Gefährdete AltersvorsorgeUnternehmer-Trick reisst gewaltiges Loch in die AHV
Um Lohnabzüge zu umgehen, zahlen sich Unternehmer lieber Dividenden aus. Das kostet die AHV monatlich Millionen. Nun will der Bundesrat das Problem angehen.
Eigentlich hätte die AHV ja genug Probleme. Kommen doch auf einen Rentenbezüger immer weniger Erwerbstätige, die Beiträge einzahlen. Dies lässt sich aufgrund der demografischen Alterung nicht vermeiden. Die AHV kämpft aber auch mit einem Problem, das sich die Politikerinnen und Politiker selbst eingebrockt haben. Mit einem Schlupfloch im Gesetz, das Unternehmern erlaubt zu tricksen. Dies führt zu einem riesigen Loch in der AHV-Kasse.
«Die Reichen brauchen die AHV nicht, aber die AHV braucht die Reichen.»
Konkret können Unternehmer ihre AHV-Lohnabzüge minimieren, indem sie sich das Salär kürzen und sich stattdessen hohe Dividenden auszahlen. Damit umgehen sie die Solidarität, auf welche die AHV dringend angewiesen wäre. Denn es gilt immer noch, was der einstige Bundesrat und «Vater der AHV», Hans-Peter Tschudi, schon vor Jahrzehnten sagte: «Die Reichen brauchen die AHV nicht, aber die AHV braucht die Reichen.»
Die erste Säule der Altersvorsorge ist eben keine reine Versicherung. Vielverdiener zahlen deutlich mehr in die AHV ein, als sie im Alter von dieser erhalten. Denn: AHV-Lohnabzüge werden auf dem ganzen Salär fällig, auch wenn dieses in die Millionen geht; die AHV-Rente hingegen ist nach oben gedeckelt, mehr als die Maximalrente gibt es auch für einstige Vielverdiener nicht.
Dies führt zu einem grossen Umverteilungseffekt, der aber mithilfe des Schlupflochs unterlaufen werden kann. Anwälte, Ärzte und Architekten gründen dabei eigens eine GmbH oder eine kleine Aktiengesellschaft, um sich einen Teil des Verdiensts als Dividende auszahlen zu können. Dies zahlt sich umso mehr aus, je tiefer die Dividenden besteuert werden.
Ausfälle von mehr als 100 Millionen Franken
Entsprechend zentral war die Unternehmenssteuerreform II. Seither werden Beteiligungen von über 10 Prozent an Kapitalgesellschaften privilegiert besteuert. Solche Grossaktionäre werden also gegenüber Kleinaktionären bevorzugt behandelt. Der Bund belastet ihre Dividenden lediglich zu 70 Prozent. Viele Kantone – darunter auch Zürich und Bern – besteuern solche Dividenden gar lediglich zur Hälfte.
Dank dieser Rabatte lohnt sich das Umgehen der AHV heute häufig, während es vor der Unternehmenssteuerreform meist günstiger war, sich einen hohen Lohn und wenig Dividende auszuzahlen.
Der Unternehmer-Trick kostet die AHV laut dem Präsidenten der kantonalen Ausgleichskassen, Andreas Dummermuth, Jahr für Jahr weit mehr als 100 Millionen Franken. Geld, das die AHV gut gebrauchen könnte.
Bundesrat will Bericht erstellen
Umso erstaunlicher ist, dass die Politik das Loch bislang nicht gestopft hat. Der Bundesrat hat nicht einmal einen Bericht zu diesem Problem verfasst. Doch das soll nun ändern. Hat sich doch die Landesregierung am Mittwoch bereit erklärt, das Thema anzugehen und mögliche Korrekturen aufzuzeigen. Der Bundesrat empfiehlt dem Parlament, einen entsprechenden Vorstoss der Basler SP-Ständerätin Eva Herzog anzunehmen.
«Endlich», sagt Andreas Dummermuth. Er sei «sehr froh», dass Eva Herzog dieses «äusserst wichtige Thema» anpacke. Zwar hat es bereits vor zehn Jahren ähnliche Vorstösse gegeben, worauf der Bundesrat schon damals einen Bericht in Aussicht stellte. Doch das Parlament versäumte es, die Vorstösse zu behandeln. Und der Bundesrat war ohne expliziten Auftrag offenbar nicht willig, das Problem anzugehen.
So dürfen die kantonalen Ausgleichskassen heute einzig bei besonders krassen Einzelfällen eingreifen und die Aufteilung des Entgelts in Lohn und Dividende infrage stellen. Die Hürde dafür ist hoch. Laut der Wegleitung des Bundesamts für Sozialversicherungen ist dies nur erlaubt bei einem «offensichtlichen Missverhältnis» zwischen dem Lohn und der Arbeitsleistung. Darüber hinaus braucht es auch ein «offensichtliches Missverhältnis» zwischen der Dividende und dem Vermögen.
Eine Regelung müsse «dringend und zwingend» in die AHV-Revision einfliessen, findet der Präsident der Ausgleichskassen.
Selbst wenn die jährliche Dividende mehr als 10 Prozent des Firmenwerts ausmacht, reicht dies noch nicht für ein Eingreifen der Ausgleichskassen. Das zeigt ein Blick in die Gerichtspraxis. Für Dummermuth ist daher klar, dass Einzelbeurteilungen das Problem nicht lösen können. Zumal die AHV ein «Massengeschäft» sei.
Die Ausgleichskassen pochen stattdessen auf klare Regeln im Gesetz. Ginge es nach ihnen, stünde dort: «Hat die Auszahlung ihren wesentlichen Grund im Arbeitsverhältnis, so stellt sie beitragspflichtiges Einkommen dar, wobei ein Abzug für das investierte Kapital vorzunehmen ist.» Dasselbe gelte schon heute für Einzelunternehmen, so Dummermuth.
Eine solche oder ähnliche Regelung müsse «dringend und zwingend» in die nächste AHV-Revision einfliessen, findet der Präsident der Ausgleichskassen. Für ihn ist es «unverständlich», dass die «AHV 21» lediglich das Frauenrentenalter und die Mehrwertsteuer erhöht hat, die Dividendenproblematik aber aussen vor liess.
Ob sich die Ausgleichskassen durchsetzen können, ist offen. Vorerst ist es schon ein Erfolg, dass sich der Bundesrat des Themas überhaupt annimmt und bereit ist, einen Bericht dazu zu verfassen.
In einer ursprünglichen Version verwendeten wir den Begriff «Selbstständigerwerbende». Wir haben das korrigiert.
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