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Experiment enthüllt Funktionsweise
Deshalb kennt Tiktok meine Vorlieben so gut

Die Kurzvideo-App Tiktok ist vor allem bei Teenagern beliebt.
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BotTalk

Anwender von Tiktok staunen oft, mit welch unheimlicher Genauigkeit die chinesische Kurzvideo-App die individuellen Vorlieben erkennt. Das «Wall Street Journal» (WSJ) wollte deshalb genau wissen, wie der Algorithmus von Tiktok funktioniert.

Dazu führte ein Rechercheteam der US-Wirtschaftszeitung ein umfangreiches Experiment durch. Die Redaktion erstellte 100 automatisierte Nutzerkonten mit zugewiesenen thematischen Interessen. Diese sogenannten Bots «schauten» sich Videos auf Tiktok an oder pausierten und spielten Filme ab, die Bilder oder Schlagwörter enthielten, die für diese Interessen relevant waren.

Das Ergebnis hat das WSJ in einem englischsprachigen Video veröffentlicht: Tiktok interessiert sich für die Dauer, die die Nutzer mit dem Schauen von einzelnen Videos verbringen – und nicht für Likes oder die Verbreitung von Inhalten. So bemerkt der Algorithmus, wie lange jemand auf einem aufgeführten Film verweilt oder ob das Video überhaupt abgespielt wird.

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Tiktok weiss auch, wie lange eine Person zögert, bis sie sich ein angezeigtes Video anschaut. Und natürlich zählt die App mit, wie oft sich ein Nutzer dasselbe Video zu Gemüte führt. All diese Kriterien sorgen dafür, dass in den meisten Fällen ansprechende Filme in die «Für dich»-Empfehlungsliste gespült werden.

Doch diese Funktionsweise hat eine Kehrseite. Sie führt dazu, dass Tiktok Videos empfiehlt, die den Nutzer auf den ersten Blick gar nicht interessieren, aber trotzdem eine gewisse Faszination ausüben. Der Anwender klickt dann weitere Inhalte aus diesem neuen Themengebiet an und verliert sich in den Tiefen der App.

Der Grund: Der Algorithmus unterscheidet nicht, ob jemand beim Abspielen eines Videos zögert, weil ihn der angezeigte Inhalt negativ überrascht hat und er deshalb innehält – oder weil er sich für das Video interessiert und deshalb noch die Kommentare ansieht. In beiden Fällen blendet die App weitere thematisch ähnliche Videos ein, weil sie das Zögern als Interesse interpretiert.

Unerwünschter Abstieg in die Untiefen von Tiktok

So erhalten manche Leute bei einer Reihe von Empfehlungen, die gar nicht ihren Vorlieben entsprechen. Im angelsächsischen Raum wird dafür der Begriff «Down the Rabbit Hole» verwendet, «Runter in den Kaninchenbau». Die entsprechende deutsche Redewendung lautet «Vom Hölzchen aufs Stöckchen kommen».

Laut dem WSJ identifizierte Tiktok die angeblichen Interessen einiger Bots in weniger als 40 Minuten. Einer der Bots fiel in einen «Kaninchenbau» mit Kurzfilmen zum Thema Depressionen, weil er ursprünglich Videos über Traurigkeit und Trennungsschmerz angesteuert hatte. Ein anderer Bot, programmiert auf das Themengebiet Politik, landete innert kurzer Zeit bei Filmen über Verschwörungstheorien.

Vor allem Jugendliche nutzen Tiktok, weswegen die Anwendung zu einer ernst zu nehmenden Konkurrenz für etablierte Anbieter aus den USA wie Youtube und Facebook geworden ist. In Europa gibt es über 100 Millionen aktive Nutzer auf Tiktok.

«Was wir auf Tiktok sehen, ist ein bisschen das Gleiche, was wir auf Youtube gesehen haben. Der Algorithmus erkennt, dass bedrückende Inhalte nützlich sind, um Nutzerbeteiligung zu erzeugen, und fördert solche Videos», sagt Guillaume Chaslot, den die Zeitung als Experte beigezogen hat. Er ist der Gründer von der Organisation Algotransparency, die sich für Transparenz bei den Youtube-Algorithmen einsetzt.

Die Resultate des Versuchs decken sich weitgehend mit Aussagen von Tiktok, wie der Algorithmus arbeitet. In einem Blogbeitrag des Unternehmens aus dem Jahr 2020 hiess es, das Empfehlungssystem der App basiere auf Benutzerinteraktionen, Videoinformationen sowie Geräte- und Kontoeinstellungen.

«Ein starker Indikator für Interesse, zum Beispiel ob ein Nutzer ein längeres Video von Anfang bis Ende anschaut, erhält ein grösseres Gewicht als ein schwacher Indikator, beispielsweise ob der Betrachter und der Ersteller des Videos im selben Land leben», schrieb die Firma.

Tiktok ist Facebook auf den Fersen

Weltweit ist die Tiktok-App über drei Milliarden Mal heruntergeladen worden. Diesen Meilenstein haben bislang nur die Anwendungen von Facebook erreicht. Tiktok gehört zur Internetfirma Bytedance mit Sitz in Peking.

Auch wenn jetzt etwas klarer ist, wie Tiktok tickt – die Geheimnisse des Algorithmus im Detail kennt wohl nur das Mutterhaus.