Weltwirtschaftsforum in ChinaÜber die wirklichen Probleme redet hier keiner
Auf dem «Sommer-Davos» werden wichtige Fragen kaum angesprochen. Für das Highlight des Treffens in Tianjin sorgt ausgerechnet Österreichs Ex-Kanzler Sebastian Kurz.
Erst langsam, dann immer schneller lassen die Trommler ihre Stöcke niedersausen. Projektoren werfen Schriftzeichen auf halbseidene Leinwände. Dahinter verrenken Tänzer in langärmligen Gewändern ihre Gliedmassen, die Gesichter silbern angesprüht. Währenddessen steigt der Duft von Räucherstäbchen empor.
All das soll die Zuschauer im Theater zurückversetzen in die Zeit, als in China noch die Kaiser herrschten. Damals, so heisst es im Vorspann, kamen Gesandte aus aller Welt an ihren Hof, um Tribut zu zollen. Das sind diplomatische Beziehungen ganz nach dem Geschmack von Chinas aktuellem Langzeitherrscher Xi Jinping.
Der Bedeutung Chinas Tribut zollen, das ist der Sinn des Weltwirtschaftsforums (WEF) in Tianjin. Die Veranstaltung wird auch «Sommer-Davos» genannt, nach der jährlichen Vorbildveranstaltung im Winter in der Schweiz. Erstmals nach drei Jahren Corona-Pause konnte das dreitägige Event wieder vor Ort stattfinden, am Donnerstag ist es zu Ende gegangen.
Auf dem Programm stand nicht weniger als die Suche nach Lösungen für die schlechten globalen Wirtschaftsaussichten und den Grossmächtekonflikt zwischen den USA und Gastgeber China. Und zwischendurch Tai-Chi-Übungen und propagandistisches Theater, Kulturprogramm genannt. Dafür, dass sich alle Teilnehmer einig waren, dass Kommunikation der Schlüssel ist, wurde jedoch ziemlich wenig über die eigentlichen Probleme gesprochen.
Die Welt und die schwächelnde chinesische Wirtschaft «erleuchten»
Den Aufschlag zum Forum machte Regierungschef Li Qiang. Der ist gerade von seiner Europareise nach Deutschland und Frankreich zurückgekehrt und soll nun das Publikum mit seiner Sicht auf die Welt und die schwächelnde chinesische Wirtschaft «erleuchten», wie WEF-Gründer Klaus Schwab es ausdrückt.
Wer gehofft hatte, dass Li nach seiner Reise grösseres Verständnis für die europäischen Sorgen hätte, wurde schnell enttäuscht: «Einige im Westen» würden es mit dem «Gerede vom De-Risking übertreiben», sagte er. Gegenseitige Abhängigkeiten seien gut. Die Verringerung wirtschaftlicher Risiken sei nicht die Aufgabe von Regierungen, sondern von Unternehmen. Regierende sollten «Risiken nicht in ideologische Werkzeuge verwandeln».
Immerhin: Bei der konjunkturellen Entwicklung sieht es gut aus. Der Appell zu mehr unternehmerischer Eigenverantwortung aus dem Mund des Regierungschefs eines Landes mit riesigen Staatsfirmen ist schon bemerkenswert. Ebenso die Verteidigung gegenseitiger Abhängigkeiten, wenn Selbstversorgung in Schlüsseltechnologien in China doch mittlerweile Staatsräson ist. Zuletzt wirkt der Aufruf zu weniger Ideologie schon allein absurd ob der gesammelten Werke Xi Jinpings, die prominent im Eingangsbereich der Veranstaltungshalle sowie im Pressebereich aufgebaut waren.
Gute Nachrichten hatte Li Qiang immerhin für die konjunkturelle Entwicklung: Das Wirtschaftswachstum im zweiten Quartal werde die 4,5 Prozent vom ersten Quartal übertreffen, und das Jahreswachstum werde das Ziel von rund fünf Prozent erreichen. Selbst chinesische Ökonomen wiesen auf dem Forum jedoch darauf hin, dass das Wachstum im Vorjahreszeitraum wegen des Lockdown in Shanghai katastrophal ausfiel, die Schwelle also niedrig liegt. Und dass die aktuellen staatlichen Massnahmen trotz Lis Beteuerungen nicht ausreichen, um die strukturellen Probleme wie Jugendarbeitslosigkeit, Krise im Immobiliensektor und mangelndes Zukunftsvertrauen der Verbraucher zu lösen, war abseits der Podien ebenfalls Konsens.
Wie wenig die chinesische Regierung ausrichten kann, zeigt sich allein schon in der 14-Millionen-Stadt Tianjin. Zwar stehen überall Baukräne, der Containerhafen ist dank Huawei-Technologie voll automatisiert, und am Hai-Fluss funkeln nachts die angestrahlten Hochhäuser und Brücken. Doch wer genauer hinsieht, erkennt Rostflecken. Der «China 117 Tower» etwa ist mit knapp 600 Metern eines der höchsten Gebäude der Welt – das höchste ungenutzte Gebäude, um das «Guinnessbuch der Weltrekorde» zu zitieren. Denn der 2008 begonnene Turmbau wurde nie fertiggestellt, das oberste Drittel ist ein Stahlbetongerippe und Mahnmal der desolaten wirtschaftlichen Lage. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Lokalregierung ist überschuldet. Neue Ideen sind gefragt.
Hochkarätige westliche Unternehmensführer sind kaum anwesend
Ausländische Investoren wären hochwillkommen. Doch die sind nach drei Jahren Null-Covid-Abschottungspolitik und wachsenden Spannungen um Taiwan verschreckt. Hochkarätige westliche Unternehmensführer finden sich unter den Forumsteilnehmern kaum. Auch Politprominenz blieb dem Treffen fern, selbst der iranische Aussenminister sagte noch kurzfristig ab. Als einziger westlicher Regierungschef liess sich Neuseelands Chris Hipkins kurz blicken. Zum Dank gab es eine Audienz bei Xi Jinping, zusammen mit den Kollegen aus Barbados, Vietnam und der Mongolei.
So oblag es ausgerechnet Österreichs Ex-Kanzler Sebastian Kurz, die europäische Sichtweise zu Chinas Neue-Seidenstrasse-Initiative zu repräsentieren – und ungewollt den entlarvendsten Moment des Forums einzuleiten. Dieser outete sich als Fan, denn China kreiere mit seinen Auslandsinvestitionen Jobs und Wachstum. Nachdem das Panel, bestehend aus drei Chinesen, Kurz und der Handelsministerin von Zimbabwe sich ausführlich darüber einig gewesen war, wie «grün» die Initiative doch mittlerweile sei, wie sehr sie die «Herzen verbindet» und einen «Lichtstrahl» ins finstere Afrika sende, erlaubte der Moderator doch noch eine Frage aus dem Publikum.
Die kam von einem jungen Mann aus Sri Lanka. Der ging jedoch nicht auf Chinas Rolle bei der Schuldenkrise seines Landes ein, sondern darauf, wie man Indien bei Xis Herzensprojekt an Bord holen könnte. Nun muss man wissen, dass China und Indien Erzfeinde sind und jede Meinungsäusserung dazu von höchster Stelle abgesegnet werden muss. In seiner Not fragte der Moderator also Sebastian Kurz, dessen Ahnungslosigkeit ihm ins Gesicht geschrieben stand. Hilflos blickte er sich auf dem Panel um, doch von den Chinesen kein Mucks. Also zuckt Kurz die Schultern und sagt: «Keine Antwort ist auch eine Antwort.»
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