Analyse zu den USA im Nahen OstenBlinken auf unmöglicher Mission in Israel
Der amerikanische Aussenminister muss Israel die Treue halten, ohne die arabischen Verbündeten zu verärgern. Zumindest scheint das ganz grosse Schreckensszenario abgewendet. Vorerst jedenfalls.
Der amerikanische Aussenminister Antony Blinken hat in diesen Tagen in Nahost folgende Aufgabe zu schultern: Die USA müssen Israel im Krieg gegen die Hamas unbeirrbar die Treue halten, dürfen dabei aber die eigenen arabischen Verbündeten nicht vor den Kopf stossen. Washington muss sich in Israel also glaubwürdig für die Schonung palästinensischer Zivilisten einsetzen und zugleich schon allein die Idee einer späteren Vertreibung der Palästinenser durch die Israelis absolut undenkbar machen. Das ist angesichts der tödlichen Verhärtung im Verhältnis von Israelis und Palästinensern nach den Oktober-Massakern der Hamas eigentlich eine unmögliche Aufgabe.
Sozusagen fast schon nebenbei müssen die USA zugleich die libanesische Hizbollah und ihre iranischen Hintermänner abschrecken. Denn die von Teheran ausgehaltene sogenannte Partei Gottes im Libanon kann Israel jederzeit an seiner Nordgrenze angreifen oder das Land mit einem Raketenhagel bedrohen, unterstützt von einer Reihe jemenitischer, syrischer oder irakischer Milizen. Ein Zweifrontenkrieg würde den jüdischen Staat weit härter treffen als der Konflikt mit der Hamas im Süden. Er würde dem Konflikt einen anderen Charakter geben: Es wäre der Schritt hin zu einem Krieg, der die halbe Nahostregion in den Strudel zieht.
Nasrallahs blumiges Lob für die Palästinenser kommt einem «Seht zu, wie ihr allein klarkommt» gleich.
Das ganz grosse Schreckensszenario scheint aber – fürs Erste – nicht zu drohen. Hizbollah-Führer Hassan Nasrallah hat sich jetzt das erste Mal zu der Terroroffensive der mit ihm verbündeten Hamas geäussert. Der libanesische Scheich hat sich mit der ihm eigenen trickreichen Art distanziert: Sein blumiges Lob für die «zu hundert Prozent palästinensische» Aktion kommt einem «Seht zu, wie ihr allein klarkommt» gleich. Wenn wirklich niemand «auf der Achse des Widerstands» – also der Iran, die Hizbollah und das Terrorbouquet proiranischer Milizen in anderen Staaten – vorab etwas gewusst hat von den Massakerplänen vom 7. Oktober, dann besteht für Nasrallah derzeit kein Grund, mit voller Kraft in den Krieg gegen den Erzfeind Israel einzugreifen.
Stattdessen kann die Hizbollah ihre Taktik der militärischen Nadelstiche – hier eine Rakete, dort ein Feuerüberfall an der Grenze in Israels Norden – relativ risikofrei fortführen. Das grosse Bedrohungsszenario bleibt dabei bestehen: Nasrallah und die Hintermänner in Teheran können ihre Lageeinschätzung schliesslich ändern.
Aber dazu haben sie vorerst keinen Grund. Die Hamas hält in der Trümmerwüste von Gaza weiter stand, Israel verliert Soldaten, und das angesichts der horrenden Zahl palästinensischer Opfer ohnehin blutbefleckte Image des jüdischen Staats leidet weiter. Kurz: Die Hizbollah bleibt im Spiel, riskiert aber vorerst nicht die eigene Vernichtung durch Israel. Was will Nasrallah mehr?
Israel hingegen wird in Gaza wohl weiter mit grösster Härte vorgehen. Die Opferzahlen nähern sich der grausigen Marke von zehntausend Toten, viele von ihnen Kinder. Eine Feuerpause ergibt für die Israelis militärisch aber keinen Sinn: Die Hamas würde sich neu gruppieren. Ob der amerikanische Aussenminister eine israelische Regierung, die die Hizbollah nun vorerst nicht mehr so sehr fürchten muss, zur Mässigung zwingen kann? Es wird sich zeigen. Aber wahrscheinlich ist es nicht.
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