Krieg in der UkrainePutin eskaliert mit erstem Kriegseinsatz einer Interkontinentalrakete
Russland soll die Waffe auf die Stadt Dnipro abgefeuert haben. Ist das die Antwort auf den Angriff der Ukraine auf ein besonders wichtiges Ziel mit britischen Marschflugkörpern?
- Russland soll erstmals eine Interkontinentalrakete in einem Krieg eingesetzt haben.
- Ein Luftangriff auf Dnipro könnte möglicherweise mit RS-26 Rubesch erfolgt sein.
- Die Ukraine nutzt britische Marschflugkörper für Angriffe auf russische Zielorte.
- Kiew erhielt kürzlich die Erlaubnis, Ziele in Russland mit US-Waffen anzugreifen.
Russland soll nach ukrainischen Angaben zum ersten Mal eine ballistische Interkontinentalrakete eingesetzt haben. Bislang gibt es dafür keine unabhängige Bestätigung.
Sollten sich die ukrainischen Angaben als richtig herausstellen, wäre dies der erste Einsatz einer solchen Rakete in einem Krieg überhaupt.
Entwickelt wurden diese Waffen auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges. Ziel sei die zentralukrainische Stadt Dnipro gewesen, meldete unter anderem die ukrainische Luftabwehr. Videos zeigen, dass in der Nacht zum Donnerstag auf die Stadt ein Luftangriff verübt wurde, die Bilder deuten auf die Verwendung von Mehrfachsprengköpfen hin, wie sie für Interkontinentalraketen typisch sind. Ziel des russischen Angriffs waren offenbar Unternehmen und kritische Infrastruktur in der Region Dnipro. In Dnipro wurde den örtlichen Behörden zufolge ein Industrieunternehmen beschädigt. Zudem seien zwei Brände in der Stadt ausgebrochen.
Laut ukrainischen Angaben war Dnipro unter anderem mit einer Rakete des Typs RS-26 Rubesch angegriffen worden. Gestartet worden sei diese von der südlichen Region Astrachan am Kaspischen Meer. Ob tatsächlich eine Rakete dieses Typs eingesetzt wurde, ist noch unklar. Über die RS-26 ist wenig bekannt. Ihre Weiterentwicklung war offiziell 2018 eingefroren worden. Sie verfügt über eine Reichweite von 2000 bis 6000 Kilometern. Klassische Langstreckenraketen haben eine Reichweite von mehr als 5500 Kilometern.
Mit Atomsprengköpfen bestückbar
Mit der RS-26 wollte Moskau auch den INF-Vertrag zur Begrenzung von nuklearen Mittelstreckenraketen umgehen. Diesen setzten 2019 die USA und Russland aus. Langstreckenraketen werden oft mit Nuklearsprengköpfen bestückt. Die jetzt laut Kiew eingesetzte Rakete besass keinen solchen Sprengkopf. Es gibt zurzeit auch keine Hinweise, dass Russland plant, die Ukraine mit Atomwaffen anzugreifen.
Bereits am Mittwoch gab es Gerüchte über den möglichen Einsatz einer RS-26-Rakete. Die Ukraine nannte dies «russische Desinformation». Einige westliche Staaten schlossen vorsorglich ihre Botschaften in Kiew.
In der Ukraine wird der russische Angriff als Antwort gewertet auf den Einsatz weitreichender westlicher Raketen gegen Ziele auf russischem Territorium. Am Mittwoch hatte die Ukraine erstmals mit britischen Marschflugkörpern ein Ziel in Russland angegriffen. Das bestätigten mehrere mit der Operation vertraute Personen, die anonym bleiben wollen, westlichen Medien.
Angeblich russische Kommandozentrale getroffen
Ein verifiziertes Drohnenvideo zeigt Einschläge in der kleinen russischen Ortschaft Marjino, gut 40 Kilometer von der Grenze zur Ukraine entfernt. Hier soll sich eine Kommandozentrale befinden, von der die russische Gegenoffensive zur Rückeroberung der von der Ukraine besetzten Gebiete in der Region Kursk geleitet wird. Eine Bestätigung dafür gab es am Donnerstag nicht. Russland fing nach eigenen Angaben zwei Marschflugkörper vom Typ Storm Shadow ab.
