Basketball trotz Corona Und so schleppen sie ein Trojanisches Pferd ins Stadion
Auch die Profiligen in Nordamerika wollen endlich wieder loslegen, aber das Virus breitet sich in den USA noch immer rasant aus. Die Folgen eines Wiederbeginns sind nicht absehbar.
Was soll schon passieren? Das war der Gedanke vieler Trojaner, als ihnen die Griechen dieses hölzerne Pferd vor die Stadtmauern gestellt hatten. Das Schlimmste war doch überstanden, die feindlichen Truppen verschwunden. Es gab Bedenkenträger, klar, den Priester Laokoon etwa oder die Königstochter Kassandra, und eine gewissenhafte Abwägung zwischen bestmöglichem Szenario (hölzernes Pferd auf dem Stadtplatz) und grösstmöglicher Katastrophe (Zerstörung der Stadt) hätte wohl dafür gesorgt, dieses Ding lieber mal draussen zu lassen. Es kam jedoch, wie es kam – und man sollte diese Geschichte kennen, will man verstehen, was im amerikanischen Sport gerade passiert.
Die Basketballliga NBA zum Beispiel möchte ihre Saison am 30. Juli im US-Bundesstaat Florida fortsetzen, sie hat dafür ein Konzept erarbeitet, das aufgrund der Liebe zum Detail (es ist sogar festgelegt, dass Akteure beim Freizeit-Tischtennis kein Doppel spielen sollen) als Blaupause für die Besiedlung eines fremden Planeten dienen könnte. Es klingt alles sinnvoll, und in Deutschland hat die Basketball-Bundesliga gerade gezeigt, wie es aussehen könnte, den Rest einer Saison an einem einzigen Ort auszuspielen.
Was soll also schon passieren?
Nun, eine ganze Menge, und die NBA steht trotz des durchdachten Konzepts symbolisch dafür, wie schwer sich der amerikanische Sport tut, einen adäquaten Umgang mit der Coronavirus-Pandemie zu finden. Wenn das wirklich sehr gute Konzept der NBA schon derart viele Fragen aufwirft (Commissioner Adam Silver sagte in dieser Woche bei einem Telefonat mit Journalisten: «Wir haben nicht jedes Szenario durchgespielt – wir werden sehen müssen, wie es läuft, und dann spontan Entscheidungen treffen»), wie soll die Baseballsaison mit Partien in 30 Stadien funktionieren oder Turniere der Nomaden-Sportarten Golf und Tennis? American Football mit 32 Clubs? Sind das nicht Trojanische Pferde, die der US-Sport da willentlich hereinzieht?
«Wir alle wissen, dass es richtig wäre, nicht zu spielen», sagt zum Beispiel Aufbauspieler Fred VanVleet vom Titelverteidiger Toronto Raptors, und er meint damit nicht nur die Gefahren der Pandemie. Es geht nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd durch einen weissen Polizisten auch um Rassismus und Polizeigewalt: «Schreckliches Timing, und hätten sich mehr meiner Kollegen gegen den Start ausgesprochen, hätte ich auch nicht gespielt. Aber so ist 2020 nun mal für uns alle.» Das klingt nicht hoffnungsfroh, sondern eher resigniert. Was soll er tun? Es wurden davor auch schon die Bedenken von Kyrie Irving beiseitegeschoben – so wie einst die Einwände von Laokoon und Kassandra ignoriert wurden.
So will die NBA den Akteuren der 22 teilnehmenden Teams (die restlichen acht haben keine Chance mehr auf eine Playoff-Teilnahme) erlauben, bei den acht Partien der regulären Saison und auch danach statt ihrer Namen eine Botschaft auf die Trikots drucken zu lassen. Und auch hier wieder: Was soll schon passieren?
Explosive Botschaft gegen Erdogan
Nun, im besten Fall dürften es positive Forderungen nach Chancengleichheit für alle Menschen, unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht oder sexueller Orientierung sein; im schlimmsten Fall könnte es zu gesellschaftlichen oder politischen Verwerfungen kommen: Der türkische Center Enes Kanter von den Boston Celtics findet, dass sich «Erdogan Sucks» («Erdogan ist scheisse») als Botschaft an den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ganz gut machen würde. Ja Morant von den Memphis Grizzlies schlug wegen seiner Rückennummer die Botschaft «Fuck 12» vor – die Zahl steht für die Rauschgiftabteilung der Polizei.
