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Meinung

Analyse zum Gerichtsurteil 
Jede neue Anklage scheint Donald Trump näher ans Weisse Haus zu bringen 

Donald Trump während einer auf Video aufgezeichneten Aussage.
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So absurd die Frage klingt, so berechtigt ist sie: Könnte es für Donald Trump sogar nützlich sein, dass er nun vor einem Gericht in New York wegen sexuellen Missbrauchs und Verleumdung zu Schadenersatzzahlungen in Höhe von fünf Millionen Dollar verurteilt worden ist? Könnte es sein, dass seine Unterstützer sämtliche Vorwürfe gegen ihn ohnehin für politisch motiviert halten und sich daher umso geschlossener hinter ihn stellen?

Seit Trump Anfang des vergangenen Monats in New York wegen Schweigegeldzahlungen an eine Pornodarstellerin angeklagt wurde, klingeln bei ihm die Kassen. Dutzende Millionen Dollar an Wahlkampfspenden hat er seither eingenommen, weil seine Anhänger offenbar denken: jetzt erst recht. In den jüngsten Umfragen steht er so gut da wie lange nicht mehr.

Umfrage: Trump vor DeSantis – und Biden

Was den Kampf um die Nominierung als republikanischer Präsidentschaftskandidat angeht, liegt er weit vor seinem mutmasslichen Herausforderer Ron DeSantis, dem Gouverneur von Florida. Dieser galt eine Zeit lang als ernsthafter Rivale – auch, weil Trump so viele juristische Probleme hat. Doch allmählich scheint es, als würde Trump gerade wegen seiner vielen Rechtsstreitigkeiten reüssieren. Es wirkt, als ob jede neue Anklage, jedes neue Verfahren die Trump-Maschine weiter befeuert und immer mehr an Fahrt aufnehmen lässt auf dem Weg zurück ins Weisse Haus.

Einer Umfrage des Fernsehsenders ABC und der «Washington Post» zufolge würde Trump nicht nur DeSantis besiegen. Er behielte auch gegen Joe Biden die Oberhand, falls die beiden im November 2024 erneut in der Präsidentschaftswahl gegeneinander anträten, wonach derzeit alles aussieht, allen Prozessen Trumps zum Trotz.

Richter ermahnte Anwalt mehrmals

Zwei Wochen hat der Prozess in New York gedauert, ehe die Jury am Dienstag ihr Urteil fällte. Die Journalistin und Autorin E. Jean Carroll hatte den ehemaligen Präsidenten in einem 2019 erschienenen Buch beschuldigt, sie 1996 in einem noblen New Yorker Kaufhaus namens Bergdorf Goodman an der Fifth Avenue vergewaltigt zu haben. Diese Anschuldigung hatte sie schliesslich auch vor Gericht erhoben.

Strafrechtlich war das Verfahren irrelevant, da die Vorwürfe diesbezüglich verjährt sind. Es ging Carroll darum, eine Entschädigung von Trump zu erhalten, zum einen für den Übergriff, zum anderen dafür, dass er sie später als Lügnerin bezeichnet hatte.

Trump sah von einem Auftritt im Gericht ab. Sein Anwalt Joe Tacopina bot keine Zeugen auf. Er beschränkte sich darauf, Carroll in ein langes Kreuzverhör zu nehmen und ein aggressives Abschlussplädoyer zu halten. In der Vergangenheit hatte Trump angemerkt, die Anschuldigungen könnten schon deshalb nicht stimmen, weil Carroll «nicht sein Typ» sei. Während des Verfahrens sprach er in den sozialen Medien von einer «betrügerischen und unwahren Geschichte» und von einer «erfundenen Abzocke». Richter Lewis Kaplan ermahnte Tacopina mehrmals, dass sein Klient bitte nicht derart despektierlich in einen laufenden Prozess hineinkommentieren solle.

Diese Strategie hat die Jury offenkundig nicht überzeugt, obwohl Carrolls Geschichte Lücken aufwies. Zum Beispiel konnte sie sich nicht an das genaue Datum des Vorfalls erinnern. Zudem haben sich keine Zeugen gefunden, die sich an sie und Trump in dem Kaufhaus erinnern können, obwohl Trump auch damals schon eine Berühmtheit in New York war.

Carroll (79) sagte aus, sie habe nach der Begegnung mit Trump nie wieder eine romantische Affäre gehabt. 

