Kehrtwende kurz vor dem Machtwechsel«Selektiv und ungerecht verfolgt»: Biden begnadigt seinen Sohn Hunter nun doch
Der US-Präsident entscheidet sich, seinen verurteilten Sohn zu schützen. Offenbar wittert er in dessen Strafverfolgung einen Rachefeldzug gegen sich selbst.

Am Sonntagabend gegen halb acht Ortszeit kam diese Erklärung von Joe Biden, in Satz eins war bereits alles klar. «Heute habe ich eine Begnadigung für meinen Sohn Hunter unterzeichnet», gab der US-Präsident bekannt, sieben Wochen vor seinem Ausscheiden aus dem Amt. Die väterliche Unterschrift beendet Jahre der Strafverfolgung von Hunter Biden (54), der wegen illegalen Waffenbesitzes verurteilt worden war und sich nach einer Anklage wegen Steuervergehen schuldig bekannt hatte.
Ungewöhnlich ist es keineswegs, dass ausgewählte Straftäter begnadigt werden, ehe der jeweilige Staatschef das Oval Office räumt. Die amerikanische Verfassung lässt dies zu, sofern es um Verbrechen geht, die von Bundesgerichten verhandelt wurden. Es gab auch schon andere familiäre Anlässe, zum Beispiel vergab Bill Clinton seinem Halbbruder Roger und Donald Trump dem Vater seines Schwiegersohns Jared Kushner – allerdings hatten beide ihre Strafen längst hinter sich. Joe Biden wollte bei seinem sehr engen Angehörigen, dem das Strafmass erst noch verkündet werden sollte, von dieser Möglichkeit eigentlich Abstand nehmen.
Seit seinem Amtsantritt habe er gesagt, dass er sich «nicht in die Entscheidungsfindung des Justizministeriums einmischen werde», wie er nun in seinem Statement einräumte, «und ich habe mein Wort gehalten, auch wenn ich mit ansehen musste, wie mein Sohn selektiv und ungerecht verfolgt wurde». Noch beim G7-Gipfel hatte Biden versichert, er werde sich an die Entscheidung der Geschworenen halten. Aber jetzt hat der scheidende Mann im Weissen Haus doch beschlossen, der Sache per Dekret ein Ende zu setzen.
Der Waffenkauf und die Drogenbeichte wurden Hunter Biden zum Verhängnis
Seiner Deutung nach war dies von Anfang an ein Angriff auf ihn selbst und seine Familie gewesen. Hunter Biden ist der zweite Sohn Bidens mit seiner ersten Frau Neilia, die gemeinsam mit seiner ersten Tochter Naomi 1972 bei einem Autounfall starb. Der damals zweieinhalb Jahre alte Hunter und sein dreijähriger Bruder Beau überlebten schwer verletzt; Beau Biden erlag 2015 einem Gehirntumor. Zurück blieben Ashley Biden, Bidens Tochter mit seiner zweiten Frau Jill, und Hunter Biden.

Nach dem Tod des Bruders verschärfte sich dessen Lebenskrise, mit Alkohol und Drogen hatte er bereits länger zu kämpfen. «Ich habe alle 15 Minuten Crack geraucht», beschrieb er seine schlimmste Zeit in seinen 2021 erschienenen Memoiren «Beautiful Things». Im Herbst 2018 erwarb der Jurist und Unternehmer in seinem Wohnort Wilmington, Delaware, eine Pistole und gab dabei an, keine Drogenprobleme zu haben. Seine damalige Lebensgefährtin Hallie Biden, die Witwe seines Bruders Beau, fand die unbenutzte Waffe zwar und warf sie weg. Doch der Kauf und die Drogenbeichte in seinem Buch wurden ihm später zum Verhängnis, denn Abhängigen sind der Erwerb und der Besitz von Waffen verboten.
Der Versuch einer aussergerichtlichen Regelung scheiterte 2023, Justizminister Merrick Garland übertrug die Causa stattdessen dem Sonderermittler David Weiss, der Donald Trump nahesteht. Weiss hatte bereits seit Trumps erster Ära Hunter Bidens Geschäfte in der Ukraine und China untersucht, ohne handfeste Ergebnisse. Ein Bundesgericht in Wilmington verurteilte den Angeklagten schliesslich im Sommer 2024 wegen Verstosses gegen die Waffengesetze, das Strafmass sollte in den kommenden Wochen verkündet werden.
