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Sturm aufs Capitol
Er zog die Fäden im Hintergrund, nun wird er bestraft wie ein Terrorist

Enrique Tarrio (links) mit Joe Biggs (rechts) bei einem Protest für Donald Trump in Washington im Dezember 2020. Die beiden wandern nun für Jahre hinter Gitter.
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Enrique Tarrio war nicht beim US-Capitol an jenem 6. Januar 2021, sondern eine Autostunde entfernt in Baltimore. Doch er wusste, was sich abspielen würde in der Hauptstadt Washington: Seine Proud Boys, eine rechte Miliz, würden mit Gewalt versuchen, die Bestätigung von Joe Bidens Sieg bei der Präsidentschaftswahl zu verhindern. Per Textnachrichten blieb er mit seinen Leuten vor dem Capitol in Kontakt.

Der Tag der Schande zieht für Tarrio nun eine lange Haftstrafe nach sich. Schuldig gesprochen wurde er bereits im Mai, damals befand es eine Jury als erwiesen, dass er sich des verschwörerischen Aufstands schuldig gemacht hatte. Am Dienstag nun hat ein Bundesrichter in Washington das Strafmass verhängt: Er hat den 39-Jährigen aus Florida zu 22 Jahren Gefängnis verurteilt.

Rädelsführer des Protests

Tarrios Bestrafung ist die bisher Aufsehen erregendste im Zusammenhang mit dem Sturm auf das Capitol, weil sie die längste ist und einen Urteilsreigen gegen die Proud Boys abschliesst. Der Chef einer zweiten Miliz, der Oath Keepers, hatte im Mai in einem separaten Prozess bereits 18 Jahre erhalten. 18 Jahre hinter Gitter wandert auch Ethan Nordean, wie Tarrio ein früherer Anführer der Proud Boys, eben erst verurteilt. Drei weitere Proud Boys kassierten in den vergangenen Tagen Gefängnisstrafen zwischen 10 und 17 Jahren. Es sind die härtesten Sanktionen, die bisher ausgesprochen wurden in den Verfahren gegen die mehr als 1100 Angeklagten im Zusammenhang mit dem 6. Januar 2021: Die Milizenchefs gelten als Rädelsführer des gewaltsamen Protests.

Das Verbrechen von Tarrio wiege besonders schwer, sagte der Richter bei der Urteilsverkündung. Tarrio sei «der Anführer der Verschwörung gewesen», «angetrieben von revolutionärem Eifer». Der Richter entschied sich darum, eine für Terroristen bestimmte besonders hohe Strafe auszusprechen. Allerdings ging er nicht so weit, wie die Anklage verlangt hatte. Sie wollte Tarrio für 33 Jahre ins Gefängnis werfen.

Seine Miliz wächst ohne ihn weiter

Die Verteidiger versuchten, Tarrio als Marionette von Donald Trump darzustellen, als einfachen Fusssoldaten, wohl vom rechten Weg abgekommen, aber doch kein Terrorist. Tarrio selbst gab sich geläutert und beschrieb den 6. Januar 2021 als «nationale Schmach». Zwar bestritt er erneut, einen gewaltsamen Umsturz geplant zu haben, doch entschuldigte er sich für sein Verhalten bei der Polizei und der Bevölkerung von Washington. So reumütig hatten sich allerdings auch andere Verurteilte vor dem Gericht gezeigt – nur um wenig später in rechten Radioshows damit zu prahlen, Donald Trump werde sie dann schon begnadigen, wenn er wieder zum Präsidenten gewählt werde.

Anders als die Oath Keepers haben sich die Proud Boys nicht etwa aufgelöst, obwohl das FBI die Anführer beider Milizen kurz nach dem 6. Januar verhaftet hatte. Die Proud Boys haben sich vielmehr ohne die nationale Führung neu gruppiert. Nun tauchen sie bei Angriffen auf Dragshows oder bei hitzigen Diskussionen in lokalen Schulkommissionen auf. Das hat es ihnen sogar erlaubt, neue Mitglieder zu gewinnen und neue lokale Ableger zu eröffnen – nicht sonderlich überraschend vor dem Hintergrund der autoritären Strömungen in der amerikanischen Rechten und besonders in Trumps Gefolgschaft.

Trump hatte sich im Wahlkampf 2020 direkt an die Proud Boys gewandt, die sich selbst als «pro-westliche brüderliche Organisation für Männer» beschreiben. «Stand back and stand by», sagte Trump damals nach einem Sommer rechter und linker Gewalt, ein Aufruf, den die rechten Anhänger der Miliz als eindeutigen Befehl auffassten, für weitere Gewalttaten bereitzustehen. Nach der Wahlniederlage von Donald Trump sah Tarrio den Ernstfall gekommen.

Im März beginnt der Trump-Prozess

Detaillierte Umsturzpläne fanden die Ermittler bei den Milizen zwar nicht. Tarrio etwa hatte in Chats eher nebulös gefaselt über revolutionäre Zeiten wie 1776, als die USA ihren Unabhängigkeitskrieg begannen. Doch sahen es Ermittler, Jury und Richter als erwiesen an, dass Tarrio seinen Leuten gezielte Signale gegeben hatte, um Vorbereitungen für gewaltsame Proteste zu treffen und am 6. Januar 2021 gezielt ins Kapitol vorzustossen, um die friedliche Amtsübergabe an den nächsten Präsidenten zu verhindern. Tarrio, damals der Anführer der Proud Boys, hielt sich nicht in der Hauptstadt auf, weil ein Richter ihn kurz zuvor in einem anderen Prozess aus der Stadt verbannt hatte. Der Milizenführer hatte eine Black-Lives-Matter-Fahne von einer historischen Kirche gestohlen und angezündet, was ihm inzwischen eine weitere fünfmonatige Gefängnisstrafe eingetragen hat.

Die Strafen gegen die Milizenführer zeigen, dass die juristische Aufarbeitung des «Tags der Schande» vorankommt. Etwas mehr als die Hälfte der Angeklagten ist inzwischen verurteilt, mehr als die Hälfte von ihnen wandert ins Gefängnis. Nun, da die Anführer des Capitolsturms verurteilt sind, fehlt vor allem noch der oberste Kopf: Donald Trump wurde von Sonderermittler Jack Smith im August angeklagt im Zusammenhang mit dem 6. Januar. Sein Prozess soll im März beginnen, daneben warten auf ihn drei weitere Strafprozesse.