188 Ziele im ganzen LandMassive Attacken auf Infrastruktur: Russische Drohnenangriffe eskalieren
Vor dem Wintereinbruch versucht Russland die Ukraine gezielt zu schwächen. Ganze Teile des Landes waren am Donnerstag ohne Strom.

- Russland bombardierte massiv die ukrainische Stromversorgung und wichtige Infrastruktur.
- Etwa 12 Raketen trafen ihre Ziele, 35 Drohnen wurden abgeschossen.
- Ukrainische Kraftwerke und die Wasserversorgung sind wegen der Angriffe betroffen.
- Der Mangel an ausgebildeten Soldaten erschwert Kiews militärische Verteidigung.
Mit einem der massivsten Angriffe seit Beginn des Überfalls auf die Ukraine im Februar 2022 hat Russland die ukrainische Stromversorgung und andere wichtige Infrastruktur bombardiert. Russland hat nach ukrainischen Angaben in der Nacht zum Freitag mehr als 100 Drohnen auf die Ukraine abgefeuert. 88 der insgesamt 132 abgefeuerten Drohnen seien abgeschossen worden.
Bereits am Donnerstag feuerten die russische Luftwaffe und Schiffe der russischen Schwarzmeerflotte fast 100 bombenbestückte Drohnen und 91 Raketen und Marschflugkörper auf 188 Ziele im gesamten Land ab. 12 Raketen trafen offenbar ihre Ziele, von den 97 Drohnen schoss die ukrainische Luftabwehr nach offizieller Mitteilung nur 35 ab. Explosionen waren in fast allen grossen Städten der Ukraine zu hören.
Dem ukrainischen Energieminister Herman Haluschtschenko zufolge war es bereits der elfte massive russische Angriff auf die Stromversorgung allein in diesem Jahr. Militärgouverneure etwa in Kiew, Iwano-Frankiwsk, Wolhynien und Sumi sprachen von Schäden an Infrastruktur. Die ukrainische Stromverteilung Ukrenergo schaltete den Strom an vielen Orten des Landes ab. Auch die Wasserversorgung wurde teilweise unterbrochen.
Mit den massiven Angriffen setzt Russlands Diktator Wladimir Putin die Ukraine vor den anstehenden harten Wintermonaten mit Minustemperaturen von bis zu minus 20 Grad zusätzlich unter Druck. In der russischen Region Kursk haben die ukrainischen Kräfte seit Beginn ihrer Gegenoffensive auf russischem Gebiet im August 2024 mittlerweile wieder bis zur Hälfte der zunächst besetzten Gebiete verloren. Diese wollten Präsident Wolodimir Selenski und sein oberster General Olexander Sirski eigentlich als Gegenpfand für kommende Waffenstillstands- oder Friedensverhandlungen mit dem Kreml sichern.
Wichtige Städte könnten bald fallen
Gleichzeitig steht die Ukraine vor allem im Osten des Landes unter Druck, wie die Berichte des Instituts für Kriegsstudien (ISW) in Washington oder die Frontverlaufskarten des ukrainischen Infodienstes Deep State zeigen. In der Ostukraine haben die russischen Truppen seit dem Sommer Hunderte Quadratkilometer erobert. Die wichtige Stadt Pokrowsk könnte bald fallen, auch die wichtigen Garnisonsstädte Kramatorsk und Slowjansk sind nur wenige Kilometer von der Front entfernt. Russische Einheiten rücken etwa auch auf die Stadt Kupjansk vor. Und auch im Süden der Ukraine fürchten die Ukrainer nach russischen Verstärkungen eine Offensive auf die zentrale Stadt Saporischschja.
Zwar setzen die Ukrainer seit einigen Tagen nach Freigaben von US-Präsident Joe Biden und dem britischen Regierungschef Keir Starmer offenbar erfolgreich auf die Raketen der Typen Atacms und Storm Shadow. Die bis zu 200 Kilometer weit reichenden Geschosse feuern sie auf russische Munitionsdepots und andere Ziele auf russischem Territorium, um die Versorgung der russischen Armee zu erschweren. Doch Russland reagierte schnell mit einer offenkundigen Warnung an die westlichen Alliierten Kiews: Am 21. November feuerte es zum ersten Mal die offenbar neu entwickelte Oreschkin-Rakete auf die Ukraine ab; am Donnerstag drohte Putin mit deren Einsatz gegen Kiew und verglich die Rakete mit dem Einsatz von Atomwaffen. Bevor der gewählte US-Präsident Donald Trump am 20. Januar vereidigt wird, versucht die US-Administration, noch möglichst viele Waffen und Munition an Kiew zu liefern.
Zunehmend kritische Lage
Das drängendste ukrainische Problem ist indes der fatale Mangel an frisch ausgebildeten Soldaten, die die gefallenen, verletzten oder seit 2022 grossteils pausenlos an der Front kämpfenden Soldaten ablösen könnten. Weil es wegen zahlreicher Kriege und Krisen in der Ukraine doppelt so viele Vierzigjährige wie Zwanzigjährige gibt, verweigert Präsident Selenski bis heute die Einberufung von Ukrainern unter 25 Jahren; bis vor kurzem lag das Mindestalter für den Fronteinsatz gar bei 27 Jahren.
Nach London pocht nun auch Washington massiv darauf, das Alter für Einberufungen auf 18 zu senken, so die Associated Press unter Berufung auf Präsidialmitarbeiter. In der Ukraine sind dem englischen «Economist» zufolge bis zu 100’000 Soldaten gefallen. Die «Süddeutsche Zeitung» kam in einer Analyse im Februar 2024 zum Schluss, es könnten schon damals weit über 100’000 ukrainische Soldaten gefallen sein.
Die zunehmend kritische militärische Lage könnte Kiew bald zwingen, auf Friedens- oder Waffenstillstandsgespräche einzugehen. Ratgeber des kommenden US-Präsidenten sollen Trump vorgeschlagen haben, Kiew müsse Verhandlungen und den faktischen Verzicht auf ein Fünftel seines Staatsgebiets akzeptieren, um nach Trumps Amtsantritt überhaupt weitere Waffen zu bekommen.
Putin hat indes mehrmals bekräftigt, dass er sich nicht mit den bereits eroberten Gebieten zufriedengeben würde, sondern weitere ukrainische Territorien will: etwa die noch von Kiew kontrollierten Teile der Regionen Donezk oder Saporischschja. Auch Odessa und Kiew wurden mehrmals als russische Ziele genannt. Einer im Oktober abgeschlossenen Umfrage des Gallup-Instituts zufolge sind 52 Prozent der Ukrainer für ein schnelles Ende des Krieges durch Verhandlungen, 38 Prozent fordern weiter Kampf bis zum Sieg.
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