Analyse zu Elon Musks Tweet-RegelWas wirklich hinter der Twitter-Änderung steckt
Der Twitter-Chef hat die Anzahl Tweets pro User und Tag beschränkt. Seine Begründung – die künstliche Intelligenz – ist dabei nur ein Vorwand.
Am Samstag war plötzlich Twitter dicht. Nur noch das Layout war zu sehen. Der Chef persönlich hatte das angeordnet. Nun muss man sich Elon Musk wie eine Mischung aus Daniel Düsentrieb und Kater Karlo aus den Disney-Comics vorstellen. Hin und wieder erscheint eine Glühbirne über seinem Kopf. Dann schickt er seine kleinen Helferlein an die Werkbank, und schon (schraub, fummel, hämmer) landet eine Rakete verkehrt herum, fährt ein Auto wie durch Zauberhand durch die Wüste oder alle Häuser bekommen eine hübsche Batterie, damit der Solarstrom nicht wegsuppt.
Manchmal aber guckt Elon Musk richtig fies und kaut an einem Stumpen herum. Dann überlegt er sich, wer mal so richtig eins vor den Latz bekommen sollte, kauft sich Twitter, beschimpft dort Leute, die es sowieso schon schwer genug haben im Leben, oder er verabredet sich mit Mark Zuckerberg zum Käfigkampf im Kolosseum. Was vermutlich keine gute Idee war, weil Mark Zuckerberg aussieht, als ob er sich seinen vielen Ärger bei Crossfit wegtrainiert. (Lesen Sie dazu: Männlicher Fitnesswahn: Pump up the Volume.)
KI ist nur Vorwand
Am Samstag war es wieder so weit. Da tauchte eine Glühbirne über Elon Musks Kopf auf, er kaute ein wenig auf seinem Stumpen herum, und schon bald (schraub, fiesel, hämmer) kam niemand mehr an sein Twitter-Konto. Die Erklärung fand sich in einem Tweet von ihm, in dem er am Samstagmorgen so gegen zehn Uhr amerikanischer Westküstenzeit (am früheren Morgen schaut er samstags gern «Cocomelon»-Videos mit seinem Sohn X) der Welt erklärte, dass jetzt aber Schluss sei mit dem Schmarotzertum der Datenschürferei und Systemmanipuliererei.
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Damit waren offensichtlich die künstlichen Intelligenzen gemeint, die seit einiger Zeit gierig das Internet ausschaben, damit sie wissen, was los ist in der Welt. Das können die Bücher sein, die Google vor ein paar Jahren mal kistenweise aus den Bibliotheken in seine Scanner-Räume geschleppt hat, all die Gratisinfodienste oder eben die sozialen Netzwerke. Die neuen Regeln schrieb Musk auch gleich auf. Wer ein neues, nicht verifiziertes Konto hat, darf nur noch 300 Posts am Tag sehen, Bestandskunden ohne das Abo mit dem blauen Häkchen 600 Posts, und alle, die knapp zehn Euro im Monat dafür bezahlen, 6000 Einträge. (Mehr zu Elon Musk: Der Twitter-Chef nimmt offenbar Ketamin gegen Depressionen.)
Winkelzüge waren noch nie seine Stärke, deswegen war es auch am Samstag sehr offensichtlich, dass sich hier mal wieder ein Schurke hinter den künstlichen Intelligenzen versteckt. Das war ähnlich, wie die Sparfüchse vom Springer-Verlag neulich ihr Kündigungsmassaker auf die KI oder die beiden New Yorker Anwälte ihre Pfuscherei auf Chat-GPT schieben wollten. Man kann nun nicht mit Sicherheit behaupten, dass Elon Musk weiss, was eine Drückerkolonne ist. Das waren in vordigitalen Zeiten Rudel meist junger Männer, die von Tür zu Tür zogen und mit allerlei unlauteren Methoden bis hin zur offenen Drohung Illustrierten-Abos, Stromverträge oder Mitgliedschaften in Wohltätigkeitsvereinen verkauften.
Jetzt drängelt sich also Musk in die digitalen Wohnstuben und will blaue Häkchen verscheuern. Grund genug hat er. Twitter war trotz eines Jahresumsatzes von 4,4 Milliarden Dollar 2022 seit seiner Gründung im März 2006 noch nie profitabel. Seit Musk den Dienst gekauft und zu seiner persönlichen Sudelwand erklärt hat, laufen ihm die Werbekunden weg. Die aber machen immer noch 90 Prozent der Einkünfte aus. Das Abomodell für die blauen Häkchen war bisher eine der wenigen Ideen, die er hatte, um irgendwie anders Geld zu verdienen.
Seit sie Geld kosten, will niemand mehr die blauen Häkchen haben.
So ganz wird die Rechnung nicht aufgehen. Seit sie Geld kosten, will nämlich niemand mehr die blauen Häkchen haben. Ursprünglich bekamen die nur Leute, die berühmt oder sonst irgendwie wichtig waren. Superstars, Wissenschaftler und Zeitungen zum Beispiel, damit sich die Twitterati sicher sein konnten, dass sich hinter dem Namen nicht eine Trollfarm verbirgt. Seit dem 1. April muss man dafür nun bezahlen. Was zur Folge hatte, dass sich die Trollfarmen haufenweise solche blauen Häkchen kauften und damit sogar Börsenkurse zum Einknicken brachten.
