Newsseiten und TVDer fröhliche Start weicht der Lähmung: Wie unsere Autorin die Wahlnacht live erlebte
Eine Nacht lang Kanal-Hopping, während sich die Enttäuschung immer bleierner auf die Stimmung legt. Eine subjektive Tour.
Dienstag 19.40 Uhr, hiesige Zeit: Das war ein Moment des kurzen Hochs für das demokratische Lager. Kamala Harris hatte in der symbolischen Wahl auf Guam gewonnen, zwar weniger klar als Joe Biden 2020, aber immerhin. Die sogenannte «Straw Poll» auf der westpazifischen Insel – ein US-Territorium ohne nationales Wahlrecht – war stets ein guter Indikator gewesen: Seit ihrer Einrichtung 1980 hatte sie nur 2016 falschgelegen – damals wurde Donald Trump gewählt. Allerdings braucht es einen etwas genaueren Blick auf das diesmalige Ergebnis. Denn: Rechnete man die Stimmen, die auf Guam an den Last-Minute-Trump-Mitstreiter Robert F. Kennedy Jr. gingen, dem Trump-Lager zu, dann hätte 2024 Trump auf der Insel vorn gelegen. Kein gutes Omen für alle Harris-Fans.
Trotzdem: Es begann vielversprechend für die «Blauen», die Demokraten, denn von Iowa bis Pennsylvania sah es so aus, als hätte Kamala Harris das Rennen gemacht. Ich stiess einen kurzen Glücks-Kiekser aus, als die ersten Zahlen kamen. Aber um 5.03 Uhr war die Blase ziemlich geplatzt. Oder besser gesagt: Aus dem Ballon war nach und nach die Luft entwichen. Die überraschende Umfrage vom Sonntag, die nahegelegt hatte, dass Harris Iowa holt, was den Demokraten seit Barack Obama nicht gelungen war, erwies sich als Fehleinschätzung. Und die meisten Swing-States hatten sich bereits von leicht Blau zu leicht Rot eingefärbt, um 5.37 Uhr wurde Donald Trumps Sieg in Swing-State North Carolina vermeldet. Die Zitterpartie wirkte da schon so, als sei sie im Grunde vorbei.
Und ich erinnerte mich daran, wie mir ein US-Autor einmal im Brustton der Überzeugung erklärt hatte: «Die Amerikaner werden definitiv zuerst einen Schwulen wählen, bevor sie eine Frau wählen.» Was hielt uns TV-Zuschauer dieser «Schicksalswahl» weiter atemlos bei der Stange, egal, auf welcher Seite man stand – Kaffee unnötig?
Die aufregendsten und aufreibendsten Sätze
BBC, ganz englisch, sagte im Verlauf, als vieles noch offen stand: «Es gibt zu wenig Teeblätter, um sie zu deuten.»
Auch Magic-Board-Magier John King von CNN, der durch seine blitzschnellen Durchgänge durchs Land der Möglichkeiten faszinierte und durch sein Wahnsinnsgedächtnis für die Verhältnisse von 2020, holte die Zuschauerinnen und Zuschauer immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurück mit Sätzen wie «Als Kamala-Anhänger geniessen Sie jetzt den Moment!» Oder: «Man muss ein Ausrufezeichen hinter den Satz setzen: ‹Es ist noch früh!›». Gern betonte er auch: «Das lässt sich noch nicht einzementieren.»
Doch noch um 5.15 Uhr zeigte sich eine Expertin auf ABC überzeugt, dass Kamala Harris Wisconsin holen werde; ein anderer hielt dagegen. «Wir können um Bier wetten», sagte sie munter, während Host David Muir geradezu philosophisch resümierte: «Jede Führung ist eine Illusion.» Doch die kalte Dusche für Harris-Wählende folgte auf dem Fusse: Es sei «potenziell eine grosse Nacht für Donald Trump». Mehr noch, ergänzte man aus der Runde: Trump stehe – wohl – «vor dem grössten Comeback der politischen Geschichte der USA».
Das interessanteste Beiprogramm
Wo die englischsprachigen Kanäle mit schnellen Analysen und scharfen Pointen punkteten, bemühten sich die deutschsprachigen um mehr Informationen drumherum, während man auf die Resultate wartete. Ausführliches bot beispielsweise ORF: Es gab etwa gut recherchierte Einspieler aus Moskau – wo Donald Trump mehr Sympathisanten hat als Kamala Harris –, aus der Ukraine, aber auch aus Dearborn in Michigan, wo sich die arabischstämmige Community von Donald Trump mehr Friedensanstrengungen erhoffte.
SRF dagegen schaltete in die langen Wartepausen anfangs in der Hauptsache Bildstrecken. Später gab es dann aber auch die obligaten Korrespondentenberichte und Diskussionen, auf die alle Kanäle setzten; etwa aus Georgia. Für die Bildstrecken hatte das Schweizer Fernsehen als Soundteppich die beruhigendste Musik ausgesucht, die es in der US-Wahl-Berichterstattung gab. Mit sanftem indiemässigem Geplinker beruhigte man beim SRF blank liegende Nerven: eine bessere Entscheidung jedenfalls als jene des deutschen Senders ZDF, der regelmässig zwischendurch live eine Jazz-Combo quasi dazwischenhusten liess.
Mittwochmorgen um 7.15 Uhr unterstrich das Fernsehen SRF noch einmal, dass die Würfel noch nicht gefallen seien, auch wenn Donald Trump auf der Zielgeraden liege. Ganz abgesehen vom Senat, wo es sehr nach einer republikanischen Mehrheit aussehe. Doch viele in der Schweiz, so beruhigten die Gesprächsteilnehmer, würden sich darüber freuen; in der EU und in der Ukraine wohl weniger. – Man wünscht den kleinen Leuten in den USA auf jeden Fall, dass Trump nun sein vielfach gegebenes Versprechen erfüllt, ihr Leben wunderbar zu machen und das Land zu heilen (den Millionären wird es ohnehin gutgehen).
Wenigstens scheinen die Wahlen – bis auf wenige Stotterer – reibungslos und fair funktioniert zu haben, und ausgezählt wurde oft ziemlich schnell. Jetzt gilt: Abschalten is’ nicht, und heulen kommt nicht infrage. Lieber Musik auflegen.
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