TV-Kritik «Tatort»Die Härte im Knast – und draussen
Die Münchner Kommissare sind auf der Zielgeraden – landen aber erst mal im Gefängnis. Der Drehort von «Das Wunderkind» war eine Premiere.
Zum Glück haben wir die zwei Kommissare aus München noch für eine Weile! «Das Wunderkind» ist ihr 94. Fall, die Hundert werden sie noch vollmachen. Und trotz Einsatz seit 1991 gelingt dem Münchner Team rund um Batic (Miroslav Nemec) und Leitmayr (Udo Wachtveitl) diesmal ein Debüt: Erstmals wurde ein «Tatort» im laufenden Betrieb eines Gefängnisses gedreht, in der Justizvollzugsanstalt Landshut. Die Gefängniswelt «realistisch, glaubwürdig und in ihrer Härte zu zeigen, war mir wichtig», sagt Regisseur und Drehbuchautor Thomas Stiller.
Keine Frage, Stillers Härte haut rein bis hin zum bitteren Ende, und man fragt sich besorgt, ob es in deutschen Gefängnissen tatsächlich so kriminell zugeht. Der Regisseur lässt die Kamera gern übers nächtliche Gelände gleiten, über stacheldrahtbewehrte Zäune, dicke Mauern, kalte Scheinwerfer. Drinnen illustriert er das eisige Klima mittels des Kleinkleins drohender Blicke und Gesten ebenso wie durch Szenen roher Gewalt, in denen das Blut nur so spritzt.
Dabei führt uns der Film anfangs in eine ganz andere Welt. Ein gut gekleideter Herr (Carlo Ljubek, stark als Dieter Scholz) eilt durchs feine München. Zum Klavierwettbewerb seines hochbegabten Sohnes kommt er natürlich zu spät, doch die Pflegeeltern sind da. Im Grunde ist er sowieso nicht willkommen; auch sein Sohn, der an dem Abend 7500 Euro gewinnt, will ihn nicht sehen. Wenig später ist Scholz wieder im Knast, zieht die Krawatte aus, plaudert mit dem Wärter darüber, dass er in wenigen Tagen freikommen und seinen Sohn zu sich holen wird.
Von diesen zwei Planeten erzählt Stiller in einer 20-minütigen Strecke voll kontrastreicher Bilder, dann erst treten die Kommissare auf den Plan: In der Dusche liegt ein Häftling in seinem Blut, der Anführer einer der beiden Knastgangs. Der korrupten Justizvollzugsbeamtin geht das am Allerwertesten vorbei, solange ihre Geschäftchen laufen: «Von mir aus können die sich alle gegenseitig umbringen, is’ um keinen schade.» Der Gefängnisdirektor zeigt sich ebenfalls desinteressiert. Die Ermittlungen im Gefängnis verlaufen zäh, dafür folgt Leitmayr seinem Bauchgefühl – auf den Spuren seines Kindheitstraumas.
Stiller schildert in dem auch optisch dunkel gehaltenen Film die schwierige Wiedereingliederung von Ex-Häftlingen, den Druck, der auf ihnen lastet. Er zeichnet – nicht sehr originell – die soziale Ungleichheit, die Hackordnungen drinnen im Knast wie draussen. Er fragt wie König Salomo nach der Natur wahrer Elternschaft. Und rundum lieb ist hier bloss eine Gans.
Dennoch erlaubt der Autor uns, mit allen Protagonisten Mitgefühl zu entwickeln: mit dem mittellosen Vater, der endlich mit dem Sohn zusammenleben will und verzweifelt versucht, nicht mehr straffällig zu werden; mit der feinsinnigen Oberschichtsmutter (überzeugend: Sarah Bauerett), die sich das geliebte Pflegekind, dem sie eine glänzende Zukunft bieten kann, quasi erkaufen möchte; mit dem verstörten Elfjährigen selbst. Auch mit den diversen Gefängnisinsassen, die, bis auf Ausnahmen, nicht bloss Karikaturen sind. Sehenswert.
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