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Genau da zeigt sich, warum der Neustart ein Trojanisches Pferd sein könnte: Man kann es so gut meinen, wie man möchte, und man kann für scheinbar jede Eventualität planen – es kann dennoch immer etwas Unvorhergesehenes passieren, nicht nur bei der Wahl der Botschaften, sondern auch bei der Coronavirus-Pandemie. Gerade beginnt in den USA die zweite Welle der Infektionen, vor der viele gewarnt haben – besonders hart trifft es die Bundesstaaten Florida (wo die NBA spielen wird), New York (wo zwei Tennisturniere, unter anderem die US Open, stattfinden sollen) und Kalifornien (vier NFL-Teams, fünf MLB-Franchises, dazu sollen dort im August zwei Golfturniere ausgetragen werden).
Bei den ersten Tests von 302 NBA-Akteuren vergangene Woche gab es 16 positive Resultate, seitdem kommt fast jeden Tag ein neuer dazu: Bei den Brooklyn Nets zum Beispiel verkündeten DeAndre Jordan und Spencer Dinwiddie, sich infiziert zu haben; dazu erklärte Wilson Chandler, dass er aus familiären Gründen verzichten wolle. Am Dienstag sagte David Griffin, Präsident der New Orleans Pelicans, dass sich drei Spieler angesteckt hätten, und er sagte auch, dass es noch nicht sicher sei, ob der 65-jährige Cheftrainer Alvin Gentry nach Florida reisen werde.
Wir haben noch nicht entschieden, wo wir die Grenze ziehen. Wir wollen jetzt erst einmal sehen, wie Tests und Vorschriften funktionieren.
Willie Cauley-Stein (Dallas Mavericks, wird Vater), Avery Bradley (Los Angeles Lakers, kranker Sohn) und Trevor Ariza (Portland Trail Blazers, familiäre Gründe) haben verkündet, den Rest der Saison lieber aussitzen zu wollen – wie auch Davis Bertans, John Wall (beide Washington Wizards), Kyrie Irving (Nets) und DeMarcus Cousins (derzeit ohne Verein), die nach ihren Verletzungen antreten könnten, aber lieber verzichten.
Die Vereine mussten ihre jeweiligen Kader bis 1. Juli melden, von nun an wird jeder Spieler, der positiv auf das Coronavirus getestet wird, wie ein verletzter Akteur behandelt, der erst nach Quarantäne und einem negativen Test zu seinem Team zurückkehren darf. Vom 7. Juli an werden die Mannschaften nach Orlando reisen und dort in drei Hotels untergebracht sein, die Finalserie wird Mitte Oktober ausgetragen. «Die grössere Frage ist natürlich, was wir tun würden, sollte es eine signifikante Ausweitung innerhalb unserer Blase geben», sagt NBA-Boss Silver: «Wir haben noch nicht entschieden, wo wir die Grenze ziehen würden. Wir wollen jetzt erst einmal vor Ort sein und sehen, wie Tests und Vorschriften funktionieren.»
Tatsächlich wieder Tennis Ende August?
Das klingt vernünftig, offenbart jedoch die massiven Probleme im US-Sport: Sie alle wollen, ob nun beim Basketball, Baseball, Football, Tennis oder Golf, dass es nun endlich weiter- oder losgeht. Sie haben allesamt Konzepte erarbeitet, die – Stand jetzt – vernünftig klingen, und sie alle hoffen, dass es klappen wird. Auch mit dem US Open, das am 24. August beginnen soll – als erstes richtiges Tennisturnier seit Ausbruch der Pandemie.
Die bittere Wahrheit derzeit jedoch ist, dass niemand weiss, was sich beim Start am 23. Juli (MLB), 30. Juli (NBA), 6. August (PGA Championships), 24. August (US Open), 10. September (NFL) oder beim noch nicht terminierten Wiederbeginn der NHL und der Major League Soccer in diesem Trojanischen Pferd befinden wird, das alle gerade so eifrig ins Innere ihrer jeweiligen Sportmauern ziehen.
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