Dass aber mindestens zehn der teuren und nur in sehr begrenzter Zahl vorhandenen Storm Shadows eingesetzt wurden, ist ein starkes Indiz dafür, dass die ukrainische Militärführung sicher war, ein extrem wichtiges Ziel ins Visier zu nehmen. Um so viele Flugkörper gleichzeitig abfeuern zu können, mussten zudem mehrere ukrainische Bomber aufsteigen, was ein relativ grosses Risiko bedeutet. Die ukrainische Luftwaffe bringt die Marschflugkörper im Normalfall paarweise von niedrig fliegenden Suchoi-Su-24-Überschallbombern auf den Weg.
Mit den Storm-Shadow-Präzisionswaffen, die speziell zur Zerstörung gehärteter Strukturen wie Bunker und kritischer Infrastruktur konzipiert sind, wurde mehr als einmal auf ungefähr dieselbe Stelle gezielt. Auch das deutet darauf hin, dass die Kommandozentrale zumindest in Teilen unterirdisch untergebracht war. Die getroffenen Gebäude befinden sich im Schloss- und Parkensemble Marjino, in dem sich ein Sanatorium befand oder befindet. Es liegt nur etwa 25 Kilometer nordöstlich von dem von der Ukraine besetzten Gebiet in Russland.
Erst am Dienstag hat Biden den Einsatz genehmigt
Bilder, die Teile explodierter Storm-Shadow-Flugkörper zeigen sollen, wurden auf russischen Kanälen im Messengerdienst Telegram veröffentlicht. Darauf ist die Aufschrift «Storm Shadow» zu lesen, ihre Authentizität kann aber nicht unabhängig überprüft werden. Über mögliche Opfer wurde zunächst nichts bekannt. Laut einem ukrainischen Nachrichtenportal waren möglicherweise auch nordkoreanische Soldaten und Offiziere in dem Stützpunkt. Der britische Premierminister Keir Starmer gab zunächst keine Stellungnahme ab. Auch aus der Ukraine gab es bis zum Donnerstagnachmittag keine offizielle Bestätigung für den Angriff.
Moskau hat in der Region Kursk etwa 50’000 Soldaten zusammengezogen, um das im August von ukrainischen Streitkräften eroberte russische Gebiet zurückzuerobern. Die Ukraine versucht nun dort, die russische Logistik zu stören. Am Dienstag hatte die ukrainische Armee erstmals mit weitreichenden US-Raketen ein Ziel in Russland angegriffen, Atacms-Raketen zerstörten ein Munitionslager in der Region Brjansk.
Erst kurz zuvor hatte US-Präsident Joe Biden Kiew die Erlaubnis erteilt, bestimmte Ziele auf russischem Gebiet mit den US-Waffen anzugreifen. Zu diesem Zeitpunkt war bereits klar, dass Grossbritannien und Frankreich sich anschliessen würden. Beide Länder lieferten der Ukraine schon im Mai 2023 Storm-Shadow-Marschflugkörper, in Frankreich Scalp genannt. Diese wurden unter anderem erfolgreich gegen Ziele auf der von Russland besetzten Krim eingesetzt.
Unklar, über wie viele Marschflugkörper die Ukraine verfügt
Die USA, Frankreich und Grossbritannien hatten über die Freigabe der Waffen am Rande des G-20-Gipfels in Rio de Janeiro Anfang der Woche beraten. Die Entscheidung der drei Regierungen gilt vor allem als Reaktion auf die Verstärkung der russischen Streitkräfte im Raum Kursk durch etwa 11’000 nordkoreanische Soldaten. Über wie viele der Marschflugkörper die Ukraine verfügt, ist unklar. Die französischen und britischen Bestände gehen zur Neige. Der ehemalige ukrainische Verteidigungsminister Andri Sahorodnjuk sagte der «Financial Times», Kiew «braucht möglicherweise gar nicht so viele, wenn die Präzision und die Zielplanung gut sind».
Die Regierung in Moskau nennt die Freigabe-Entscheidungen eine Eskalation. Putin hatte zuvor mehrmals erklärt, die Erlaubnis, die Waffen gegen Ziele in Russland einzusetzen, würde aus seiner Sicht bedeuten, dass sich Nato-Länder direkt im Krieg mit Moskau befinden. Die von Putin bereits länger geplante Verschärfung der Nuklear-Doktrin wurde Anfang dieser Woche vollzogen und damit die Schwelle für den Einsatz von Atomwaffen gesenkt.
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