Nach Begnadigung durch TrumpDie Capitol-Stürmer kehren triumphierend zurück
Mitglieder der Milizen Proud Boys und Oath Keepers marschieren in Washington auf, nachdem Donald Trump ihre Anführer aus dem Gefängnis holte. Er deutet die Geschichte des 6. Januar 2021 um.

- Donald Trump sprach Begnadigungen für gegen 1600 Capitol-Stürmer aus.
- Frei kam auch Stewart Rhodes, Gründer der Miliz Oath Keepers, verurteilt zu 18 Jahren Gefängnis.
- Die Abgeordnete Lauren Boebert will die Freigelassenen ins Capitol einladen.
- Worte des Bedauerns sind kaum zu hören – eher Forderungen, nun die Richter vor Gericht zu stellen.
Wie tiefgreifend die US-amerikanische Geschichte gerade umgeschrieben wird, machte Lauren Boebert am Tag zwei von Donald Trumps zweiter Amtszeit deutlich. Die Abgeordnete aus Colorado hat sich den Ruf als eines der radikalsten Sprachrohre des Präsidenten erarbeitet. Nun stand sie vor dem Gefängnis in Washington, in dem mehr als ein Dutzend Capitol-Stürmer auf ihren Prozess gewartet hatten, bevor Trump als eine seiner ersten Amtshandlungen deren Freilassung anordnete.
Sie werde die Capitol-Stürmer noch am Dienstagabend einladen, sagte Boebert. «Ich werde die erste Abgeordnete sein, die ihnen eine Führung durch das Capitol gibt.» Nicht irgendwohin sollten die Beschuldigten und die verurteilten Straftäter an ihrem ersten Tag in Freiheit also gehen, sondern direkt zurück an den Tatort. In das Kongressgebäude, wo Trumps Gefolgschaft vier Jahre zuvor versucht hatte, die rechtmässige Wahl von Joe Biden zum Präsidenten zu verhindern. Eine Demonstrantin wurde erschossen, ein Polizist starb, Hunderte wurden verletzt, die Wahlzeremonie wurde unterbrochen, die amerikanische Demokratie wackelte.
Sie sagen, sie hätten keine fairen Verfahren erhalten
Diesen Tag der Schande deutet Trump nun kraft seines Amtes zu einem Tag der Liebe um, seinen Amtsantritt erklärte er zum Tag der Befreiung, als wären die Amerikaner jahrelang unterjocht worden. Die Folgen wurden vor dem Gefängnis sofort sichtbar. In den frühen Morgenstunden marschierte Stewart Rhodes auf, der Anführer der Miliz Oath Keepers, unverkennbar dank seiner Augenklappe, verurteilt zu 18 Jahren Gefängnis wegen Aufstands.
Kurz zuvor war Rhodes selbst noch in einer Zelle gesessen, in einer Strafanstalt des Bundes im Nachbarstaat Maryland. «Die Angeklagten des 6. Januar haben keine fairen Verfahren erhalten», behauptete er nun. Videobilder seien falsch interpretiert worden, manipuliert, Polizisten hätten falsches Zeugnis abgelegt. Er werde ein Buch über seine Erlebnisse schreiben, sagte Rhodes. Und er wolle dem Präsidenten seine volle Begnadigung beantragen.

