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Wirbel um Videoplattform
Tiktok kann von China aus auf Daten von US-Nutzern zugreifen

Eine Jugendliche nutzt auf ihrem Smartphone die Kurzvideo-Plattform Tiktok. 
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Tiktok ist eine Unterhaltungsplattform, die mehr als eine Milliarde Menschen begeistert, Datenschutz wertschätzt und nichts mit China zu tun hat. Oder: Tiktok ist ein Spionagewerkzeug, das Kinder süchtig macht, Inhalte zensiert und mit der chinesischen Staatsführung zusammenarbeitet.

Die erste Antwort bekommt, wer Tiktoks Deutschland-Chef Tobias Henning fragt, was sein Unternehmen auszeichnet. Der zweite Satz enthält das Misstrauen, das dem Tochterunternehmen des chinesischen Konzerns Bytedance entgegenschlägt. Ein Teil der Vorwürfe hat in den vergangenen Wochen neue Nahrung bekommen.

«Angestellte ausserhalb der USA, darunter auch Angestellte in China, können auf Daten von Tiktok-Nutzern aus den USA zugreifen.» Das ist kein Verdacht, das sind die Worte des Tiktok-Chefs Shou Zu Chew. Die gleiche Aussage findet sich in Tiktoks Newsroom – allerdings gut versteckt im vorletzten Absatz eines mehr als zwei Jahre alten Blogeintrags. Obwohl Chews Eingeständnis nicht neu ist, berichten Medien nun weltweit darüber. Vor allem in den USA bricht gerade ein alter Streit neu aus, im Zentrum steht die Frage: Ist Tiktok ein Risiko für die nationale Sicherheit?

«Alles wird in China gesehen.»

Mitglied von Tiktoks Sicherabteilung bei einem internen Meeting

Um die Debatte zu verstehen, muss man im Sommer 2020 beginnen, als der damalige US-Präsident Donald Trump Tiktok verbieten lassen wollte. Es folgte eine absurde Posse, die offenbarte, dass Trump sich nur am Rande für Sicherheit oder Datenschutz interessierte. Die App diente ihm als Mittel zum Zweck, um Symbolpolitik zu betreiben und Angst vor China zu schüren. Tiktok sagte wenig und spielte auf Zeit. Trump verlor die Wahl, sein Nachfolger Joe Biden hatte andere Sorgen, die Aufregung schien vorbei zu sein.

Dann veröffentlichte «Buzzfeed News» im vergangenen Juni eine Recherche, die Tiktok in Erklärungsnot brachte. Mitschnitte aus mehr als 80 internen Meetings lassen den Rückschluss zu, dass Tiktok längst nicht so unabhängig von China ist, wie es Managerinnen und Sprecher behaupten. Offenbar haben die Angestellten in den USA meist keine Ahnung, wer mithilfe welcher Tools auf welche Daten zugreifen kann.

«Alles wird in China gesehen», soll ein Mitglied von Tiktoks Sicherheitsabteilung in einem internen Meeting gesagt haben. «Ich bekomme meine Anweisungen aus Peking», wird eine andere Person zitiert, die in einem spezialisierten Team für Sicherheit und Datenschutz in den USA arbeitet.

Tiktok-Chef spricht von «Unterstellungen»

Der Chef der US-Kommunikationsbehörde FCC forderte Apple und Google auf, Tiktok aus ihren App-Stores zu verbannen. Neun republikanische Senatorinnen und Senatoren verlangten Aufklärung. Tiktok-Chef Chew antwortete mit einem Brief, den die «New York Times» veröffentlichte.

Darin spricht er von «Behauptungen und Unterstellungen, die unrichtig und nicht durch Fakten belegt sind», bestätigt aber einen Vorwurf: Entwickler in China können Daten von Nutzerinnen in den USA einsehen. Für Daten aus der Schweiz dürfte das Gleiche gelten. Auf eine Frage dieser Zeitung verwies Tiktok nur auf ältere Blogeinträge und das Ziel, den Datenzugriff zu minimieren, sodass Angestellte in China «nur minimalen Zugriff auf Nutzer*innendaten aus der EU und den USA haben würden».

Das Problem liegt nicht darin, dass Angestellte in China mehr sehen, als bislang bekannt war. Einen Grossteil der Informationen könnte sich Tiktok legal bei Unternehmen kaufen, die solche Daten vermarkten. Das Misstrauen gegen Tiktok gründet auf zwei Szenarien. Zum einen wird befürchtet, dass die chinesische Regierung Tiktok zwingen könnte, sensible Daten abzugreifen und diese der Staatsführung zur Verfügung zu stellen.

Politische Äusserungen zum Tiananmen-Massaker oder zur Unabhängigkeit Tibets wurden zensiert.

«Wir haben der Kommunistischen Partei Chinas keine US-Nutzerdaten gegeben, und wir täten es auch nicht, wenn wir danach gefragt würden», schreibt Tiktok-Chef Chew. Tatsächlich gibt es dafür keine Indizien. Tiktok zur Spionage zu nutzen, wäre riskant, denn Sicherheitsforscherinnen und US-Behörden überprüfen die App argwöhnisch. Bislang sieht es so aus, als sammle Tiktok ähnlich viele Daten wie Instagram oder andere Social-Media-Apps.

Zum anderen könnte China Tiktok einsetzen, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen. In der Vergangenheit wurden etwa politische Äusserungen zum Tiananmen-Massaker oder zur Unabhängigkeit Tibets zensiert. Recherchen von «Netzpolitik» zeigten 2019, dass Tiktok Inhalte oft auf eine Art und Weise drosselt und lenkt, die chinesische Kontrolle vermuten lässt. Das betrifft etwa Proteste in Hongkong oder Xinjiang.

Stumm geschaltete Nutzer

Im Frühjahr deckten die deutschen TV-Sender NDR und WDR auf, dass Tiktok heimlich Nutzerinnen und Nutzer stumm schaltete, die bestimmte Begriffe verwendeten. Auf dem Index standen Wörter wie «homosexuell», «queer» oder «schwul». Auch Kommentare, die «Auschwitz» und «Nationalsozialismus» enthielten, wurden verborgen, der Name der chinesischen Tennisspielerin Peng Shuai wurde ebenfalls zensiert.

Alles ein bedauerliches Versehen, wie Tiktok damals beteuerte? Ob angebliche Spionage oder mutmassliche Zensur, am Ende läuft es auf eine Frage hinaus: Vertraut man Tiktok? In der Vergangenheit hat das Unternehmen immer wieder Gründe geliefert, misstrauisch zu bleiben.