Die alteingesessenen Behakten dagegen weigerten sich in der Regel, das zu bezahlen, wobei es ihnen nicht ums Geld ging, sondern darum, dass sich die Statushäkchen in digitale Freierzinken verwandelt haben. Wer die hat, zahlt offenbar. Ein paar Promis bekamen sie dann, ohne sie zu wollen, Stephen King zum Beispiel, William Shatner und LeBron James. Das wurden noch ein paar mehr, solange sie nur Followerzahlen in mindestens siebenstelliger Höhe hatten. Manche beschwerten sich. Sie wollten den Zinken nicht.
Wird Musk die Beschränkung wieder aufheben?
Wer jetzt aber Twitter weiter nutzen will, als Journalist zum Beispiel, denn der Kurznachrichtendienst ist immer noch eine wichtige Nachrichtenquelle, der muss sich zwangsläufig so ein Schleifchen kaufen. Auch wenn die Rechnung immer noch nicht aufgeht. Denn selbst 6000 Posts sind im Strudel so eines Newsfeeds ungefähr so, als hätte jemand den Rechner an eines jener Einwahlmodems angeschlossen, die im 20. Jahrhundert mit viel Gefiepe das Internet tröpfchenweise aus den Telefonkabeln saugten.
Gut möglich, dass Musk seine Drückeraktion auch gleich wieder abblasen wird. «Rapid Prototyping» oder «Real Word Beta Testing» nennt man das im Silicon Valley. In anderen Industrien geht das nicht, weil sonst Raketen explodieren, Autos gegen die Wand fahren oder Batterien in Flammen aufgehen (ja, ja, ist Musk alles schon passiert, aber alles im Rahmen von Fehlerquoten, von denen sie in der digitalen Welt nur träumen können).
Man kann auf der anderen Seite nur hoffen, dass seine Bremsen für die künstlichen Intelligenzen wirklich funktionieren, auch wenn sie nur Vorwand sind. Nicht auszudenken, was passiert, wenn Chat-GPT dieses Wochenende Twitter weiterstudiert und draufkommt, dass es selbst ja noch gar kein Geschäftsmodell hat. Vielleicht sollte man die Menschen doch noch ganz anders unter Druck setzen, könnte die KI überlegen. Nicht nur den digitalen Zugang drosseln, es gäbe ja noch so einige andere Grundversorgungsdienste, die ans Internet angeschlossen sind. Alles Weitere findet sich in den unzähligen Sci-Fi-Büchern und -Filmbeschreibungen, die die KI gelesen hat. Und in den Handbüchern der Trollfarmen.
Zu viele Nazis, Pöbler, Besserwisser
Es ist aber nicht so, dass niemand davon profitieren wird, dass Elon Musk den 14.-grössten Kurznachrichtendienst der Welt gedrosselt hat. Die Werbeindustrie dürfte es freuen, die bekamen auf Twitter zwar wenig Umsatz, aber weil der Dienst in der westlichen Welt den Ton angibt, musste man die überhöhten Preise schlucken.
Insgeheim hatte die Werbeindustrie nach Musks Übernahme vor acht Monaten schon bald genug von der Polterbude. Zu viele Nazis, Pöbler, Besserwisser. Dann kamen die Kündigungswellen, bei denen all jene, die im digitalen Raum als systemrelevante Mitarbeiter gelten, gehen mussten. Sicherheitsspezialisten, Analysten, Ingenieure, Programmierer. Twitter ist längst so ein halb ausgebranntes Raumschiff, das nur noch durchs All rast, weil irgendwann mal ein Schub die Flugbahn bestimmte und die meisten Schrauben schon noch halten.
Die Konkurrenz steht schon längst bereit. Meta bereitet einen Twitter-ähnlichen Kurznachrichtendienst vor. Man kann von Zuckerberg halten, was man will, aber seine Mitgliederzahlen für Facebook, Whatsapp und Instagram sind immer noch die weltgrössten.
Ja, und dann ist da noch Blue Sky, das neue Netzwerk des ausbezahlten Twitter-Gründers Jack Dorsey. Da kommt man bisher noch sehr schwer rein, weswegen eine Blue-Sky-Adresse derzeit nicht nur in digitalen Kreisen ungefähr so begehrt ist wie eine Birkin Bag oder eine Rolex Daytona. Irgendwann kurz nach seinem vermutlichen Mittagessen in Kalifornien postete Dorsey auf Twitter kommentarlos ein Foto, auf dem nur grünes Gras zu sehen war. Nicht sonderlich subtil der Hinweis aufs Sprichwort vom Gras, das auf der anderen Seite des Zaunes immer grüner ist, aber definitiv sehr viel freundlicher als die Einmanndrückerkolonne aus San Francisco.
Musks Antwort wenige Minuten später: «Die Höchstsätze werden bald auf 8000 für Verifizierte, 800 für nicht Verifizierte und 400 für neue nicht Verifizierte steigen.» Very Rapid Prototyping.
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