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Chinas Afghanistan-Politik
Peking turtelt mit den Taliban

Treffen schon vor der Machtübernahme der Taliban: Mullah Abdul Ghani Baradar, Taliban-Vizechef, und Chinas Aussenminister Wang Yi in einer Aufnahme vom 28. Juli 2021.
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Es klang wie ein weiterer kleiner Sieg, als ein Sprecher der Taliban vor ein paar Tagen über ein Telefonat zwischen einem Vertreter der militanten Islamisten, Abdul Salam Hanafi, und dem Vize-Aussenminister Chinas, Wu Jianghao, informierte. Das Land habe zugesichert, seine Botschaft in Kabul offen zu halten, im Kampf gegen das Coronavirus zu helfen und vor allem – mehr Geld zur Verfügung zu stellen.

Peking hat die Regierung der radikalen Islamisten zwar noch nicht offiziell anerkannt. Doch während andere Staaten ihre Hilfsprogramme aussetzen und etwa im Westen über Entwicklungshilfe unter der Herrschaft der Taliban gestritten wird, schlägt China einen pragmatischeren Kurs gegenüber den Islamisten ein. (Lesen Sie auch den Artikel «Jetzt ist China an der Reihe».)

Die chinesische Regierung hofft auf die Bildung einer «integrativen und offenen Regierung mit einer breiten Basis», die den Willen der internationalen Gemeinschaft und der Bevölkerung widerspiegle. Und der ungewöhnlich versöhnliche Ton, den die Kämpfer bisher anschlagen, hilft China, zu Hause seinen Kuschelkurs gegenüber den Islamisten zu rechtfertigen. Doch auch ohne die Erfüllung seiner Forderungen dürfte Peking in den nächsten Jahren zu einem der wichtigsten Unterstützer des neuen Regimes werden.

USA sollen sich am Wiederaufbau beteiligen

Der überstürzte Abzug der Amerikaner und ihrer Partner sowie die Bilder vom Flughafen in Kabul sind zweifelsohne ein Geschenk für Pekings Propagandamaschine. Für Chinas Staatsmedien ist die Niederlage der USA die «letzte Dämmerung vor dem Untergang». In Medienberichten belustigen sich die Kommentatoren mal mehr und mal weniger geschmackvoll über das Chaos der letzten Wochen.

Politisch dürfte Peking jedoch besorgt sein. Unbestritten ist, dass das Versagen der USA und anderer Nato-Staaten ihrer Glaubwürdigkeit schwer geschadet hat. Mittelfristig setzt der amerikanische Rückzug jedoch auch Ressourcen frei, welche Washington zukünftig in andere Konflikte investieren könnte – zum Beispiel in die wachsende Rivalität mit China.

Anstatt das Machtvakuum in Afghanistan für sich zu nutzen, hat Peking wiederholt versucht, die USA an ihre Pflichten in dem von Krieg und Bürgerkrieg gebeutelten Land zu erinnern. Ein Sprecher des chinesischen Aussenministeriums beschuldigte Washington Ende August, «Hauptverursacher» der Krise zu sein. Das Land könne nun nicht einfach verschwinden. Zusagen müssten gehalten, Wiederaufbau geleistet werden.

In der vorigen Woche appellierte ein Vertreter Chinas im UNO-Sicherheitsrat auch an die internationale Gemeinschaft, dringend humanitäre Hilfe bereitzustellen. Die neuen Machthaber müssten unterstützt werden, um die öffentliche Ordnung und Stabilität im Land zu gewährleisten und mit dem Wiederaufbau zu beginnen.

Chinas Angst ist gross, dass religiöse Extremisten in Afghanistan Zuflucht finden, in dem auch viele geflüchtete Uiguren leben.

Peking hat die USA in seinem Hinterhof nie geschätzt. Nun fürchtet das Land jedoch, allein mit dem Problem dazustehen. «Spätestens seit der Invasion Afghanistans durch die Sowjetunion betrachtet China das Land durch eine Linse der Bedrohung», sagt Andrew Small vom European Council on Foreign Relations. Deshalb sei das Land in den vergangenen Jahrzehnten wiederholt bereit gewesen, «sehr aktiv» zu werden, um die geopolitischen Gefahren und die Bedrohung durch Terrorismus in Afghanistan besser kontrollieren zu können.

China gehört zu den wenigen Akteuren, die auch während der US-Besatzung neben offiziellen Beziehungen zur afghanischen Regierung auch den Kontakt zu den Taliban aufrechterhielten, diese sogar mit Geld und Waffen unterstützten.

Gleichzeitig kennt China seine Grenzen. Die Nato-Truppen konnten mit ihren Militärmaschinen davonfliegen. Peking kann das nicht. Das Land teilt sich mit Afghanistan eine rund 76 Kilometer lange Grenze. Auf chinesischer Seite hat die Regierung in den vergangenen Jahren ein Lagersystem aufgebaut, in dem es Hunderttausende Muslime inhaftierte. (Lesen Sie auch den Artikel «Taliban überfordern die Weltmächte».)

Die Angst ist gross, dass religiöse Extremisten im Nachbarland Zuflucht finden, in dem auch viele geflüchtete Uiguren leben. Ziel könnte dann nicht nur China sein, sondern auch ungeschützte chinesische Ziele in der Region. Taliban-Vizechef Mullah Abdul Ghani Baradar hat Peking zwar versichert, niemals Kräfte im Land zuzulassen, die gegen Chinas Interessen handelten. Beruhigen dürfte das Peking kaum.

«Eine Art Wilder Westen»

Laut Experte Andrew Small ist die Frage für die nächsten Jahre weniger, was Peking in Afghanistan will, als wie es verhindert, was es nicht will: ein Rückzugsgebiet für Extremisten, neue Sicherheitsrisiken und die Destabilisierung der Region. Ausserdem zu viel politischen Einfluss, der auch mehr Verantwortung für die Stabilisierung bedeuten würde – oder gar einen Militäreinsatz erzwingen könnte. «Peking wird Afghanistan weiter als eine Art Wilder Westen betrachten», glaubt Small.

Dementsprechend unsinnig wirkt die Erzählung, der «Mythos», wie es die japanische Zeitung «Nikkei» kürzlich kommentierte, Peking könnte das Land kurzfristig zu einem verlängerten Teil der neuen Seidenstrasse machen. Aufseiten der Taliban scheinen die Hoffnungen zwar gross zu sein.

Erst am Montag äusserte ein Sprecher der Gruppe den Wunsch, am chinesisch-pakistanischen Wirtschaftskorridor beteiligt zu werden, mit dem sich China in Pakistan einen Zugang zum Indischen Ozean verschafft. Doch gerade das 60-Milliarden-Dollar-Projekt im Nachbarland hat gezeigt, wie gross das Sicherheitsrisiko für China in der Region ist.

Ähnlich wie die Vorstellung, chinesische Firmen könnten über Nacht die Rohstoffe des Landes plündern, die während der 20-jährigen Besatzung der Amerikaner nie gehoben wurden, dürfte die Realität chinesischer Wirtschaftsversprechen deutlich nüchterner ausfallen.