Schweizer Friedensgipfel Was braucht es, um über Frieden zu reden? «Das werde ich Russland fragen», sagt Cassis
Die Schweiz will eine Ukraine-Konferenz ausrichten. Nun verrät Ignazio Cassis mehr zu den Plänen. Was will Bern? Welche Rolle spielen Indien und China? Die wichtigsten Antworten.
Wie soll dieser Friedensgipfel genau aussehen?
Es gab bereits vier Treffen zur sogenannten «Friedensformel», die der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski angestossen hat. Dort kamen nationale Sicherheitsberater von zuletzt über 80 Ländern zusammen. Russland war nicht beteiligt. Nun will die Schweiz eine Konferenz auf Ebene von Präsidenten oder Regierungschefs organisieren. Noch ist offen, ob es einen grossen Gipfel geben soll oder verschiedene kleinere Treffen auf Stufe der Staatschefs.
Die Schweiz sieht Genf als Austragungsort vor. Ein Datum steht noch nicht fest. Auch die Ziele müssen noch definiert werden. Denn: Ein Friedensabkommen wäre kein realistisches Ziel für den Anfang.
Wer soll teilnehmen?
Die Schweiz will darauf hinarbeiten, dass sich möglichst viele Staatschefs am Friedensgipfel beteiligen – insbesondere auch aus Staaten, die sich bisher eher auf der Seite Russlands positioniert haben. Das kann aus zwei Gründen vielversprechend sein: Einerseits würde es den Druck auf Russland erhöhen, sich künftig zu Gesprächen bereit zu erklären. Andererseits ist es aber auch eine Möglichkeit, sich Russland anzunähern. So könnten indirekt russische Interessen in die Debatte einfliessen. Bisher widerspiegelt der 10-Punkte-Plan der «Friedensformel» die ukrainischen Interessen.
Besonders wichtig sind aus Sicht der Schweiz die Brics-Staaten, also Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika. Cassis reist in der zweiten Februarwoche nach China und Indien, um diese beiden Länder für den Gipfel zu gewinnen. Mit Brasilien laufen laut dem Aussendepartement ebenfalls Gespräche.
Gibt es eine Chance, Russland von einer Teilnahme zu überzeugen?
Dass Russland direkt am ersten Friedensgipfel auf höchster Ebene teilnimmt, dürfte unwahrscheinlich sein. Zu skeptisch hat sich Russland bisher gegenüber der «Friedensformel» geäussert. Aber Cassis hat schon mehrmals betont: «Es ist klar: Ein Ende des Kriegs kommt nicht, ohne dass Russland beteiligt ist. Der Rest ist Illusion.»
Die russische Botschaft schreibt in einer ersten Stellungnahme zum Gipfel, eine Teilnahme Russlands sei nicht vorgesehen. Denn: Die «Friedensformel» stelle «im Grunde eine Reihe von Ultimaten an Russland» dar. Und: «Ultimaten können nicht als Grundlage für die Aufnahme von Verhandlungen dienen.»
Cassis hingegen sagt: «Wir haben Zeichen, dass Russland bereit ist, vom Ende eines Krieges zu sprechen.» Das habe Putin schon öffentlich gesagt, und die Schweiz habe noch einige zusätzliche Zeichen erhalten. Auf Nachfrage dieser Redaktion präzisiert Cassis: «Ich glaube, Russland hat auch nicht im Sinn, noch 20 Jahre weiterzukämpfen.» Die Frage sei, unter welchen Bedingungen Russland bereit sei, über Frieden zu diskutieren. «Das werde ich Russland fragen», so Cassis. Putin nannte bisher jeweils eine ganze Reihe von Kriterien – und stellte Ansprüche auf ukrainisches Territorium. (Lesen Sie unsere Analyse zur Ukraine-Konferenz: Friedensgipfel in der Schweiz – naiv oder ein Coup?)
Wie steht es um die Neutralität?