Die Strafverfolgung Hunter Bidens als Rachefeldzug gegen seinen Vater?
Theoretisch hätte Hunter Biden ein längerer Gefängnisaufenthalt bevorstehen können, wobei Ersttäter in der Regel mit sanfteren Strafen davonkommen. Die mittlerweile beglichenen Steuerschulden im Rahmen einer anderen Anklage in Kalifornien räumte Hunter Biden unterdessen ein, sein Vater Joe verstand die Behandlung seines Sohnes als Rachefeldzug seiner Gegner. Jedenfalls hatten führende Republikaner wochenlang kaum ein anderes Thema als die Verfahren von Hunter Biden.
Normalerweise würde für ein falsch ausgefülltes Waffenformular niemand vor Gericht gestellt und niemand strafrechtlich verfolgt, der seine Steuern zu spät bezahlt habe, so sieht Joe Biden das. «Es ist klar, dass Hunter anders behandelt wurde», schreibt er in seiner Stellungnahme. Ein Deal wäre seines Erachtens eine faire Lösung gewesen. Hunter Biden sei nur deshalb herausgegriffen worden, «weil er mein Sohn ist – und das ist falsch», es seien «unerbittliche Angriffe» und «selektive Verfolgung» gewesen.
Seit fünf Jahren sei sein Sohn nüchtern, berichtet Biden weiter. Beim Versuch, «Hunter zu brechen, haben sie auch versucht, mich zu brechen – und es gibt keinen Grund, zu glauben, dass es hier aufhören wird. Genug ist genug.» Er glaube an die Justiz, aber er glaube auch, «dass die rohe Politik diesen Prozess infiziert hat und zu einem Justizirrtum geführt hat». Am Thanksgiving-Wochenende, das er mit der Familie verbrachte, hat er sich demnach dafür entschieden, seinem Sohn für alle möglichen Taten zwischen 2014 und 2024 Pardon zu erteilen. «Ich hoffe, die Amerikaner werden verstehen, warum ein Vater und Präsident zu dieser Entscheidung gekommen ist.»
Das kommt voraussichtlich sehr darauf an, welchem Lager die Landsleute jeweils zugeneigt sind. Was amerikanische Politiker betrifft, so postete der republikanische Abgeordnete James Comer auf X dies: «Präsident Biden und seine Familie tun weiterhin alles, um sich der Verantwortung zu entziehen.» Kritik kommt allerdings zum Beispiel auch vom demokratischen Kollegen Greg Stanton. Das «Wall Street Journal» zitiert ihn mit den Worten, er respektiere den Präsidenten Biden, «aber ich denke, er hat sich in diesem Fall geirrt. Dies war keine politisch motivierte Strafverfolgung. Hunter hat Straftaten begangen und wurde von einer Jury aus Gleichgestellten verurteilt.»
Mit der Begnadigung seines Sohnes klinge Biden ähnlich wie Trump, findet die «Washington Post». Was sagt Donald Trump selbst? Vor seinem Wahlsieg verkündete der künftige US-Präsident im Gespräch mit einem Radiomoderator, dass er es nicht ausschliessen würde, Hunter Biden zu begnadigen, obwohl Joe Biden «so bösartig» gegen ihn, Trump, vorgegangen und Hunter «ein böser Junge» sei. Am Sonntagabend fragte Trump in seinem Netzwerk Truth Social dagegen, ob die Begnadigung für Hunter Biden «auch die J-6-Geiseln» einschliesse, «die nun schon seit Jahren inhaftiert sind».
Mit «Geiseln» meint er die Gewalttäter, die am 6. Januar 2021 nach seiner Demo das Capitol gestürmt hatten, als Bidens Wahlerfolg 2020 bestätigt werden sollte. Es gab seinerzeit Tote und Verletzte, es war eine Grossattacke auf Amerikas Demokratie. Trump selbst steht unter anderem wegen versuchter Wahlbeeinflussung unter Anklage, der Prozess hat nie begonnen. Man darf davon ausgehen, dass er nach seiner Amtseinführung am 20. Januar 2025 von seinem Recht auf Begnadigung reichlich Gebrauch macht.
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