Umnutzung vom Unterwerk SelnauStrom statt Kreativität: Stadtrat soll EWZ-Pläne nochmals prüfen
Das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich will das Unterwerk Selnau zur Energiezentrale umzubauen. Gegner und Stadtentwickler sehen kreative Räume in Gefahr und präsentieren alternative Lösungen.

Die Selnaustrasse ist keine Europaallee, keine Bahnhofstrasse und auch kein Limmatquai.
Doch im ehemaligen Unterwerk Selnau bietet sie mit dem Museum Haus Konstruktiv und dem Start-up-Netzwerk Impact Hub Kraftwerk eine Publikumsnutzung, welche die Ausfallachse Richtung Autobahn belebt. Wird es warm, drängen sich die Gäste unter den farbigen Lichtgirlanden zwischen Strasse und Sihl um Plätze an der Sonne. 120’000 Personen verkehren nach Angaben der Betreibenden pro Jahr an diesem Ort.
Noch.
Ab 2026 will das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (EWZ) das Gebäude als reinen Infrastrukturbau nutzen und darin eine Energiezentrale für das Millionenprojekt «CoolCity» einrichten. Damit würde das Kraftwerk verschwinden. Das Haus Konstruktiv hat bereits vergangenes Jahr bekannt gegeben, dass es ins Löwenbräu-Areal beim Escher-Wyss-Platz zieht.

Die IG Selnau propagiert seit Monaten, dass Infrastrukturanlagen auch durchaus im Untergrund realisierbar wären. Nun belegt sie ihre Behauptung in einer Machbarkeitsstudie mit zwei möglichen Standorten. Für die Studienverfasser vom Verein SCAUT (Swiss Center of Allied Underground Technologies) sind beide unterirdischen Standorte vergleichbar mit dem oberirdischen im Unterwerk Selnau. Damit widersprechen sie dem EWZ, das solche Standorte geprüft, aber zugunsten des Standorts Selnau verworfen hat.
Kavernen als Lösung
Die Studie bringt zum einen eine grosse Kaverne unter dem ETH-Maschinenlaboratorium an der Leonhardstrasse oberhalb des Central ins Spiel. Da könnten alle Anlagen eingerichtet werden, welche die Gebäude in der Innenstadt im Sommer mit Wasser aus den Tiefen des Zürichsees kühlen und im Winter heizen, indem sie dem Wasser mithilfe eines Wärmetauschers Wärme entziehen. Der Standort liegt leicht ausserhalb des vom EWZ geprüften Perimeters, könnte gemäss der Studie dennoch das ganze Gebiet von «CoolCity» versorgen. Zudem befinde er sich näher an den Hauptverbrauchern rund um die Bahnhofstrasse als das Unterwerk Selnau und wäre klimaverträglicher.
Kostenmässig wäre ein solcher Bau 21 Millionen Franken teurer als jener beim Selnau, der 190 Millionen Franken kosten soll. Ein Jahr Bauzeit wäre nötig. Und der Standort böte genügend Platz für weitere Energiezentralen für «CoolCity».

Als zweiten Standort für eine mittelgrosse Kaverne bringt die Studie den Lindenhof ins Spiel. Der Standort könnte vom Parkhaus Urania her erschlossen werden. Die Kaverne würde zentral im Perimeter liegen, könnte aber nur die Hälfte der Kapazität abdecken. Die Studienautoren schlagen deshalb vor, diese Kaverne mit einem zweiten Standort, etwa unter dem Maschinengebäude, zu verbinden.
Treffen mit Stadtrat
Ob die Studie mit den Alternativstandorten noch etwas bewirken kann, ist unklar. Sie wird Thema sein, wenn sich Anfang Mai eine Delegation der Studienautoren und Politiker mit dem Vorsteher der Industriellen Betriebe, Stadtrat Michael Baumer, sowie Vertretern vom EWZ treffen.
Vorab lässt EWZ-Sprecher Harry Graf verlauten, man werde die Studie zur Kenntnis nehmen. Das EWZ habe diverse Alternativen, auch solche im Untergrund, geprüft. «Aber das Unterwerk Selnau erfüllt die technischen und standortrelevanten Anforderungen für die Energiezentrale am besten», sagt Graf. Dieses sei bereits ein Infrastrukturbau und liege im Versorgungsperimeter an einem zentralen Standort. Zudem lasse sich da das Netto-null-Ziel schon vor 2040 erreichen, die Umsetzung sei schon im Gang.

Der Stadtrat muss zudem bis Ende November einen Bericht über die Standorte für die Energiezentrale vorlegen. Das fordert ein Postulat von SP, Grünen und GLP.
«Das wäre fatal!»
Vor dem Szenario der EWZ warnen diverse Stadtentwickler. So auch Ute Schneider vom Zürcher Büro KCAP, jenem Büro für Stadtplanung, das unter anderem die Europaallee geplant hat. Sie hat an der TU Wien eine Professur für Städtebau. Ihr Fokus ist die gemischt genutzte Stadt.
Schneider propagiert eine Stadt, in der Wohnen, Freizeit, Kultur, Arbeiten und damit auch Gewerbe, Dienstleistung und Ver- und Entsorgungsinfrastruktur ineinandergreifen.
Zum Unterwerk Selnau sagt sie: «Hier sind ein kreativer Ort und ein Ökosystem entstanden, für das andere Städte Jahre investieren – und oft auch scheitern.» Schneider sieht ein enormes Potenzial am Standort, um städtische Infrastrukturen mit Stadtkultur zu verbinden. «An dieser Umnutzung zur monofunktionalen Energiezentrale festzuhalten, ohne die bestehende Nutzung zu integrieren, wäre fatal!» Aus ihrer Sicht ginge die soziale Mischung und Kontrolle am Standort verloren, das Klima könne in eine unerwünschte Richtung kippen.

Auch Philippe Koch, Professor mit Schwerpunkt Stadtpolitik und urbane Prozesse an der ZHAW, spricht von einer verpassten Chance, wenn das Unterwerk zur Energiezentrale wird. «An solchen Orten muss gerade von einem städtischen Betrieb eine Güterabwägung zwischen betrieblicher Sicht und lebenswerter Stadt stattfinden.» Auch wenn solche Prozesse sehr schwierig seien, spielt aus Sicht von Koch Transparenz eine wichtige Rolle. «Bezieht man Betroffene früh mit ein, ist die Akzeptanz oft grösser», sagt er. Ansonsten dürfe man als Betrieb den Widerstand nicht unterschätzen.
Bei anderen Arealen mit Infrastruktur hat die Stadt die Öffnung als Zwischenlösung geplant. Beim Kraftwerk Letten wird im Burrischopf ab 2027 eine Energiezentrale eingebaut. Bis dahin wird der Schopf zwischengenutzt. 53 Ideen sind eingegangen, bis Mitte Jahr wird ein Betreiberverein gegründet. Im angrenzenden Kesselhaus wird ab 2029 für zwanzig Jahre eine Schulschwimmanlage betrieben.
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