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Machtkampf in Kiew
Ein Rauswurf des ukrainischen Top-Generals birgt Risiken

epa11044724 Valerii Zaluzhnyi, Commander-in-Chief of the Armed Forces of Ukraine, addressing a press conference in Kyiv, Ukraine, 26 December 2023 amid the Russian invasion. Zaluzhnyi spoke a day after Ukraine's parliament published the text of a law containing reforms to the army draft, including lowering the age of men who can be mobilised to 25 from 27.  EPA/OLEG PETRASYUK
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Meter um Meter dringen die russischen Soldaten in der Ukraine vor. Entlang der gesamten Front befinden sich die Landesverteidiger in der Defensive. Eilig werden Befestigungen errichtet, um abzusichern, was man hat. Das zurzeit grösste Problem für Kiew: der Mangel an Artilleriemunition. Ukrainische Artilleristen berichteten, sie hätten an manchen Tagen nur Rauchgranaten zur Verfügung. Damit lässt sich der Feind nicht stoppen. Und der Druck wächst.

Es ist die besorgniserregende militärische Situation, die auch innenpolitisch Verwerfungen zur Folge hat. Mit jedem verlorenen Meter steigt der Druck auf Wolodimir Selenski. Und der ukrainische Präsident reagiert mit Gegendruck. Es ist wohl nur noch eine Frage von Tagen, bis Selenski den Oberbefehlshaber der Armee, Waleri Saluschni, feuert.

Selenski sieht Saluschni als politischen Rivalen

Schon lange gibt es zwischen den beiden heftige Auseinandersetzungen über die militärische Strategie. Nachdem im Sommer die ukrainische Gegenoffensive gescheitert war, haben sich die Spannungen noch einmal deutlich verschärft. Selenski sieht den bei Soldaten und Bevölkerung beliebten General ausserdem als politischen Rivalen.

Saluschni ist überzeugt, dass sich die Politik zu oft in militärische Entscheidungen einmischt. Und gleichzeitig zu wenig dafür tut, die Armee kampffähig zu halten. Viel mehr Soldaten müssten mobilisiert werden.

Doch der Präsident, der eine solche Entscheidung treffen müsste, agiert zögerlich. Selenski fürchtet die Reaktion der Öffentlichkeit, wenn noch mehr Männer an die Front beordert werden. Ein Mobilisierungsgesetz, das unter anderem vorsieht, jüngere Männer als bislang einziehen zu können, wird nach heftiger Kritik gerade überarbeitet.

Ukraine-Konflikt, Präsident Wolodymyr Selenskyj beschenkt Soldaten in Dnipro  July 27, 2023, Dnipro, Dnipropetrovsk Oblast, Ukraine: Ukrainian President Volodymyr Zelenskyy, left, embraces Commander in Chief of the Ukrainian Armed Forces Valerii Zaluzhnyi, right, after presenting him with a gift handgun following a briefing with frontline military leaders, July 27, 2023 in Dnipro, Dnipropetrovsk Oblast, Ukraine. Dnipro Ukraine - ZUMAp138 20230727_zaa_p138_002 Copyright: xPoolx/UkrainianxPresidentiax

Ein erster Versuch Selenskis, Saluschni loszuwerden, war am Montag vor einer Woche gescheitert. Der Präsident wollte laut übereinstimmenden Medienberichten seinen Oberbefehlshaber auf einen Beraterposten wegloben, doch dieser lehnte die Bitte Selenskis ab, innerhalb einer Woche freiwillig zurückzutreten.

Jetzt wird in Kiew spekuliert, dass Selenski, dessen Beliebtheitswerte gegenwärtig sinken, den harten Schnitt wagt und den Befehlshaber per Präsidentschaftsdekret feuert. Die USA, seinen wichtigsten Verbündeten, hat Selenski darüber offenbar bereits informiert.

«Sicherlich ist ein Neuanfang notwendig. Ich denke über diesen Austausch nach.» Das sagte Selenski der italienischen Sendeanstalt RAI gerade auf die Frage nach einer möglichen Entlassung Saluschnis. Zwar fügte er an, dass er damit die Ablösung einer Reihe von führenden Persönlichkeiten der Ukraine meine, «nicht nur in einem einzelnen Bereich wie dem Militär». Alle an der Staatsspitze müssten nach seinen Worten in dieselbe Richtung gehen und überzeugt vom Sieg der Ukraine sein. Selenski erklärte, notwendig seien Einigkeit und Zuversicht. «Wir müssen die richtige und positive Energie haben. Negativität muss zu Hause bleiben.»

Viel zitierter Text im «Economist»

Doch auch wenn es wahrscheinlich ist, dass Selenski einige Posten in Kiew neu besetzen will, braucht es nicht viel Fantasie, um zu erkennen, dass diese Worte vor allem gegen einen gerichtet waren: Saluschni. Der General zeichnet nach Meinung Selenskis in der Öffentlichkeit oft ein zu negatives Bild der militärischen Lage. So führte ein viel zitierter Text im «Economist», in dem Saluschni im vergangenen November von einer Pattsituation im Krieg geschrieben hatte, zu grosser Verärgerung bei Selenski. Der ukrainische Präsident glaubt, solche öffentlich geäusserten Einschätzungen würden die Verbündeten verunsichern.

Saluschni bekam die Anweisung, sich nicht mehr unabgesprochen öffentlich zu äussern. Doch er hält sich nicht daran, gerade legte er in einem Gastbeitrag für CNN noch einmal nach und beklagte, dass Russland bei der Mobilisierung grosse Vorteile habe. In der Ukraine dagegen seien die staatlichen Institutionen unfähig, eine Vergrösserung der Streitkräfte ohne «die Durchführung unpopulärer Massnahmen» zu veranlassen. Aufgrund des Widerstands in der Ukraine habe man keine hinreichende Kampfkraft aufbauen können. Deutlicher kann die Kritik am Präsidenten kaum ausfallen.

In der aktuellen Lage stellt die Entlassung des Oberbefehlshabers allerdings ein grosses Risiko dar. Bei den Verbündeten werden die Fragen zur Zuverlässigkeit der Ukraine lauter werden. Entscheidend wird sein, welche Auswirkungen ein Rauswurf Saluschnis auf die Moral der Soldaten hat. Bei denen geniesst der Kommandant grossen Rückhalt, nach der Verteidigung Kiews zu Kriegsbeginn gilt er vielen als Held. Ein Besuch an der Front, wie der Präsident ihn gerade unternommen hat, wirkt da fast wie vorauseilende Schadensbegrenzung. Selenski hatte Orden dabei.