie. Geht es der amerikanischen Wirtschaft im Jahr 2024 tatsächlich so schlecht wie noch nie? Zieht Trump bei seinen Wahlkampfreden wirklich die grössten Zuschauermassen «in der Geschichte der Politik» an? Wer hat die Wahl 2020 gewonnen? Verspeisen eingewanderte Haitianer die Haustiere ihrer Nachbarn? Die Antwort hängt in allen Fällen davon ab, wen man fragt.
Die Wahrheit lautet jeweils: Nein, nein, Joe Biden, nein.
Springfield als Sinnbild für das gespaltene Amerika
Springfield hat heute zwischen 67’000 und 104’000 Einwohnerinnen und Einwohner. Bei der Annäherung an die exakte Zahl kommt es darauf an, wie viele eingewanderte Haitianerinnen und Haitianer man mitzählt, was hier, gelinde gesagt, nicht immer entlang der Grundregeln der Mathematik geschieht. In manchen Berichten des Rathauses ist von 7000 die Rede, seriöse Schätzungen liegen eher zwischen 12’000 und 15’000, Donald Trumps Vizepräsidentschaftskandidat J. D. Vance spricht auf Wahlkampfveranstaltungen von 20’000, der bereits genannte Dave Nichols glaubt, dass es eher 45’000 sind.
Es war einmal eine beschauliche «Old German Town», 1801 gegründet, noch vor dem Bundesstaat Ohio. Springfield war auch eine Eisenbahnerstadt und ein Strassenverkehrsknotenpunkt, durch den die ersten Highways nach Westen liefen. Es war ein Zentrum der Rosenzuchtindustrie und der Landmaschinenproduktion. Und jetzt ist es das Epizentrum der Lüge.
In einem Präsidentschaftswahlkampf, in dem sich die Anhänger beider Parteien nicht mehr als politische Konkurrenten begegnen, sondern eher als Krieger zweier verfeindeter Stämme, ist Springfield aber auch so etwas wie ein Mikrokosmos der gespaltenen Staaten von Amerika. Der blaue Stamm mit seinen Harris-Walz-Vorgartenschildern dominiert eindeutig den Innenstadtbereich. Der rote Trump-Vance-Stamm kontrolliert dagegen die Randgebiete und die Vorstädte. Bezüglich der Hunde-Katzen-Enten-Gänse-Debatte könnte man auch sagen: Die Wahrheit ist umzingelt.
An der Theke im Bogey’s, einer Sportsbar am südlichen Rand von Springfield, ist wiederum Dave Nichols (67) umzingelt. Und zwar von zwei Frauen. Die eine stellt er als «my girlfriend Billie» vor. Die andere ist seine Ehefrau Carrie. Auf dem Tisch liegt eine Schachtel Zigaretten der Marke Montego zwischen leeren und halb vollen Bierflaschen. Die Stimmung ist heiter bis ausgelassen. Nichols sagt: «Es war alles so schon schön hier, bis die Regierung in Washington 45’000 illegale Migranten hierhergebracht hat.» Billie Blanton (45), die ihr Geld als Leiterin eines mobilen Pflegediensts verdient und natürlich nicht die heimliche Freundin, sondern die Nachbarin ist, ergänzt: «Das Schlimmste ist, dass sie nicht Auto fahren können.»
Nichols, Hulk-Hogan-Schnurrbart und Trump-Käppi in der Camouflage-Version, ist Handwerker von Beruf und Waffenbesitzer aus Überzeugung. «Wer meine Hunde anrührt, wird erschossen», sagt er laut lachend. Blanton, Haare in Dolly-Parton-Blond, Pulli der Cincinnati Bengals, findet das offenbar witzig. Nicht ganz so witzig findet sie, dass die Haitianer von der Regierung auch noch Autos bekommen, obwohl sie nicht fahren können.
Natürlich bekommen die Haitianer von Joe Biden keine Autos geschenkt, aber Nichols glaubt ausserdem zu wissen, dass die Migranten Lebensmittelkarten erhielten, die in den Supermärkten wie Blankochecks funktionieren: «Sie können überall reinlaufen und einfach alles mitnehmen, was sie wollen.» Seine Frau Carrie, die als Putzhilfe arbeitet, hält sich da weitgehend raus, sie ist Kanadierin, «aber legal eingewandert». Wobei, eines will sie noch sagen: Dass die Haitianer wirklich Hunde essen, das glaubt sie nicht so richtig, «nur das mit den Katzen». Und wie gesagt, im Snyder Park gibt es absolut keine Gänse und Enten mehr, nicht eine.
