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Rätselhafter Marc Hirschi
Er zauberte, ihm lag die Welt zu Füssen – doch dann kam der Bruch

Marc Hirschi from Switzerland of UAE poses prior the second stage, a 176.9 km race from Vaduz, Liechtenstein, to Regensdorf, Switzerland, at the 87th Tour de Suisse UCI World Tour cycling race, on Monday, June 10, 2024. (KEYSTONE/Gian Ehrenzeller)
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Es passiert selten, dass Aufregung herrscht um die Zukunft eines Schweizer Radprofis. In der Regel einigen sich diese frühzeitig mit ihren Teams auf eine Vertragsverlängerung. Schweizer Profis gelten als verlässliche Werte.

Letztmals Aufruhr gab es, als Fabian Cancellara 2011 auf dem Höhepunkt seiner Karriere entschloss, sich von seinem Förderer Bjarne Riis zu lösen und mit den luxemburgischen Brüdern Schleck im neu gegründeten Team Leopard-Trek den Erfolg zu suchen.

Es entbehrt deshalb nicht einer gewissen Ironie, dass nun, 13 Jahre später, Cancellara wieder eine Rolle spielt, wenn die Zukunft einer Schweizer Radgrösse diskutiert wird.

Es geht um Marc Hirschi, den Mann mit dem spannendsten Fahrerprofil aller einheimischen Profis. Der amtierende Schweizer Meister ist einer, bei dem in Topform ein schönes französisches Bonmot gilt: «Er hat Flöhe in den Beinen», was so viel heisst wie: «Er kann gar nicht anders, als anzugreifen.»

Ist Cancellara bald sein nächster Chef?

Eigentlich wäre Cancellara als dessen Manager dafür verantwortlich, Hirschis Zukunft zu klären. Tatsächlich hat das der Fahrer aber selber in die Hand genommen. Denn Cancellara ist befangen. Seit 2022 ist er Chef des Profiteams Tudor Pro Cycling. Damit steht Cancellara auf beiden Seiten: hier als Teamchef, da als Fahrermanager. Was erst recht schwierig wird, wenn man als Teamchef an einem wie Hirschi interessiert ist.

Marc Hirschi from Switzerland of UAE during the second stage, a 176.9 km race from Vaduz, Liechtenstein, to Regensdorf, Switzerland, at the 87th Tour de Suisse UCI World Tour cycling race, on Monday, June 10, 2024. (KEYSTONE/Gian Ehrenzeller)

Denn das Team Tudor will mit Schweizern grosse Erfolge erzielen. Einer wie Hirschi muss da zuoberst auf der Wunschliste stehen. Denn Schweizer Profis, die regelmässig siegen, sind ein rares Gut. Neben Hirschi hat einzig Stefan Küng diese Qualität, der als Zeitfahrer eine Nische besetzt. Hirschi hingegen gewinnt alle seine Rennen als Finisseur, durch Soloangriffe oder im Sprint. In seiner Karriere gelang ihm das bislang 15-mal. Nur Küng gewann unter den Schweizer Profis öfter, 27-mal.

Der Chef von Swiss Cycling gab den Vermittler

Das macht Hirschi attraktiv. «Ich bin in einer guten Position, weil viele Teams Interesse haben. Ich spreche mit meinem jetzigen Team UAE, mit Tudor Pro Cycling, mit dem anderen Schweizer Team Q36.5 und mit weiteren Worldtour-Teams», sagt der 25-jährige Berner. Zeitweise half ihm Thomas Peter als Vermittler in Verhandlungen. Der Geschäftsführer von Swiss Cycling gab die Rolle aber wieder ab, als er realisierte, wie aufwendig diese war.

In die Karten blicken lässt sich Hirschi nicht. Es gehört zu seinem Wesen, dass er sich gerne bedeckt hält. Frage: Was sind für Sie die ausschlaggebenden Faktoren, wo Sie künftig fahren werden: Ist es das Geld? Oder wer ihnen am meisten Chancen als Leader bietet? Antwort Hirschi: «Das bin ich jetzt daran abzuwägen.» Mit wem tauschen Sie sich in diesen Fragen aus? «Mit Kollegen, mit meinem Vater, mit Trainingspartnern.» Und was raten die Ihnen? «Das Beste für mich zu wählen.»

