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Entscheid über Zahlungsstopp
Die UNRWA spaltet das Parlament: «Eine sachliche Diskussion ist praktisch unmöglich»

Franziska Roth spricht zur Armee-Finanzierung im Ständerat während der Sommersession der Eidgenössischen Räte in Bern.
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In Kürze:
  • SP-Ständerätin Franziska Roth verliess ein Treffen mit der israelischen Botschafterin.
  • Der Ständerat entscheidet am Dienstag über den Stopp der Beiträge an die UNRWA.
  • Ehemalige Diplomaten appellieren ans Parlament, die Zahlungen fortzusetzen.

Das Café Vallotton im Bundeshaus ist während Sessionen ein beliebter Ort, aber kein besonders diskreter. Mehrere Parlamentsmitglieder haben eine Szene beobachtet, die sich dort kürzlich abspielte. Sie hörten, wie ein Gespräch immer emotionaler wurde. Und wie die Solothurner SP-Ständerätin Franziska Roth schliesslich sagte, sie müsse nun abstimmen gehen – und danach werde sie nicht zurückkehren. Roth verliess den Tisch mit den Worten «thank you for the coffee». Zurück blieben: die israelische Botschafterin Ifat Reshef und, am Nebentisch, ihre Bodyguards. 

Roth bestätigt den Vorfall. Sie sagt, ihr Gegenüber habe einen «aufdringlichen Ton» angeschlagen, der sie überrascht und auch irritiert habe. Sie sei gar nicht mehr zu Wort gekommen. «Selbstverständlich habe ich Verständnis für das Trauma, das Israel mit dem Terroranschlag der Hamas vom 7. Oktober 2023 erlitten hat», sagt Roth. «Ich verurteile diesen aufs Schärfste.» Doch sie habe einen sachlichen Austausch erwartet. «Ich bin offen zum Gespräch gegangen.»

Ifat Reshef, die israelische Botschafterin in Bern, sitzt bei einem Medienanlass in der israelischen Botschaft Bern. Im Hintergrund ist ein Banner mit dem Schriftzug ’Israel’ sichtbar. © Franziska Rothenbuehler | TAMEDIA AG

Thema des Treffens: das UNO-Palästinenserhilfswerk UNRWA. Am Dienstag entscheidet der Ständerat, ob die Schweiz ihre Beiträge an die Organisation per sofort und permanent einstellt. Der Nationalrat hat das bereits beschlossen – neben der SVP stimmten auch die FDP und die Mitte mehrheitlich dafür. Die Parteien sind gespalten. Folgt der Ständerat dem Nationalrat, ist der Entscheid definitiv.

So emotional wie selten

Weil ein knapper Ausgang erwartet wird, versuchen beide Lager, das Ergebnis zu ihren Gunsten zu beeinflussen. GLP-Ständerätin Tiana Angelina Moser sagt, das Thema sei stark emotional aufgeladen. Und zwar in einem Ausmass, das eine sachliche Diskussion praktisch verunmögliche.

Tiana Angelina Moser von GLP-ZH diskutiert mit Franziska Roth von SP-SO während der Frühlingssession der Eidgenössischen Räte im Ständerat in Bern.

Hinzu kommt ein Zufall: Am selben Tag, an dem der Nationalrat über die Gelder für die UNRWA entscheidet, wird der neuste Antisemitismus-Bericht veröffentlicht. Die Gegner eines Zahlungsstopps befürchten nun, das könnte das Stimmverhalten einzelner Ratsmitglieder beeinflussen.

Das Lager, das die Gelder streichen will, stellt die Solidarität mit Israel und die Vorwürfe gegen die UNRWA in den Vordergrund. SVP-Nationalrat David Zuberbühler, um dessen Vorstoss es geht, beruft sich auf die UNO-kritische Organisation UN Watch und die israelische Armee. Zum einen werde an den UNRWA-Schulen die Hamas verherrlicht. Zum anderen hätten sich laut der israelischen Armee mindestens zwölf UNRWA-Mitarbeiter aktiv am Massaker vom 7. Oktober beteiligt. Zuberbühlers Fazit: «Die UNRWA ist infiltriert mit Hamas-Sympathisanten.» Aus diesem Grund dürfe die Schweiz diese Organisation nicht länger unterstützen.

Das Leiden der Zivilbevölkerung

Die andere Seite stellt die katastrophale humanitäre Lage im Gazastreifen und die Verantwortung der Schweiz in den Vordergrund. Sie beruft sich auf Organisationen wie das IKRK, das verlauten liess, es sei nicht in der Lage, die UNRWA zu ersetzen. Könne diese ihre Arbeit nicht fortsetzen, werde sich die Lage dramatisch verschlimmern. Die Gegnerinnen und Gegner eines Zahlungsstopps weisen auch darauf hin, dass eine Untersuchung keine Beweise für die Beteiligung von UNRWA-Mitarbeitenden am Terroranschlag fand.

