TV-Kritik «Tatort»Diese Ermittler tappen tatsächlich im Dunkeln
Die neue Folge aus Hessen kommt sehr düster daher – und spielt in einem Polizei-Milieu, in dem es manchmal nicht weit ist auf die andere Seite des Gesetzes.
In der Handlung ist die Nacht schon Stunden alt, im 90-minütigen Film ist die Hälfte durch, und noch immer lässt dieses Drehbuch seine Ermittler wortwörtlich im Dunkeln tappen. Es ist ein «Tatort» von behutsam aufgebauter Spannung, in dem das hessische Team um die Kommissare Brix und Janneke (Wolfram Koch und Margarita Broich) lange Zeit keinen Durchblick hat. In «Erbarmen. Zu spät» erscheint zunächst nicht nur der Titel sperrig.
Als die Nachtschicht des Polizeibeamten Laby anfängt, gehen die Leute langsam zu Bett. Ein paar Stunden später suchen seine Kollegen auf den weiten Feldern der Wetterau, einem riesigen Waldgebiet nördlich von Frankfurt, nach dessen Leiche – auf Hinweis eines Kollegen, der beteuert, bei Labys Ermordung dabei gewesen zu sein.
Einzig das Milieu ist schnell klar: Polizisten bleiben in diesem Fall unter sich. In Labys Waldhütte finden sich Waffen, Munition, Handgranaten, in seinem Umfeld Kontakte zur rechtsradikalen Szene. Inspiriert ist diese Fiktion auch von der Realität – auch hessische Polizisten waren ab 2018 in die Affäre um rechtsextreme Drohbriefe an Politiker involviert, die mit «NSU 2.0» gezeichnet waren.
Radomskis Gesicht taucht auf wie einst die Fratze von Marlon Brando als Colonel Kurtz: gross, faltig, irr.
Regisseur Bastian Günther hat auch gleich das Drehbuch verfasst, was es ihm erlaubt, die minimale Handlung nach seinem Gusto zu inszenieren. Endlos lang hält die Kamera manchmal drauf, und anstatt hart zu schneiden, lässt Günther gewisse Szenen einfrieren, und leuchtet die Gesichter aus, oft ein Hinweis darauf, mit wem als Nächstes etwas passiert.
Brix merkt bald einmal, dass sein früherer Kollege Radomski mit drin steckt im Sumpf; Godehard Giese spielt ihn richtig fies, ohne viel zu sagen. Die grösste Entdeckung der Folge ist aber Karsten Antonio Mielke als Kollege Glasner, dessen ganovenhafter Habitus dem Publikum vor Augen hält, wie nah sich die beiden Seiten des Gesetzes sein können.
Mit dem Klangteppich einer texanischen Synthie-Band
Weiter, immer weiter geht es durch die Nacht, den Klangteppich dazu hat sich Regisseur Günther extra von den Synthie-Minimalisten Dallas Acid, einer Band aus Texas, weben lassen. Er ist dumpf und wabernd und hat etwas so Bedrohliches, dass vor der Kamera kein einziger Tropfen Blut vergossen werden muss, um zu zeigen, dass sich die abtrünnigen Polizisten auch von den Ermittlern nicht von ihrem dunklen Vorhaben abbringen lassen.
Alles mündet in einem Finale, in dem Radomski Brix unter dem Vorwand der Wildschweinjagd noch tiefer in den Wald lockt. In seiner Ausleuchtung erinnert das plötzlich stark an «Apocalypse Now», nur dass das hier halt ein Bach in der Wetterau und nicht der Mekong in Vietnam ist. Radomskis Gesicht taucht auf wie einst die Fratze von Marlon Brando als Colonel Kurtz: gross, faltig, irr.
Und irgendwann, nachdem diese Nacht doch noch einem Tag gewichen ist, sagt Radomski: «Wenn wir wollen, dass es regnet, dann regnet es.» Eine Drohung, die sitzt in einem «Tatort», der gefällt.
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