Marc Hirschi from Switzerland of UAE poses prior the second stage, a 176.9 km race from Vaduz, Liechtenstein, to Regensdorf, Switzerland, at the 87th Tour de Suisse UCI World Tour cycling race, on Monday, June 10, 2024. (KEYSTONE/Gian Ehrenzeller)

So ist das oft in Gesprächen mit Hirschi. Er ist ein Enigma, ein Rätsel, kaum zu knacken. Dazu passt auch seine Karriere: Fast schon spielerisch wurde er 2018 U-23-Weltmeister. Mit einem kecken Angriff in der Abfahrt. Zwei Jahre später verzauberte er in der verkürzten Covid-Saison die ganze Radwelt. An der Tour de France mit einem Solosieg und weiteren Glanzauftritten. Kurz darauf holte er WM-Bronze. Dann gewann er den Klassiker Flèche Wallonne und nur Tage später auch noch fast Lüttich–Bastogne–Lüttich. Innert 68 Tagen hatte er ein Palmarès herausgefahren wie die meisten in einer ganzen Karriere nicht.

epa08659205 Swiss rider Marc Hirschi of Team Sunweb wins the 12th stage of the Tour de France cycling race over 218km from Chauvigny to Sarran, France, 10 September 2020.  EPA/Sebastien Nogier / POOL

Hirschi lag die Radwelt zu Füssen. Doch dann der Bruch: Anfang 2021 verkündet Sunweb, der laufende Vertrag sei aufgelöst worden. Was der Auslöser war, wird wohl nie publik werden: Die involvierten Parteien unterzeichneten ein Stillschweigeabkommen. Wenig später unterschrieb Hirschi einen Vierjahresvertrag beim Team UAE-Emirates, für ein siebenstelliges Jahressalär. «Vier der zehn besten Fahrer meines Jahrgangs schafften beim Team UAE den Durchbruch. Man hat einen langfristigen Plan – auch mit mir», sagte Hirschi damals.

So kam es aber nicht. Erst flammten Hüftprobleme wieder auf, die ihn schon Anfang 2020 geplagt hatten – 2021 erreichte er nie das Niveau des Vorjahres. «Das Team gab mir sehr viel Zeit, machte nie Druck. Auch weil andere Fahrer die Lücke füllten», sagt er heute.

Immer wieder hinter Pogacar anstehen

Seit 2022 sind die Hüftprobleme gelöst, einer kürzeren Kurbel sei Dank. Dafür gibt es ein sportliches Problem: Bei UAE hat er mit Rad-Superstar Tadej Pogacar einen Leader, der sich nicht mit ein paar wenigen Rennen begnügt. Sondern der die ganze Saison auf Sieg fährt, wenn er irgendwo antritt. Leider wären Hirschis Stärken oftmals in denselben Rennen. Er musste hinten anstehen.

epa08708899 Swiss rider Marc Hirschi (C) of Team Sunweb celebrates  while crossing the finish line to win the 84th edition of the Fleche Wallonne one day cycling race over 202km from Herve to Huy, Belgium, 30 September 2020.  EPA/JULIEN WARNAND

Die von ihm geliebten Ardennenrennen bestritt er zwar weiterhin. Doch entweder im Schatten von Pogacar. Oder als Schatten seiner selbst. Gerade bei der Flèche Wallonne wurde das deutlich. Auf den Sieg 2020 folgten: Startverzicht, Rang 32, Rang 80, Rennaufgabe.

«Talent verschwindet nicht einfach», sagt der Nationalcoach

«Ein paarmal erhielt ich auch eine Chance, als Tadej nicht da war. Aber da hatte ich auch einfach nicht das nötige Niveau», sagt Hirschi selbstkritisch. Er suchte sich eine Nische: kleinere Rennen, eine Stufe unter der Worldtour, wo die Konkurrenz nicht ganz so dicht ist. Hier reüssierte er für UAE 13-mal. Seit der Tour 2022 bestritt er auch keine dreiwöchige Rundfahrt mehr.

Und trotzdem sind es weiterhin die ganz grossen Ziele, die ihn anziehen, er nennt die Strassen-WM und die Ardennenklassiker. Das ergibt alles Sinn, wenn man den Hirschi von 2020 vor Augen hat. «Talent verschwindet nicht einfach», sagt Nationalcoach Michael Albasini. Aber auch: «Zuletzt war er mit etwas weniger Akribie dabei als noch an der WM 2020, als er Bronze gewann. Seit jenem Rennen warte ich darauf, dass jener Marc wieder auftaucht.» Nach 2020 gab er zwei WM-Rennen auf, bei Olympia verlor er über sechs Minuten auf den Sieger.

Sicher ist: Hirschi wird einen weiteren Millionenvertrag unterzeichnen, zu selten sind die Fahrer, die Siege und Spitzenplätze garantieren. Ob er je wieder in die Sphäre der Weltbesten vorstösst wie 2020, ist eine andere Frage. Aufgegeben hat er das Ziel nicht: «Ich ‹flog› damals nicht jeden Tag. Zwischen den Highlights war ich jeweils richtig kaputt. Die Erinnerung gibt mir Motivation: Das Gefühl muss nicht zwingend super sein, um grosse Siege zu erreichen.»