Endlich wieder in die USA reisenUS-Reisende stürmen die Ticketschalter der Swiss
Die Airline verzeichnet bei Ticketverkäufen ein Plus von 40 Prozent gegenüber der Vorwoche. Aber kann sie jetzt schnell genug Flugzeuge und Personal aktivieren?
Endlich das Gottimeitli in New York umarmen oder den Geschäftssitz in Los Angeles besuchen: Nach rund 20 Monaten können Schweizerinnen und Schweizer ab November wieder in die USA fliegen, sofern sie gegen das Coronavirus geimpft sind.
Viele greifen so rasch wie möglich zu. Bereits in den ersten Stunden nach der Ankündigung durch die USA vom Montagabend meldete die Lufthansa, dass die Buchungen über den Nordatlantik im Wochenvergleich um 40 Prozent gestiegen seien. Bei der Swiss gebe es einen Ansturm «in ähnlicher Grössenordnung», sagt Swiss-Sprecherin Meike Fuhlrott.
«Wir haben jederzeit die notwendige Flexibilität, um auf kurzfristige Nachfrageschwankungen gezielt zu reagieren.»
Nicht nur Touristen warten sehnsüchtig auf die Öffnung. Für die europäische Airline-Branche ist die Nordamerikastrecke die profitabelste überhaupt. Sowohl beim Flughafen Zürich, wo Nordamerikareisende den grössten Teil der Langstreckenpassagiere ausmachen, als auch bei der Swiss ist daher die Erleichterung gross. Die Fluggesellschaft spricht von einem «wichtigen Meilenstein» auf dem Weg zur «alten Stärke».
Doch die unvermittelte Öffnung könnte auch zu Schwierigkeiten führen. «Sollte es ab November sehr schnell zu einer extrem erhöhten Nachfrage kommen, könnte es operativ für einige Airlines schwierig werden, die geforderten Kapazitäten zur Verfügung zu stellen», sagt Thomas Jäger, Chef des Luftfahrtdatenanbieters CH-Aviation.
Entlassenes Personal könnte bald wieder gebraucht werden
Konkret heisst das: Es ist unklar, ob es den Fluggesellschaften gelingen wird, rasch die monatelang gegroundeten Maschinen wieder in Betrieb zu nehmen und genügend Besatzungspersonal zu finden. In den USA habe sich dieses Problem sehr deutlich gezeigt, sagt Aviatikexperte Jäger. Piloten, Flugbegleiter und Mechanikerinnen waren lange in Kurzarbeit. Sie mussten vor ihrer Rückkehr an den Arbeitsplatz zuerst Schulungen absolvieren. Laut Jäger sind jedoch derzeit solche Ausbildungsplätze – etwa in Flugsimulatoren – fast immer ausgebucht.
Hinzu kommt, dass während der Pandemie Personal entlassen wurde oder freiwillig gekündigt hat. Nicht nur in den USA. Doch bei der Swiss, die diesen Sommer 550 Kündigungen ausgesprochen hat, macht man sich darüber keine allzu grossen Sorgen: «Wir haben jederzeit die notwendige Flexibilität, um auf kurzfristige Nachfrageschwankungen gezielt zu reagieren», sagt Swiss-Sprecherin Fuhlrott.
Die Swiss führt aktuell wöchentlich rund 40 Nordamerikaflüge durch. Sie hat von ihren 31 Langstreckenflugzeugen derzeit 19 im Einsatz. Wie viele aufgrund der Öffnung der USA nun zusätzlich gebraucht werden, ist noch in Ausarbeitung. «Dies wird vom künftigen Flugprogramm abhängen», sagt Fuhlrott.
Piloten wurden nicht entlassen
Probleme gewisser amerikanischer Airlines müssen also nicht zwingend auch die Swiss betreffen. Sie profitiert davon, dass sie im Sommer 2021 eingewilligt hat, auf die Entlassung von 120 Piloten zu verzichten. Es gab stattdessen Frühpensionierungen, und es wurde vereinbart, die Pensen aller Piloten um bis zu 12 Prozent zu senken.
«Dadurch ist es nun bei steigender Nachfrage einfacher, die Flugkapazitäten zu erhöhen», sagt Thomas Steffen, Sprecher von Aeropers. Zudem verfügen laut Steffen aktuell die meisten Piloten über die erforderliche Anzahl Starts und Landungen und das obligatorische Simulator-Training, so dass sie bei Bedarf rasch eingesetzt werden können.
Auch die Swiss ist jetzt glücklich über die damalige Einigung mit den Piloten. Denn deren Ausbildung sei «sehr kostenintensiv» und habe gleichzeitig lange gedauert, sagt die Swiss-Sprecherin. «Bei einem Hochfahren des Flugbetriebs könnte der Personalbestand im Cockpit sonst nicht zeitgerecht wieder hergestellt werden.»
«Wir brauchen mindestens 50 Prozent des Luftverkehrs aus der Zeit vor der Pandemie, um schwarze Zahlen zu schreiben.»
Die Aufhebung des Einreisestopps dürfte einen wichtigen Schub geben in Richtung eines Angebots auf Vorkrisenniveau. Doch der Weg dahin ist für die Swiss noch lang. «Wir sind erst mit rund 50 Prozent des Angebots von 2019 unterwegs», sagte Swiss-Chef Dieter Vranckx Ende August gegenüber der NZZ.
Auch beim Flughafen Zürich sind zusätzliche Frequenzen hochwillkommen. Flughafen-Präsident Andreas Schmid sagte gegenüber dieser Zeitung: «Wir brauchen mindestens 50 Prozent des Luftverkehrs aus der Zeit vor der Pandemie, um schwarze Zahlen zu schreiben.» Im Dezember, rechnet Schmid, könne es so weit sein.
Diese Prognose machte Schmid aber, bevor die USA die gute Nachricht überbrachten, dass Schweizerinnen und Schweizer wieder nach Amerika fliegen dürfen – sofern sie geimpft sind.
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