Terrorprozess in BelgienEin Attentäter mit der «Intelligenz eines Aschenbechers»
Salah Abdeslam erhielt in Brüssel keine zusätzliche Strafe – und wird trotzdem den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen. Sein Verteidiger fällt ein hartes Urteil über den Hauptverantwortlichen des Bataclan-Attentats.
Er sei «sehr erleichtert», liess Salah Abdeslam am Wochenende über seine Anwälte mitteilen. Die Geschworenen im Prozess um die Terroranschläge vom 22. März 2016 in Brüssel hatten ihn zwar Ende Juli des terroristischen Mordes für schuldig erklärt – verhängten jetzt aber nicht noch einmal eine lebenslange Strafe, als es im letzten Schritt des Prozesses um das genaue Strafmass ging.
Abdeslam wertete das offenbar wie einen Freispruch, obwohl die Sache komplizierter ist. Eines war ohnehin schon entschieden: Er wird sein restliches Leben im Gefängnis verbringen. Salah Abdeslam, 34 Jahre alt, Brüsseler mit französischem Pass, gehört zu der Terrorzelle, die mit den Anschlägen vom 13. November 2015 in Paris (unter anderem im Bataclan) und wenige Monate später in Brüssel (am Flughafen und in der U-Bahn) ganz Europa in Angst versetzte.
Unendliches Leid verursacht
130 Menschen verloren ihr Leben in Paris, 32 Menschen starben in Brüssel. Die Geschworenen im Pariser Prozess haben Abdeslam vergangenes Jahr zu lebenslanger Haft ohne jede Möglichkeit der vorzeitigen Entlassung verurteilt. Salah Adeslam ist der letzte noch lebende Terrorist des Kommandos, das an jenem Abend 2015 durch Paris gezogen ist.
Es ist juristisch umstritten, ob das Brüsseler Schwurgericht eine weitere lebenslange Strafe hätte verhängen können. Möglicherweise, so wird spekuliert, wollte das Gericht vermeiden, dass Abdeslam in die Berufung geht. Möglicherweise war es aber tatsächlich auch ein Akt der Gnade gegenüber einem Mann, der so viele Leben ruiniert hat, darunter sein eigenes.
Salah Abdeslams Eltern stammen aus Marokko, wanderten nach Frankreich aus und zogen dann in den Brüsseler Stadtteil Molenbeek. Salah Abdeslam lernte Elektriker, war auf dem Weg in ein bürgerliches Leben samt fester Freundin. Dann versank er in Kleinkriminalität und Drogenkonsum. Und schliesslich ereilte ihn das vermeintliche Erweckungserlebnis: der Krieg des Islamischen Staates im Irak und in Syrien.
«Abgrundtief hohl»
Das härteste Urteil über Salah Abdeslam sprach ausgerechnet der belgische Anwalt Sven Mary, der ihn im Prozess in Paris verteidigt hatte. Abdeslam sei «ein kleines Arschloch aus Molenbeek, das aus der Kleinkriminalität stammt und eher ein Mitläufer als ein Anführer ist», sagte er in einem Interview mit der französischen Zeitung «Libération». Abdeslam habe «die Intelligenz eines leeren Aschenbechers» und sei «abgrundtief hohl».
Er habe ihn einmal gefragt, ob er den Koran überhaupt gelesen habe, berichtete Anwalt Mary, und Abdeslam habe ihm erwidert: Er habe eine Zusammenfassung im Internet studiert. Salah Abdeslams Bruder sprengte sich am 13. November 2015 in Paris in die Luft.
Salah Abdeslam selbst legte aus bis heute ungeklärten Umständen – er selbst sagt: aus «Humanität» – an jenem Abend in Paris seine Sprengstoffweste ab, tauchte in Brüssel unter und fand wieder Anschluss beim Rest seiner Terrorzelle. Er entkam der Polizei am 15. März bei einem Feuergefecht, das ihm in einem separaten Prozess 20 Jahre Haft eintrug, ehe er dann am 18. März in Molenbeek gefasst wurde.
Er spielte den Unwissenden
Er sei Opfer seines Medienruhms, sagte Salah Abdeslam beim Brüsseler Prozess. Er bedaure die Anschläge, die seine Kumpels vier Tage nach seiner Verhaftung am Flughafen und in der U-Bahn begingen, aber er habe nichts damit zu tun. Das ist natürlich nur die halbe Wahrheit. Abdeslam wusste sehr wohl, dass seine Kumpels Sprengstoff anmischten, und er muss auch geahnt haben, dass sie bald losschlagen würden. Er wusste nur nicht, wann genau und wo. Juristisch gilt Salah Abdeslam auch in Brüssel als terroristischer Mörder. Aber er ist ein Mörder ohne zusätzliche Strafe. Mit «grosser Emotion» habe er das aufgenommen, berichteten seine Anwälte.
Salah Abdeslam will den Rest seines Lebens hinter Gittern in Belgien bleiben. Er will um keinen Preis wieder zurück in sein Pariser Gefängnis. Sein erster Antrag, die Auslieferung nach Frankreich zu untersagen, wurde von einem belgischen Gericht abgelehnt. Abdeslam geht in die Berufung.
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