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Vermeintlicher Wahlbetrug
Teure Abrechnung für den Ex-Anwalt von Trump

Meister der Selbstinszenierung: Rudy Giuliani bei einer Anhörung am 2. Dezember 2020 in Michigan.
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1,3 Milliarden Dollar – dies verlangt Dominion Voting Systems vom ehemaligen Anwalt von Ex-Präsident Trump als Schadenersatz für die «big lie». Niemand hatte die «grosse Lüge» über die gestohlene Wahl hartnäckiger und länger verbreitet als Rudy Giuliani. Erst nach Einreichung der Klage von Dominion räumte er diese Woche die reguläre Wahl von Joe Biden ein. Schlüssige Beweise für den Wahlbetrug hat er nie vorgelegt, dafür haben über 60 Gerichte und Dutzende republikanische Wahlverantwortliche seine Vorwürfe als grundlos zurückgewiesen.

Die Lügen des einst als «Bürgermeister Amerikas» gesehenen Anwalts hätten dem Unternehmen «einen unermesslichen Schaden» zugefügt, sagt Dominion-Gründer John Poulos. Man habe keine andere Wahl als eine Strafklage, um die Verleumdung vor Gericht nachzuweisen und den Ruf des Unternehmens wieder herzustellen. Die gigantische Schadenersatzforderung entspringe einer «juristischen Berechnung» und diene dazu, Giuliani vor Gericht zu bringen. Eine aussergerichtliche Einigung, wie in solchen Fällen üblich, ist gemäss Poulos nicht das Ziel. «Wir wollen, dass die Wahlen korrekt verliefen und dass die Bürger wieder Vertrauen in den demokratischen Prozess fassen.»

Giuliani erwägt eine Gegenklage. Dominion sei Teil einer «hasserfüllten extremen Linken», wolle ihn nur einschüchtern und «die Meinungsäusserungsfreiheit zensurieren und beseitigen».

Kein Pardon von Trump

Für Dominion geht es um die Existenz. Wirtschaftlich liegt das Risiko darin, dass das Unternehmen Aufträge verliert, nachdem Parlamente unter republikanischer Führung in mehreren Bundesstaaten Druck gemacht haben, die Wahlmaschinen von künftigen Wahlen auszuschliessen.

Das würde Dominion hart treffen. Das Unternehmen ist der zweitgrösste Hersteller von Wahlmaschinen, hält einen Marktanteil von rund 40 Prozent und versorgt 1900 der 3000 Wahlbezirke des Landes. Giuliani behauptete, dass der Wahlausgang auch in Bezirken verfälscht wurde, in denen die Maschinen der Konkurrenten ES&S und Hart InterCivic zum Einsatz kamen. Zudem soll Dominion Software verwendet haben, die 2014 bei manipulierten Wahlen in Venezuela eingesetzt wurde. (Lesen Sie dazu: In Trumps mentalem Bunker blühen stets neue Fantasien)

Alles in allem hat Giuliani den Betrugsvorwurf in über 50 Fällen erhoben; und jedesmal nahmen Fox News und rechtsradikale Sender wie Newsmax die Lüge ungefiltert auf und verbreiteten sie weiter. Aus dem gleichen Grund wie jetzt Giuliani, und ebenfalls auf 1,3 Milliarden, hatte Dominion schon früher Sidney Powell verklagt, eine Trump-Anwältin mit beschränkter Haltefrist. Eine Klage gegen den Ex-Präsidenten selber will Poulos nicht ausschliessen. Trump hatte Giuliani überraschend nicht begnadigt. Allerdings halten sich Gerüchte, wonach das Pardon erfolgte, aber nicht publik gemacht wurde.

Lukrative Verschwörungsindustrie

Giuliani führte seine Lügenkampagne gemäss der Klageschrift nicht nur aus politischen, sondern ebenso aus finanziellen Motiven. Zum einen habe er ein Tageshonorar von 20’000 Dollar für das Aufrechterhalten der Wahllüge verbucht, um zum anderen habe er dicke Honorare als Werbeträger für Goldmünzen, Nahrungsmittelzusätze, Zigarren und Versicherungen gegen Cyber-Diebe kassiert. Der 76-jährige Trump-Anhänger erscheint in diesem Licht nicht so sehr als politischer Eiferer, sondern als gerissener Vermarkter seiner selbst. Dieser Charakterzug verbindet ihn seit Jahrzehnten mit Trump; beide hatten sich in New York gegenseitig als Meister der Selbstinszenierung hochgeschaukelt.

Giuliani handelte gemäss der Klageschrift nicht nur aus politischen, sondern ebenso aus finanziellen Motiven.

Überdies gehört das Vermarkten von Gold, dubiosen Versicherungen und Heilmitteln zum ständigen Repertoire der Verschwörungsindustrie. Auf Fox, Newsmax und Talk-Radio wird damit vor allem ein älteres Publikum umworben. «Leutselige Leute werden massenhaft mit Desinformation eingedeckt, bevor sie ausgenommen werden», sagt der Kongressabgeordnete Denver Riggleman, ein Republikaner, der trotz Unterstützung durch Trump seine Wiederwahl verloren hat. «Es ist der grösste Abriss in der Geschichte der USA».

«Pink Slime»-Prozess ein Musterfall?

Dominion muss vor Gericht nachweisen, dass Giuliani die Lügen wider besseres Wissen und arglistig aufgetischt hat. Ebenfalls zu belegen ist der materielle Schaden. Rechtsexperten meinen, dass ein Prozess bereits ein Erfolg für Dominion wäre. Eine substanzielle Wiedergutmachung liegt aber auch drin. Einer der klageführenden Anwälte war nämlich 2012 am bisher grössten Verleumdungsprozess des Landes beteiligt und hatte Erfolg.

Er erstritt vom Medienkonzern Disney einen Schadenersatz von 177 Millionen Dollar, weil der zum Konzern gehörende TV-Sender ABC in rufschädigender Weise über den Fleischverarbeiter Beef Products berichtet hatte. Zur Debatte stand die Produktion von «Pink Slime», einem aus Fleischresten und Chemikalien erzeugten Füllmaterial für Hamburger, das an «rosaroten Schleim» erinnert. Der Bericht von ABC liess den Absatz des Füllstoffes einbrechen und führte zu massiven Umsatzverluste und Entlassungen.