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TV-Kritik «Tatort»
«Eure Frauen werden auf euch drauf­springen, weil ihr meine krassen Maschinen seid»

Familienglück in weichem Licht: André (Rouven Israel) und seine Frau (Roxana Samadi) träumen von einer Zukunft ohne Geldsorgen.
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Gefesselte Frauenfüsse in Sommersandalen, Stöhnen und Cut in den Verhörraum. «Hier steht ein Menschenleben auf dem Spiel», sagt Kommissar Schenk (Dietmar Bär) entnervt, und Kollege Ballauf (Klaus Behrendt) wird ungeduldig. Doch der Entführer besteht darauf, zuerst die ganze Geschichte zu erzählen, Kapitel für Kapitel.

Diese tragen Titel wie «Verführung», «Versuchung», «Habgier»: Der neue Kölner «Tatort» über ein finanzielles Pyramidensystem baut selbst quasi eine aufregende narrative Pyramide; und zwischenrein in die Retrospektiven grätscht immer wieder die Gegenwart, beispielsweise wird ein Rechtsanwalt ermordet aufgefunden.

Das klingt arg konstruiert, funktioniert aber überraschend gut. Regisseurin Charlotte Rolfes versteht sich auf Rhythmus, auf den Wechsel zwischen Verlangsamung und Accelerando, Einfühlung und Spannung, weichem Licht und hartem. Das Drehbuchduo entwickelte für diesen Groove glaubwürdige Charaktere.

Zuckerbrot und Peitsche, Partys und Demütigungen

Da ist der etwas stoffelige Entführer der Frau, André, der alles hatte richtig machen wollen. Als arbeitsloser Ex-Soldat mit schwangerer Frau hatte er sich auf der Verliererseite gesehen, und es fehlten ihm die Mittel noch für die kleinsten Annehmlichkeiten; dass seine Frau fürs Familieneinkommen zuständig sein sollte, war ihm nicht wirklich recht. Rouven Israel zeichnet André überzeugend als treuselig, pflichtbewusst und naiv; nicht als jemand, der sich leicht zu Gewalttaten hinreissen lässt.

Die Kommissare Ballauf (Klaus Behrendt, links) und Schenk (Dietmar Bär) wollen Blutvergiessen verhindern. Der smarte Firmenchef (Robin Sondermann) hat aber trotz Bedrohung keine Angst.

Als Andrés alter Bundeswehrkamerad, mittlerweile erfolgreicher Wertpapier-Broker bei der Firma Concreta (gruselig gelungen als Sidekick des Firmenchefs: Oleg Tikhomirov), ihn einlädt, ins Investmentgeschäft einzusteigen, lässt er sich schnell überreden, trotz der Warnungen seiner Frau.

Wie der Concreta-Chef seine Angestellten mit Zuckerbrot und Peitsche, mit Partys und Demütigungen aufs «Verkaufen, verkaufen, verkaufen» von Hochrisikopapieren einschwört, wirkt zwar over-the-top. Aber es trifft offenbar die Realität in solchen Kapitalismus-kirren Buden – und dem Schauspieler Robin Sondermann glaubt man den siegesgewissen Guru in der Art von Sam Bankman-Fried sofort.

«Eure Frauen werden auf euch draufspringen, weil ihr meine krassen Maschinen seid, die jetzt da rausgehen!», brüllt er, und seine männerbündische Mannschaft rast im Giertaumel. Es ist eine Qualität des Drehbuchs, dass selbst dieses Ekelpaket von Chef schliesslich mit seinen Manipulationstricks punkten kann.

Kein Ausstieg aus der ungleichen Gesellschaft

Niemand kommt in «Pyramide» als totaler Bösewicht, aber auch keiner als Gutmensch ohne Fehl und Tadel weg. Der Film reflektiert, wie die Logik der Marktwirtschaft und des Rechtssystems falsche Anreize setzt und alle zu Getriebenen macht. Egal, ob sie zu den Profiteuren gehören oder zu den Ausgebeuteten, die ihren Missbrauch, bewusst oder unwissend, ans Umfeld weitergeben: Der Mensch ist des Menschen Wolf, aus der ungleichen, ungerechten Gesellschaft gibts keinen Ausstieg.

Dass der Mord am Anwalt zwischendurch schier vergessen geht und gewisse (unplausible) Details des Entführungsfalls verwischt bleiben – seis drum. Auch die hoch pädagogische, offensive «Wolf of Wall Street»-Kritik, sprich das Blosslegen der alles durchdringenden Gier, gehört zu dieser Geschichte wie die Auflösung ohne Happy End. Gut geheult, Wolf.