Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Nato-General warnt
«Russland führt einen hybriden Krieg gegen den Westen»

BRUSSELS, BELGIUM - JANUARY 18: NATO Deputy Supreme Allied Commander Transformation Gen. Chris Badia, Supreme Allied Commander Europe (SACEUR) Gen. Christopher Cavoli (not seen), Chair of the North Atlantic Treaty Organization (NATO) Military Committee Rob Bauer (not seen) hold a joint press conference as they attend NATO Military Chiefs of Defence meeting in Brussels, Belgium on January 18, 2024. Dursun Aydemir / Anadolu
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk
In Kürze:
  • Christian Badia stuft die Gefahr eines bewaffneten Konflikts als sehr hoch ein.
  • Russland führe einen hybriden Krieg gegen den Westen, nutze viele Grauzonen.
  • Die Nato müsse ihre defensiven und offensiven Fähigkeiten zur Abschreckung stärken.
  • Europäische Staaten sollten geschlossen auftreten, um gegenüber den USA ihre Position zu stärken.

Er ist der ranghöchste deutsche Nato-General: Seit vier Jahrzehnten steht der Bayer Christian Badia bei der deutschen Bundeswehr im Einsatz. Derzeit ist er auf dem Nato-Stützpunkt in Norfolk, Virginia, in den USA stationiert. Dort kümmert er sich im transatlantischen Bündnis um die Verteidigungsplanung. Badia (61) ist ein fröhlicher Typ, erinnert aber schnell an den Ernst der Lage. «Ich bin seit über 40 Jahren bei der Bundeswehr, die Gefahr eines möglichen bewaffneten Konflikts war nie grösser», sagt er. «Zu viele Grauzonen und daraus entstehende Fehlkalkulation sind das grösste Risiko.»

Im Kalten Krieg habe es noch das rote Telefon gegeben für Krisengespräche zwischen dem Weissen Haus in Washington und dem Kreml in Moskau. Das gebe es nicht mehr. «Die Gefahr einer ungewollten Eskalation ist um ein Vielfaches höher.»

Russland nutze Grauzonen aus

Auf die Frage, wie wahrscheinlich ein Angriff Russlands gegen einen Nato-Staat sei, erinnert Badia erst einmal an die Stärke des westlichen Militärbündnisses. Es habe bei Bedarf 3,5 Millionen Männer und Frauen unter Waffen und besitze die modernste Armee der Welt. «Die Nato würde ihre massive Schlagkraft einsetzen, um den Konflikt so schnell wie möglich erfolgreich zu beenden. Und das weiss Russland», sagt Badia.

Er will diese Botschaft allerdings nicht so verstanden wissen, dass sich der Westen ausruhen könne. Denn: «Der Angriff durch Russland auf Europa erfolgt ja schon jetzt.» Russland ermorde Regimegegner im Ausland, destabilisiere den Balkan, beanspruche weite Teile der Arktis für sich und sei für Cyberangriffe verantwortlich. «Russland führt einen hybriden Krieg gegen den Westen», sagt Badia.

Russland kann diesen so mit Nadelstichen traktieren, ohne dass es zu einer militärischen Konfrontation kommen muss. Die Beistandspflicht nach Artikel fünf des Nato-Statuts wird nur durch einen bewaffneten Angriff auf einen Verbündeten auf dessen Staatsgebiet ausgelöst. Was aber geschieht nach Cyberangriffen? Oder wenn ein deutscher Satellit im Weltraum zerstört würde? «Russland nutzt diese Grauzonen aus», sagt Badia. «Es kann eine russische Strategie sein, immer unterhalb der Schwelle von Artikel 5 zu bleiben. Auch so kann Russland seine Gegner schwächen.»

«Hier geht es um eine neue Weltordnung»

Die Auseinandersetzung mit Russland sei nicht bloss ein Kalter Krieg 2.0. «Hier geht es um eine neue Weltordnung», sagt Badia. Aus Sicht Moskaus sei der Krieg in der Ukraine denn auch nur ein Teil des Ganzen. Russland habe mit China, Nordkorea und dem Iran eine Phalanx gebildet, mit vielen gemeinsamen Aktivitäten wie der Entwicklung von Satelliten, Cyberfähigkeiten, Hyperschallwaffen. Diese Phalanx stelle zusammen mit Ländern wie Brasilien, Indien und Südafrika die westliche Dominanz infrage.

Russland hat im Krieg gegen die Ukraine bereits schwere Verluste an Menschen und Material erlitten, aber Badia warnt davor, das Land abzuschreiben. «Ich sage immer: niemals den Gegner unterschätzen», sagt er. «Wir müssen jetzt vorbereitet sein. Meine Einschätzung ist aber immer: Die Nato wird obsiegen.»

Ein Mix aus offensiven und defensiven Fähigkeiten

Badia, dessen offizielle Funktion Deputy Supreme Allied Commander Transformation lautet, soll das Bündnis an neue Umstände anpassen. Er betont, dass die Nato defensiv ausgerichtet sei. Ihre Hauptaufgabe sei Abschreckung und Verteidigung. Daraus ergebe sich die Frage, welchen Mix aus offensiven und defensiven Fähigkeiten sie dafür benötige. «Entscheidend ist dabei, dass die Nato-Nationen in allen fünf Dimensionen der Kriegsführung überlegen wirken können, also zu Land, zur See, in der Luft, aber auch im Weltraum und im Cyberspace.»

Die Logik dahinter: Je abschreckender ein Bündnis wirkt, desto unwahrscheinlicher ist es, dass es angegriffen wird. «Ich muss in der Abschreckung so gut sein, dass mein Gegner in ein Dilemma gerät und von einem Angriff absieht.»

Die Europäer sollten geschlossen auftreten

Defizite in der Nato sieht Badia vor allem bei der bodengestützten Luftverteidigung und bei weitreichenden konventionellen Präzisionswaffen. Auch müsse die Nato in ihre «Durchhaltefähigkeit» investieren, also in Munitionsvorräte, Ersatzteile und Verbrauchsgüter wie Treibstoff. Auch reichhaltiger Nachschub schrecke Gegner ab.

Herausforderungen sieht der Nato-General auch durch politische Entwicklungen im Westen. Zum einen in den USA: Der designierte US-Präsident Donald Trump werde wohl stärker als in der ersten Amtszeit das Verteidigungsministerium umbauen. Seine Gesprächspartner in Washington, sagt Badia, rechneten damit, dass es bis hinab in die mittleren Führungsebenen zu Veränderungen, gar zu Entlassungen kommen werde.

«Damit würden die Europäer viele Anknüpfungspunkte verlieren und Gesprächspartner, die sie kennen und einschätzen können», sagt er. «Dies könnte für die Verbündeten in Europa sehr fordernd werden, weil der zukünftige Präsident Trump die Europäer zugleich deutlich stärker in die Pflicht nehmen wird, ihre Zusagen einzuhalten.»

Der Nato-General warnt die Europäer davor, sich spalten zu lassen. Sie dürften nicht der Versuchung erliegen, jeweils bilateral mit Trump ein Auskommen zu suchen. «Sie müssen geschlossen auftreten und den Wert der europäischen Säule der Nato auch für die USA deutlich machen», sagt Badia.

Befürwortet Badia auch die Lieferung weitreichender Raketen an die Ukraine, mit denen sie Ziele tief auf russischem Gebiet treffen könnte? «Ja, das tue ich», sagt der General. «Wenn man der Ukraine hochmoderne Waffensysteme liefert, aber deren Verwendung einschränkt, ist das so, als würde man einem Boxer, der sich verteidigen soll, einen Arm hinter dem Rücken festbinden.»