Auf die Frage, ob die Organisation eines solchen Gipfels – auf den Wunsch der Ukraine hin – mit der Neutralität vereinbar sei, sagt Cassis: «Das ist absolut im Sinn unserer Neutralität. Gerade weil wir neutral sind, können wir es tun.»
Russland anerkennt die Schweiz derzeit aber nicht als neutrales Land. Im Gegenteil: Sie ist sogar seit bald zwei Jahren auf Russlands Liste «unfreundlicher Staaten» aufgeführt. (Lesen Sie dazu: Selenski und die Schweiz – ist das noch neutral?)
Auf Anfrage dieser Redaktion schreibt die russische Botschaft in Bern im Hinblick auf den Friedensgipfel in der Schweiz: «Mit Bedauern müssen wir feststellen, dass die Schweizer Bundesbehörden einmal mehr bewiesen haben, dass sie bereit sind, nur die ukrainische Position in Betracht zu ziehen. Von echter Neutralität kann nicht die Rede sein.»
Cassis sagt, wegen der Übernahme der EU-Sanktionen habe Russland die Neutralität infrage gestellt: «Was verständlich ist, da haben wir auch nichts anderes erwartet.» Aber man habe den Kontakt immer aufrecht erhalten mit Russland in den letzten zwei Jahren. Die Schweiz vertritt auch weiterhin die russischen Interessen in Georgien, hat also ein sogenanntes Schutzmachtmandat. «Nun ist es wichtig, dass wir Fingerspitzengefühl beweisen, um einen Weg zu finden», so Cassis.
Was stellt sich die Ukraine unter diesem Gipfel vor?
Teilnehmen sollen aus Sicht der Ukraine alle Staaten, welche ihre territoriale Integrität respektieren. Dies schliesst Russland aus. Die Ukraine verfolgt das Ziel, möglichst viele Unterstützer zu gewinnen. Sie dürfte darauf pochen, dass alle oder möglichst viele der 10 Punkte aus der «Friedensformel» auch am Gipfel besprochen werden. Es geht unter anderem um die Kernkraft, ein Kriegstribunal und Sicherheitsgarantien.
Bei welchen Themen könnte eine Einigung möglich sein?
In den kommenden Wochen – vielleicht auch Monaten – wird es für die Schweiz auch darum gehen, die Inhalte festzulegen. Davon dürfte eine Teilnahme von Staaten wie China, Indien oder gar dem Iran abhängen. Eine Einigung ist bei vielen der zehn Punkte von Selenskis Friedensformel wohl vorerst unrealistisch.
Die Schweiz muss nun abtasten, bei welchen Punkten sich ein gemeinsamer Nenner zwischen Ukraine-Freunden und Russland-Unterstützern abzeichnet. Viele Staaten verfolgen eine eigene Agenda. Selenskis rechte Hand, Andrij Yermak, hob etwa hervor, dass die territoriale Integrität als völkerrechtliches Prinzip von allen der rund 80 Teilnehmerstaaten des letzten Treffens grundsätzlich anerkannt werde. Dies könnte einer der Bereiche sein, bei denen womöglich eine Einigung denkbar ist, weil manche von Russlands Unterstützern hier selbst etwas zu verlieren haben. So beruft sich etwa China gerne auf die territoriale Integrität, wenn es über Taiwan spricht. Cassis sprach vor den Medien zwar nicht über einzelne Punkte, sagte aber: «Wichtig ist, dass das Völkerrecht beachtet und die territoriale Integrität respektiert wird. Je mehr Länder das deutlich sagen, desto besser ist die Ausgangslage.»
Ein weiterer Bereich mit Einigungspotenzial könnte die Ernährungssicherheit sein. Die Ukraine ist eine wichtige Getreideproduzentin. Auch Länder des sogenannten globalen Südens, insbesondere in Afrika, sind auf Lieferungen aus der Ukraine angewiesen. Solange ukrainische Gebiete besetzt und andere vermint sind und auch Handelswege teils blockiert, wird der Getreideanbau allerdings erschwert.
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