In Springfield geht es wirtschaftlich aufwärts
Nahezu jeder kennt jetzt Springfield in Ohio als Schauplatz von Trumps Lüge der Saison. Welche Kreise das in den zurückliegenden sechs Wochen gezogen hat, ist den Bewohnerinnen und Bewohnern dieser Stadt auch erst nach und nach klar geworden: als plötzlich Kamerateams aus aller Welt hier anrückten. Das arg gebeutelte Springfield aus den Weltnachrichten ist allerdings schwer in Einklang zu bringen mit dem Springfield, auf das man hier trifft, wenn man durchs Stadtzentrum schlendert.
Da ist das alte Rathausgebäude aus dem 19. Jahrhundert mit seiner Turmuhr, nebenan die Stadtbibliothek und die Markthalle. Da ist der Campus der elitären Wittenberg University, der problemlos als Kulisse für jeden College-Kinofilm herhalten könnte. Da sind neue Brauereien in alten Industriehallen, mit Street-Art bemalte Backsteinfassaden, die herrschaftlichen Villen der East Main Street, auch «Millionaires’ Row» genannt, und das spektakuläre Westcott House des Architekten Frank Lloyd Wright.
Springfield gehört zu den Städten des Rust Belt, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen dramatischen Niedergang erlebten. Seit geraumer Zeit geht es hier aber wieder aufwärts. Selbst in der nicht ganz so noblen Südstadt ist die Bausubstanz erstaunlich ansprechend.
Im Rose Goute Creole, dem führenden haitianischen Restaurant der Stadt, hängen Gestecke aus roten Papierrosen an der Wand, stehen vor allem Pouletgerichte, Fisch und frittierte Kochbananen auf der Speisekarte, und die Bedienung kann nicht mehr mitzählen, wie oft hier Leute anrufen, die fragen, ob es auch Hunde und Katzen gibt – und dann wieder auflegen.
Von den rund ein Dutzend Haitianern, die an diesem späten Nachmittag vor ihren dampfenden Teller sitzen, haben einige bereits einen langen Arbeitstag hinter sich, im Metallfachbetrieb McGregor zum Beispiel oder auch als Packer bei Amazon.
Reaktionen auf Hunde- und Katzenaffäre
Als Jacob Payen vor gut sechs Wochen das mit den Hunden und Katzen hörte, dachte er, das sei ein Witz. Was auch sonst? Als Donald Trump die Geschichte wenige Tage später im TV-Duell mit Kamala Harris aufgriff, wusste Payen aber sofort: «Jetzt wird es ernst für uns.» Und tatsächlich: Bald marschierten maskierte Neonazis im Zentrum auf, um gegen die Haitianer in Springfield zu demonstrieren, wegen Bombendrohungen mussten zwischenzeitlich zwei Schulen geschlossen sowie das Rathaus und ein Spital evakuiert werden.
Payen (44) trägt ein gut gebügeltes hellblaues Hemd, seine Dreadlocks hat er zu einem Zopf gebunden. Er isst regelmässig im Rose Goute Creole, sein Laden für Voodoo-Bedarf liegt gleich um die Ecke. Sein Laden hat sich aber auch zu einer Art informellem Beratungs- und Organisationszentrum der haitianischen Community in Springfield entwickelt. Payen stammt aus Port-au-Prince und vertritt die Anliegen der Haitianer in der Lokalpolitik in Springfield, er spricht mit dem Bürgermeister und nimmt an Stadtratssitzungen teil. Er schätzt, dass sich die Einwohnerzahl der Stadt durch den Zuzug seiner Landsleute in den vergangenen Jahren um ein Viertel erhöht hat. Er kann verstehen, dass das nicht allen gefällt.
Aber: Die meisten Haitianerinnen und Haitianer seien eben nicht als «Illegale» hier, wie Donald Trump und J. D. Vance behaupten. Vor allem Vance müsste es eigentlich besser wissen, er ist schliesslich Ohios Senator in Washington. Die Haitianer, sagt Payen, hätten die Jobs übernommen, für die in der Stadt lang vergeblich zuverlässige Arbeitskräfte gesucht worden seien. Sie zahlten Steuern, sie zahlten Miete, sie investierten ihr Geld. «Wir nehmen niemandem etwas weg», sagt Payen.
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