Unterschiede der Arbeitsplätze Homeoffice – neue Studien zeigen, was wirklich das Problem ist
Dank neuer Freiheiten hat das Heimbüro die Pandemie überdauert. Nun zeigen Forschende: Die Leute vermissen Dinge, die der Chef auch im Büro nicht sieht.
Der Mitmensch als solcher ist nicht immer ein Quell der Freude. Möglicherweise gilt das sogar für Mitmenschen, denen man jeden Tag im Büro begegnet. Es soll Misanthropen geben, die schwören, dass sie ihre Arbeit lieben würden, wenn da bloss nicht die Kolleginnen und Kollegen wären. Solche Eigenbrötler hatten in den Corona-Jahren eine gute Zeit: Bei Bedarf liess sich der Kontakt zur Aussenwelt auf ein paar Zoom-Termine und den Mailverkehr reduzieren.
Aber jetzt dokumentieren zahlreiche Studien die Defizite der seit der Pandemie wie in einem Grossversuch erprobten Homeoffice-Lösungen mit ihrer auf den Bildschirmkontakt beschränkten Kommunikation. Der britische «Economist» berichtet von einem Laborexperiment, das zu dem wenig überraschenden Ergebnis kommt, dass Videokonferenzen das kreative Denken hemmen. Wer sich an die ratlosen Gesichter in den Zoom-Kacheln und den eigenen Zombie-Zustand nach dem dritten Videomeeting erinnert, wundert sich darüber, dass es die Forschenden geschafft haben, im Zoom-Universum überhaupt noch Spuren von Kreativität zu entdecken. (Lesen Sie weiter: New Work: Sie arbeiten dort, wo andere Ferien machen)
Es fehlt das Informelle
Und noch eine Studie zitiert der «Economist»: Schachprofis spielen demzufolge in Onlinematchs schlechter, als wenn sie sich am Brett gegenübersitzen. Und sogar Routineaufgaben lassen sich in der Firma zügiger wegarbeiten. Forscher des Massachusetts Institute of Technology (MIT) und der Universität von Kalifornien haben gemessen, dass indische Datenerfasser 18 Prozent mehr leisten, wenn sie ihren stupiden Job nicht zu Hause, sondern im Büro erledigen.
Kontrollfreaks im Management, die aus diesen und ähnlichen Studien schliessen, dass halt nichts über die direkte Überwachung am Arbeitsplatz geht, haben die entscheidende Pointe verpasst: Auch ortsunabhängige Arbeit lässt sich digital sehr engmaschig kontrollieren. (Mehr dazu: Konflikt im Job: Beim Homeoffic klaffen Wunsch und Realität auseinander)
Wichtiger ist, was entfällt, wenn man die Kolleginnen Kollegen nur am Bildschirm sieht: die Zigaretten- und Kaffeepausen, der informale Austausch und die kleinen Regelbrüche, also genau das, was sich dem Kontrollblick der Vorgesetzten entzieht und die formalen Regeln der Organisation unterläuft. Diese Informalität braucht die Begegnungsräume, die diskreten Absprachen und die kleinen, unbeobachteten Momente. Sie fallen weg, wenn sich alles an die Bildschirme und damit in die organisationsoffizielle Kommunikation verlagert. Aber ohne Räume der Informalität kommt keine Organisation aus.
Eine Folge der Beschränkung der Kommunikation auf die digitalen Kanäle beschreiben Wissenschaftler, die die Kommunikationsaufzeichnungen von rund 62'000 Microsoft-Mitarbeitenden untersucht haben. Ihre Beobachtung: Ohne persönliche Begegnungen werden die beruflichen Netzwerke innerhalb des Unternehmens statischer und isolierter, Abteilungsgrenzen undurchlässiger.
Auch regelwütige Firmen haben verstanden, dass das soziale Rauschen wichtig ist.
Die Ergebnisse einer MIT-Studie zu Lernprozessen im Arbeitsalltag gehen in die gleiche Richtung: Wer mit anderen im Büro sitzt, eignet sich neue Fähigkeiten schneller an als allein im Homeoffice. Wissensgetriebene Unternehmen, die auf den permanenten Lernprozess ihrer Leute und den dichten, abteilungsübergreifenden, auch informellen Erfahrungsaustausch angewiesen sind, können sich solche Blockaden nicht leisten. Kein Wunder, dass Techkonzerne wie Apple oder Meta inzwischen zumindest für einen Teil der Arbeitswoche wieder auf die Präsenz im Büro bestehen.
