TV-Kritik «Tatort»Die Bauern lavieren, ihre Kinder demonstrieren
Der neue «Tatort» aus Österreich ist nicht bloss am Puls der Zeit. Sondern er pulsiert.
Einen Fuss haben die Schweine abgefressen, auch von den Fingern ist wenig übrig: Der Boss eines hochindustriellen Schweinemastbetriebs liegt zerfleddert in einem Koben, das Tier hat Rache genommen. Der neue österreichische «Tatort» mit dem mehrdeutigen Titel «Bauernsterben» steigt mit einer heftigen Nummer ein, die völlig harmlos beginnt.
Nichts ist idyllisch «am Land», zu dem dann das Wiener Ermittlerduo rausfährt, derweil im Off ironisch ein Ländler angezupft wird. Oberstleutnant Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Majorin Bibi Fellner (Adele Neuhauser) sind ohnehin Grossstadtpflanzen, die nicht viben mit abgelegenen Höfen und grünen Wiesen, die sich hier immer wieder in Postkarten-schönen Landschaftsaufnahmen auffalten.
Man darf sich nicht täuschen: Die Kleinbauern aller Länder haben auch hier längst abgewirtschaftet (und landen im Zweifelsfall als Hilfskräfte im Grossbetrieb). Und der lange Arm eines mafiösen, internationalen Landwirtschaftskonzerns greift – drehbuchtechnisch geschickt verklammert – weit in die scheinbare Abgeschiedenheit des österreichischen Hofs hinein. So hatte der ermordete Hofbesitzer beispielsweise mit einem bulgarischen Agrarmulti eine Futtermittelfabrik aufbauen wollen. Das ging schief. Dass die Bulgaren sich ausserdem unberechtigt EU-Subventionen unter den Nagel gerissen haben, ist einer der Knackpunkte dieses Krimis, in dem auch europäische Ermittlungs- und Antibetrugsbehörden auftauchen.
Damit die Sache nicht ins allzu Abstrakte abdriftet, hat Drehbuchautor Lukas Sturm zudem verschiedene Familiendramen samt Patriarch, Vater-Tochter-Knatsch, Ehezwist und Kindheitstraumata hineingestrickt (grossartig verkorkst: Martin Leutgeb als Hofmanager und kaputter Vater). Nicht zuletzt hat eine militante Tierrechtsorganisation den Mastbetrieb auf dem Kieker – Sprungbrett für TV-pädagogische Intermezzi.
Relevanz: check, Spannung: check; Bildsprache und Sounddesign bewegen sich zwischen nüchterner Härte und herbem Humor (Regie: Sabine Derflinger). Dennoch könnte das alles sehr schematisch daherkommen. Aber keine Angst: Wenn die zwei austriakischen Grantler-Ermittler unterwegs sind, dann mit Schmackes. Schwungvoll fliegt da die eine oder andere Pointe, auch eine junge Hackerin darf Sätze herausstanzen wie «Zahlen sterben nie, deshalb mag ich sie».
Dass die rundliche EU-Staatsanwältin beim Anblick von Bibis Croissantgenuss von der Zeit schwärmt, «als meine Cholesterinwerte noch im Keller waren», und in beherztem Verzicht zu einem Apfel greift, gehört zu den boshaften Noten dieses «Tatorts» über das richtige Essen im falschen. Hat gut geschmeckt!
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