Rhodes gehört zum kleinen Kreis jener Verurteilten, denen Trump nur die Strafe kürzte, Rhodes ist frei auf Bewährung. Rechnet er damit, bald vom Präsidenten empfangen zu werden? «Er ist ein sehr beschäftigter Mann», sagte er im Gespräch ausweichend. «Und ich muss innerhalb von 72 Stunden bei meinem Bewährungshelfer in Kalifornien vorstellig werden.» Seine Oath Keepers hatten Waffenlager angelegt rund um die Hauptstadt vor dem 6. Januar vor vier Jahren, in Kampfmontur standen sie bereit, die Befehle von Donald Trump auszuführen. Nach dem Sturm auf das Capitol zerschlug die Justiz die Gruppe, mehrere Mitglieder wanderten ins Gefängnis, desgleichen die Anführer der Proud Boys.
Immer wieder der Vergleich mit Anthony Fauci
In Washington liessen sich die Milizen vier Jahre lang nicht mehr blicken. Am Tag von Trumps Amtsübernahme marschierten sie erstmals wieder durch die Hauptstadt. Und nun standen mehrere Proud Boys in Washington vor dem Gefängnis, unter Mützen mit gelb-schwarzen Insignien, das Gesicht hinter Sonnenbrillen und Gesichtstüchern versteckt, eine Demonstration der Macht, die sie nun wieder erlangen wollen. Auch ihr Anführer, Enrique Tarrio, wurde von Trump aus dem Gefängnis in Louisiana geholt.
Von Reue ist keine Rede. Etwas Einsicht zeigte Rachel Powell, eine Frau aus Pennsylvania, die am Dienstag als eine der Ersten aus dem Gefängnis kam. «Ich fühle mich wie ein Dummkopf, weil ich in etwas Unerwartetes reinmarschiert bin», sagte sie in den Morgenstunden, kurz nach ihrer Freilassung. «Ich werde meiner Tochter, sie ist acht Jahre alt, ein Pony kaufen, das habe ich ihr versprochen.»
Schon am Nachmittag klang sie wieder ganz anders, eher wie die «Bullhorn Lady» oder die «Pink Hat Lady», als die sie landesweit zweifelhafte Bekanntheit erlangte. Mit einer pinkfarbenen Mütze war sie in den vordersten Reihen beim Capitol gestanden, mit einem Megafon erteilte sie den Demonstranten Anweisungen, mit einer Eisaxt brach sie ein Fenster ein, damit der Mob eindringen konnte.

«Warum sass ich im Gefängnis, wenn Anthony Fauci frei draussen rumläuft? Warum war ich im Gefängnis und nicht Liz Cheney?», fragte Powell nun als freie Frau, auf dem Kopf einen pinkfarbenen Trump-Hut. Es ist ein oft wiederholtes Motiv unter seinen Anhängern: Der oberste Pandemiebekämpfer der Nation sei ein Verbrecher, ebenso die frühere republikanische Abgeordnete, die Trump zu kritisieren wagte. Am letzten Tag im Amt sprach Biden eine Begnadigung aus für die beiden, aus Furcht, dass sein Nachfolger die Drohungen wahr machen würde, sie vor Gericht zu stellen.
Joe Bidens Sündenfall mit Sohn Hunter
Kein Präsident vor Biden hatte das Begnadigungsrecht derart ausgereizt, für mehr als 8000 Personen. In die Verfassung geschrieben wurde es als Mittel gegen Fehlurteile, gegen einen tyrannischen Missbrauch der Justiz, gedacht für den Einzelfall. Biden nutzte es nun unter anderem, um die Vollstreckung der Todesstrafe auf Bundesebene zu verhindern und um Verurteilte freizulassen, die sehr lange Gefängnisstrafen erhalten hatten für Delikte, die heute viel milder bestraft werden.
Am umstrittensten war aber die Entscheidung, seinen Sohn Hunter Biden vor einer Gefängnisstrafe zu bewahren, obwohl dieser Waffen- und Steuerdelikte eingeräumt hatte und verurteilt worden war. Biden sagte, sein Sohn sei aus politischen Gründen angeklagt worden. Das nutzt Trump nun als Rechtfertigung dafür, dasselbe über die Capitol-Stürmer zu behaupten. Diese waren von der Justiz hart angefasst worden – weil sie die US-Demokratie an einer empfindlichen Stelle angegriffen hatten.
Nun fordern sie Verfahren gegen die Richter
Gegen 1600 Personen begnadigte Trump an seinem ersten Tag im Amt, obwohl Präsidenten den Gnadenakt in der Regel auf das Ende ihrer Amtszeit verschoben und üblicherweise erst nach einer ausführlichen Prüfung der Fälle durch das Justizministerium ausgeführt hatten. Biden und vor allem Trump haben die problematischen Aspekte der Begnadigungen damit ins Scheinwerferlicht gerückt. Die Polizeigewerkschaft etwa kritisierte den Persilschein für Straftäter, die Ordnungskräfte angegriffen hatten. Auch der scheidende Bundesanwalt Matt Graves äusserte kein Verständnis für Trumps Vorgehen. Dieser könne zwar Verurteilte begnadigen. Aber er könne nicht ungeschehen machen, was geschehen sei, immerhin lasse sich die Dokumentation der Vorgänge nicht mehr löschen.
Lauren Boebert, Stewart Rhodes und Rachel Powell hingegen glauben fest daran, dass sie die Geschichte umschreiben können. Jetzt müssten die Ermittler, die Bundesanwälte und die Richter vor Gericht gestellt werden, forderte Rhodes.
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