Um die Homeoffice-Isolation ihrer Leute zu durchbrechen, machten einige Unternehmen ihnen während der Pandemie ein Angebot, das in seiner Hilflosigkeit geradezu rührend war: ein «virtueller Wasserspender». Letztlich handelt es sich dabei um Termine ohne festes Programm, die Begegnungen in der Teeküche oder am Wasserspender simulieren sollten. Das zeigt, dass auch regelwütige Organisationen verstanden haben, dass das soziale Rauschen, der Austausch jenseits der offiziellen Informationskanäle und der Berichtspflichten der Hierarchie, wichtig ist.
Und das nicht nur, weil in der Teeküche (oder beim Feierabendbier) angeblich die besten Ideen entstehen. Allerdings kamen Forscher der Harvard Business School zu dem Ergebnis, dass der «virtuelle Wasserspender» kein Feierabendbier ersetzt, sondern vor allem als nervender Zusatztermin ohne erkennbaren Nutzen wahrgenommen wurde. Der Versuch, das Paradox eines offiziellen Ortes des inoffiziellen Austauschs zu etablieren, war nett gemeint, aber reichlich naiv. Das Angebot ist so weltfremd wie eine offizielle Anordnung von Lockerheit.
Gemeinsames Abkotzen schafft Nähe
Trotzdem reagiert der «virtuelle Wasserspender» auf ein Problem, das die Studien zu den Defiziten von Homeoffice-Modellen beschreiben: den Bedarf an Gelegenheiten zum informalen Austausch. Ihre eher tolerierten als erlaubten Grauzonen dienen nicht nur dem zwischenmenschlichen Miteinander. Sie ermöglichen den Stressabbau, etwa beim kollegialen Ablästern über die wieder mal komplett ahnungslosen Chefs, die weltfremden Vorgaben von oben, den durchgedrehten Geschäftsführer und die peinlichen Ehrgeizlinge von nebenan. Der Soziologe Niklas Luhmann verwendete für solche Lästerrunden den schönen Begriff der «Entlastungsclique» – und in seiner Sicht sind sie hochfunktional und völlig im Interesse der Organisation. Das gemeinsame Abkotzen schafft mehr kollegiale Nähe als jede Teambuilding-Massnahme. Und es dient als Druckventil, mit dem man besser durch die Arbeitswoche kommt.
Unternehmen ohne Freiraum für Entlastungscliquen sind kein Paradies, in dem es nichts zu motzen gibt, sondern die Hölle. Noch wichtiger sind die kleinen Regelbrüche, die Abkürzungen auf dem kurzen Dienstweg, das pragmatische Schummeln. Niklas Luhmann nennt das: «brauchbare Illegalität». Illegal, weil sie gegen Organisationsregeln verstösst, und brauchbar, weil sie den Leuten hilft, ihren Job zu erledigen. Ohne brauchbare Illegalität geht nichts, schon weil die Wirklichkeit unkalkulierbar und komplexer als jedes Regelwerk ist. Eine Organisation, in der sich alle jederzeit an alle Regeln halten, würde in kürzester Zeit kollabieren. Beides, Entlastungscliquen wie brauchbare Illegalität, liegen im Interesse der Organisation. Aber natürlich kann sie diese Regelverstösse nur in Massen dulden – und ganz sicher lassen sie sich nicht künstlich in dafür geschaffenen Meetings anordnen.
Beschränkt sich die Kommunikation auf den Kontakt am Bildschirm, bleibt alles im Offiziellen. Die notwendigen Lücken der Informalität sind dicht. Deshalb ist es zumindest für Luhmann-gestählte Organisationssoziologen nicht sehr überraschend, dass keine Firma ohne das soziale Rauschen des Flurfunks auskommt. Besonders lehrreich ist der Homeoffice-Grossversuch in der Pandemie für die Zukunft: Unternehmen, die ihre Prozesse weitgehend digitalisieren, stehen genau vor dem gleichen Problem fehlender Informalität – trotz der von ihr ermöglichten Flexibilität.
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