Kolumne von Michael HermannDie Rentenreform neu denken
Eine generationengerechte AHV-Reform ohne Rentenkürzungen braucht eine geeignetere Finanzierungsquelle.
Nicht jede Rentenreform ist per se zum Scheitern verurteilt. Das ist eine Erkenntnis aus der Abstimmung zur Erhöhung des Frauenrentenalters. Eine andere ist, dass jede weitere Anpassung des Schweizer Rentensystems an die gestiegene Lebenserwartung es sehr, sehr schwer haben wird. Die Angleichung des Rentenalters der Frauen an das der Männer galt nämlich immer als mehrheitsfähigstes Reformelement. Nur gerade 50,6 Prozent haben diesem Anliegen nun zugestimmt. Eine echte BVG-Reform mit einer Senkung des Umwandlungssatzes ist vor diesem Hintergrund kaum noch denkbar. Wir stehen in einer Sackgasse, und um daraus rauszukommen, müssen bestehende Denkpfade verlassen und auch unorthodoxe Lösungen in Betracht gezogen werden.
Doch zuerst zur Problemstellung: Das BVG, die zweite Säule der Altersvorsorge, beruht auf dem Kapitaldeckungsprinzip. Im Unterschied zur AHV spart hier jede Person und insbesondere auch jede Generation für das eigene Rentenalter. Dieses Prinzip ist durch die steigende Lebenserwartung in Schieflage geraten. Weil das von den Erwerbstätigen ersparte Alterskapital für immer mehr Rentenjahre reichen sollte, müsste der Umwandlungssatz gesenkt werden.
Zuschüsse der Allgemeinheit
Weil jedoch Rentenkürzungen an der Urne nicht mehrheitsfähig sind, sollen nun die Kürzungen durch Zuschüsse der Allgemeinheit kompensiert werden. Werden diese Zuschüsse jedoch, wie geplant, durch Lohn- oder Mehrwertsteuerprozente gedeckt, widerspricht dies dem zentralen Prinzip der Generationengerechtigkeit. Die zusätzlichen Lasten würden nämlich wiederum hauptsächlich Familien und Einzelpersonen im Erwerbsalter tragen. Bei den Lohnprozenten ist dies evident. Aufgrund der deutlich tieferen Konsumausgaben tragen Rentnerinnen und Rentner aber auch weniger zur Mehrwertsteuer bei. Eine generationengerechte Rentenreform ohne Rentenkürzungen braucht eine geeignetere Finanzierungsquelle.
Vermögenswerte zirkulieren heute immer häufiger zwischen Hochbetagten und angehenden Rentnern.
Der hier vorgeschlagene Ansatz baut darauf, dass Schweizerinnen und Schweizer aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung immer später in ihrem Leben erben. Vermögenswerte zirkulieren heute immer häufiger zwischen Hochbetagten und angehenden Rentnern. Die Idee ist deshalb, eine moderate Erbschaftssteuer von rund 5 Prozent einzuführen. Mit dieser liesse sich im BVG wieder Generationengerechtigkeit herstellen – und zwar ohne Rentenkürzung.
Die grosse Herausforderung an dieser Idee ist, dass man sich hierfür von links bis rechts von gewohnten Positionen trennen müsste. Das Attraktive daran ist, dass sowohl Linke als auch Bürgerliche damit wichtige Anliegen erreichen könnten, die sie ohne diese Verknüpfung nicht erreichten. Ein bürgerliches Anliegen ist die Reform und Stärkung des BVG, während die Linke vor allem auf die AHV setzt, dafür aber an der Idee einer Erbschaftssteuer hängt.
Bürgerliche müssen mitziehen
In der hier vorgeschlagenen moderaten zielgerichteten Form müssten sich jedoch auch Bürgerliche dafür erwärmen können. Erstens weil die Sicherung des BVG gerade für Gutverdienende von Interesse ist. Zweitens, weil eine solche Steuer die Wettbewerbsfähigkeit weniger hemmt als zusätzliche Lohnprozente oder eine weitere Mehrwertsteuererhöhung. Aber auch deshalb, weil dieser Ansatz einem zentralen Prinzip des BVG – der Generationengerechtigkeit – am nächsten kommt.
Schon einmal war die Verbindung eines bürgerlichen und mit einem linken Anliegen in diesem Bereich sehr erfolgreich. 66 Prozent stimmten 2019 für die sogenannte STAF. Damals wurde eine Unternehmenssteuerreform mit einer zusätzlichen AHV-Finanzierung kombiniert. Die hier vorgeschlagene generationengerechte Finanzierung der BVG-Reform ist im Vergleich dazu auch inhaltlich kohärent. Um Chancen zu haben, müsste sich nun allerdings, wie damals bei der STAF, eine überparteiliche Allianz finden lassen, die auch für unorthodoxe Lösungsansätze offen ist.
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