Trumps Anwalt sagte, dass Carroll die Geschichte 2019 in ihrem Buch platziert haben könnte, um den Verkauf anzukurbeln. Der Zusammenhang, den er nahelegte: Während Trumps Präsidentschaft haben einige Menschen mit Trump-Büchern sehr viel Geld verdient. Zum Beispiel hat der Journalist Michael Wolff nach Schätzungen des Wirtschaftsmagazins «Forbes» mit seinem 2018 erschienenen Buch «Feuer und Zorn» mehr als 10 Millionen Dollar eingenommen. Fast alle Rezensenten, auch solche aus dem politisch eher linken Spektrum, waren sich darin einig, dass dieses Werk mit einigen Prisen Salz genossen werden sollte. Mit anderen Worten: dass es in Teilen reine Erfindung ist.

Carrolls Anwälte wiederum präsentierten zwei ihrer Freundinnen als Zeuginnen. Diese sagten, die Autorin habe ihnen seinerzeit von dem Vorfall erzählt. Eine Zeugin sagte, dass Carroll dabei nicht das Wort Vergewaltigung benutzt habe. Trump habe sie «attackiert». Die zweite Zeugin sagte, Carroll habe sehr wohl erzählt, dass Trump sie vergewaltigt habe. Die erste Zeugin habe Carroll nach eigener Aussage geraten, die Sache auf sich beruhen zu lassen, weil Trump über ein Heer von Anwälten verfüge. Die zweite sagte, sie habe Carroll empfohlen, zur Polizei gehen. Das hat sie nicht getan.

Im aktuellen Prozess sagte Carroll aus, sie habe erst im Zuge der #MeToo-Bewegung den Mut gefunden, über ihre Erfahrung zu sprechen. Die #MeToo-Bewegung begann ab 2017 mit den Vorwürfen gegen den Filmproduzenten Harvey Weinstein, der seine Machtposition dazu nutzte, Dutzende Frauen zu belästigen. In der Folge trauten sich immer mehr Frauen, darüber zu sprechen, wie sie von Männern sexuell belästigt oder vergewaltigt worden waren.

Die 79 Jahre alte Carroll sagte im Prozess auch aus, sie habe nach der Begegnung mit Trump nie wieder eine romantische Affäre gehabt. «Ich habe es nicht mehr über mich gebracht, einem Mann zu zeigen, dass ich ihn mag», sagte sie. Daher habe sie seither auf eine der glorreichsten Erfahrungen verzichten müssen, die man als Mensch machen könne.

Staatsanwalt erhielt Morddrohungen

In einem Zivilprozess gelten in den USA andere Regeln als in einem Strafprozess. Richter Kaplan gab der neunköpfigen Jury mit auf den Weg, dass sie darüber entscheiden müsse, «was wahrscheinlicher wahr als unwahr» sei. In einem strafrechtlichen Verfahren hätte Trumps Schuld zweifelsfrei bewiesen werden müssen. Nach lediglich knapp drei Stunden kam die Jury, sechs Männer, drei Frauen, zu einem einheitlichen Urteil. Den Vorwurf der Vergewaltigung wies die Jury zurück. Sexuellen Missbrauch und Verleumdung sah sie hingegen als erwiesen an.

Es sagt einiges aus über das politische Klima in den USA, dass der Richter die Mitglieder der Jury darüber informierte, dass sie rechtlich nun dazu befugt seien, in der Öffentlichkeit über den Fall zu sprechen, ihnen aber zugleich dringend davon abriet, ihre Identität zu enthüllen. Was er damit nahelegte: Sie könnten sich Drangsalierungen von Anhängern des ehemaligen Präsidenten ausgesetzt sehen.

Alvin Bragg, der New Yorker Staatsanwalt, der Trump im vergangenen Monat wegen der Schweigegeldzahlungen angeklagt hat, erhielt laut Angaben der örtlichen Behörden «mehrere Hundert Drohungen». Mindestens zwei Briefe mit weissem Pulver seien in seinem Büro eingetroffen, einer mit dem Hinweis: «ALVIN: I AM GOING TO KILL YOU!» Alvin, ich werde dich töten.

Nach dem Urteil kommt der Spendenaufruf

Trumps Anwalt Joe Tacopina hat noch am Dienstag angekündigt, gegen das Urteil vorgehen zu wollen. Über seinen Klienten sagte er: «Er wird mit einer Berufung dagegen ankämpfen.» Der Klient selbst schrieb auf der Social-Media-Plattform Truth Social komplett in Grossbuchstaben: «Ich habe absolut keine Ahnung, wer diese Frau ist. Dieses Urteil ist eine Schande.»

Wenig später schickte er E-Mails an die Verteiler seiner Wahlkampfmaschine, in denen er seine Unterstützer dazu aufforderte, ihm jetzt dringend mehr Geld zu überweisen.