Analyse zu Afghanistan-KonfliktTaliban überfordern USA und China
Die Regierungen in Washington und Peking wissen nicht, wie sie mit den neuen Machthabern in Afghanistan umgehen sollen.
Eine einfache Antwort auf das Vorrücken der Taliban will Mike Pompeo gefunden haben. «Sie sollten die Taliban rund um Kabul zerquetschen. Wir haben die Möglichkeit dazu mit der amerikanischen Luftwaffe», sagte der frühere Aussenminister in Donald Trumps Regierung am Sonntag zu Fox News. «Wir müssen sie unter Druck setzen, wir sollten ihnen Kosten und Schmerzen auferlegen.»
Ratlos wirkt die Biden-Regierung. Der Präsident hat sich letztmals am Samstag zu Afghanistan geäussert und dabei die Hoffnung hoch gehalten, die afghanische Armee werde die Taliban vielleicht doch noch in Schach halten. Seit die Bilder der Evakuierung westlicher Botschaften um die Welt gehen, schweigt Biden.
Aussenminister Antony Blinken will nun über seinen Unterhändler Zalmay Khalilzad politisch auf die Taliban einwirken. Ihre Vertreter sollen bei Gesprächen in Katar wenigstens eine Machtübernahme ohne weiteres Blutvergiessen zusichern. Blinken hat auch eine neue Afghanistan-Taskforce im Aussendepartement gegründet.
Indirekte Einflussnahme über Pakistan
Gegen das Aufkeimen von Terrorzellen scheint die Biden-Regierung vor allem auf das Prinzip Hoffnung zu setzen. Die Taliban wüssten, «was das letzte Mal passierte, als sie eine Terrorgruppe aufnahmen, welche die USA angriffen», sagte Aussenminister Blinken auf NBC. «Es ist nicht in ihrem Interesse, eine Wiederholung davon zuzulassen.»
Mit der Räumung der Botschaft in Kabul und der Militärbasen im Land verlieren die USA nicht nur Augen und Ohren, sondern auch Beine und Hände in der Region. Sie prüfen nun, ob sie Basen in Kirgistan und Usbekistan reaktivieren könnten, um Drohnen von dort starten zu lassen. Die letzte Alternative sind Flugzeugträger im weit entfernten Persischen Golf.
Indirekten Einfluss werden die USA weiterhin über Pakistan auszuüben suchen. Das hat sich allerdings in den vergangenen Jahren zunehmend als schwierig erwiesen. Washington ist wohl der grösste Geldgeber Islamabads, zur Hauptsache für das Militär. Doch schon seit 2011 können die USA aus Pakistan keine Drohnen mehr losschicken. Und der mächtige Geheimdienst ISI schützt, finanziert und bewaffnet die afghanischen Taliban.
Peking ist darauf angewiesen, einen Draht zu den Machthabern in Kabul zu pflegen – egal, wer diese sind.
Da wirkt der mächtige Nachbar China wie ein natürlicher Profiteur des Chaos, der das Machtvakuum für sich nutzen könnte. Peking verstärkte diesen Eindruck in den letzten Monaten, in denen es immer wieder Kontakt zu den militant-islamistischen Kämpfern suchte. Ende Juli folgte sogar eine Einladung des Aussenministers, eine Gruppe von Taliban reiste daraufhin ins nordostchinesische Tianjin.
Doch China hat weder die gewaltsame Übernahme unterstützt, noch liegt sie in Pekings Interesse. Die Annäherung spiegelt vielmehr die Akzeptanz einer Realität wider, die man im Westen womöglich zu lange nicht anerkennen wollte: Die afghanische Regierung ist gescheitert, die Taliban könnten für eine längere Zeit die entscheidende Kraft im Land werden.
Die Annäherung ist Pragmatismus, der sich auch in einer Stellungnahme des Aussenministeriums am Montag zeigte: «Die Lage in Afghanistan hat sich wesentlich verändert, und wir respektieren den Willen und die Entscheidung des afghanischen Volkes», sagte eine Sprecherin.
Angst vor religiösen Extremisten
Peking ist darauf angewiesen, einen Draht zu den Machthabern in Kabul zu pflegen – egal, wer diese sind. Das Land teilt sich eine 76 Kilometer lange Grenze mit Afghanistan. In der Grenzregion Xinjiang im Westen des Landes rechtfertigt es die Unterdrückung und Internierung Hunderttausender Uiguren mit dem angeblichen Kampf gegen religiösen Extremismus und Terrorismus.
Die Angst ist gross, dass religiöse Extremisten in Afghanistan eine Basis finden, deren Wut sich gegen China richtet. In Gefahr sind auch Chinas Investitionen in der Region. 60 Milliarden US-Dollar hat es ins benachbarte Pakistan investiert, ein wichtigstes Projekt, das Peking auch einen Zugang zum Indischen Ozean sichert.
Illusionen macht sich Peking indes nicht. Mindestens zwei längere Stücke haben die Staatsmedien in dieser Woche veröffentlicht, in denen Afghanistan als «Friedhof für Imperien» bezeichnet wird. Darin liegt der Rat, China solle sich lieber nicht auf das «grosse Spiel» einlassen.
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