Israel hat der UNRWA inzwischen dennoch untersagt, auf israelischem Staatsgebiet aktiv zu sein. Im Gazastreifen und im Westjordanland ist die Organisation aber weiterhin mit rund 17’000 Angestellten präsent – und spielt eine zentrale Rolle: Sie verteilt Hilfsgüter und versorgt die Bevölkerung medizinisch. So hat sie etwa am 22. Februar 600’000 Kinder gegen Kinderlähmung geimpft. 

«Letzter Appell» an den Ständerat

Humanitäre Organisationen lancierten vergangene Woche einen «letzten Appell» an die Mitglieder des Ständerates. Unterzeichnet haben viele ehemalige Schweizer Diplomatinnen und Diplomaten – darunter Carla del Ponte, die ehemalige Bundesanwältin und Chefanklägerin am Internationalen Strafgerichtshof, der frühere Staatssekretär Jacques de Watteville und Jean-Daniel Ruch, ehemaliger Botschafter der Schweiz in Israel.

Auch jüdische Organisationen setzen sich für die UNRWA ein. In einem Brief, der dieser Redaktion vorliegt, fordern das Kollektiv Doykait und das Collectif Marad die Ständeratsmitglieder dazu auf, «nicht zuzulassen, dass die Unmenschlichkeit erneut die Oberhand gewinnt». 

Der Internationale Gerichtshof sehe die Blockade der humanitären Hilfe als Indiz für einen möglichen Völkermord. Und weiter: «Als Jüdinnen und Juden haben wir die Pflicht, an das Wesen eines Genozids zu erinnern, ihn beim Namen zu nennen und anzuprangern.» 

USA, Schweden – und die Schweiz?

Auf der anderen Seite versucht die israelische Botschafterin persönlich, Ständerätinnen und Ständeräte davon zu überzeugen, dass die Schweiz die Zahlungen einstellen soll. Ifat Reshef sieht die UNRWA als «verdorbene, von Terroristen durchsetzte Organisation», wie sie in Interviews sagte.

Und wo steht Aussenminister Ignazio Cassis? Mitunter sei das nicht ganz klar, sagen Parlamentsmitglieder. Cassis hatte sich früher in der Gruppe Schweiz - Israel engagiert und die UNRWA einst als «Teil des Problems» bezeichnet.

Im Parlament vertritt Cassis jeweils die Haltung des Bundesrates, der die Zahlungen fortsetzen will. Allerdings tue er das eher halbherzig, findet das Pro-UNRWA-Lager. Im UNO-Sicherheitsrat hat sich die Schweiz dagegen stets dezidiert für die UNRWA starkgemacht – zuletzt am 20. Januar. Die Organisation sei «ein wesentlicher humanitärer Player», stellte die Schweiz damals fest. 

Zwei Monate später könnte dieselbe Schweiz nun beschliessen, die Zahlungen einzustellen. Sie würde sich damit auf die Seite der USA stellen, die die Zahlungen bereits 2024 eingestellt hat. Auch Schweden hat so entschieden. In den Niederlanden sind die Zahlungen sistiert. Andere Länder haben sie dagegen inzwischen wieder aufgenommen – darunter Deutschland, Italien, Grossbritannien, Japan, Australien und Kanada.

Erst eine Alternative suchen

Tiana Moser gibt zu bedenken, dass vor einem allfälligen Zahlungsstopp eine Alternative vorhanden sein müsse. Neben Zuberbühlers Motion für einen Zahlungsstopp liegt dem Ständerat ein weniger weitgehender Vorstoss vor: Der Bundesrat soll sich für eine Nachfolgelösung für die UNRWA einsetzen.

Der israelische UNO-Botschafter in Genf bestätigte vor kurzem, dass sein Land geeignete Organisationen suche. Das heisst freilich auch, dass es aktuell noch keine Lösung gibt. UNRWA-Unterstützer werfen derweil die Frage auf, was eine neue Organisation überhaupt ändern würde. Wie die UNRWA würde diese mit lokalen Mitarbeitenden operieren – womöglich mit denselben, die aktuell für die UNRWA arbeiten.

Franziska Roth erschüttert in der Debatte vor allem eines: «Dass es auf beiden Seiten Kräfte gibt, die das Leid der anderen nicht wahrnehmen.» Das habe auch zur Eskalation beim Treffen im Café Vallotton geführt.