Ungeimpfte fliegen rausSwiss-Angestellte ohne Impfung sorgen sich um ihre Jobs
Als eine der ersten Fluggesellschaften weltweit will die Swiss Crewmitgliedern, die sich dauerhaft gegen eine Impfung entscheiden, kündigen. Rechtlich ist das voraussichtlich zulässig. Werden nun andere Schweizer Firmen nachziehen?
«Ich muss mich impfen lassen. Sonst werde ich rausgeschmissen.» Alex Hinder (Name geändert), seit fünfzehn Jahren Pilot bei der Swiss, hat keine Wahl. Bis zum 15. November muss er den zweiten Piks im Arm haben, sonst kann er seine Uniform im Schrank lassen. Entscheidet er sich dauerhaft gegen die Covid-Impfung, wird die Swiss ihn entlassen.
Ist das verhältnismässig? Die Airline begründet den drastischen Schritt mit der Planungssicherheit. «Für eine weiterhin stabile Operation ist die Durchimpfung von zentraler Bedeutung», erklärte die Swiss gegenüber dieser Zeitung. Zwar reicht derzeit an praktisch allen Destinationen für eine Übernachtung der Crewmitglieder ein 3-G-Nachweis. Nur Hongkong verlangt zwingend eine Impfung. Doch auch für die USA und Kanada zeichnet sich diese Vorschrift für Crews ab.
Auch United und Westjet entlassen Ungeimpfte
Mit der Kündigung für Ungeimpfte geht die Swiss weiter als alle anderen Airlines in Europa – auch als der Mutterkonzern Lufthansa. Doch auch die Lufthansa «wird alles ihr Mögliche unternehmen, um auf eine möglichst vollständige Durchimpfung hinzuwirken», schreibt Sprecher Jörg Waber. In den USA haben bislang United und Westjet die gleiche Massnahme wie die Swiss beschlossen. Wie am Mittwochmorgen bekannt wurde, betrifft dies bei United Airlines etwa 600 Impf-Verweigerer. Ihnen wurde gekündigt.
Wie viele bei der Swiss betroffen sein werden, ist sehr schwierig abzuschätzen. «Die Anzahl der vollständig Geimpften liegt etwas über dem Schweizer Durchschnitt», schreibt Swiss-Sprecher Marco Lipp. Die Airline habe das durch interne Befragungen ermittelt. In der Schweiz sind aktuell 57,9 Prozent der Menschen vollständig geimpft.
Auch die Gewerkschaft des Kabinenpersonals (Kapers) hat keine Zahlen zu den potenziell von einer Kündigung Betroffenen. «Das weiss kein Mensch», sagt Kapers-Sprecherin Sandrine Nikolic. «Ich verstehe die Swiss», sagt sie. «Wenn alle Crew-Members geimpft sind, hilft das der Planungssicherheit, was ökonomisch Sinn macht.» Gleichzeitig habe sie Verständnis für Kolleginnen und Kollegen, die sich nicht impfen lassen wollen. «Das sind zwar wenige, doch sie alle haben ihre individuellen Gründe», so Nikolic. «Es ist schade, wenn diese Angelegenheit die Belegschaft spaltet und wir wieder Personal verlieren.»
Schwierige Ausgangslage für Gerichte
Sowohl Kapers als auch der Gewerkschaft des Cockpitpersonals (Aeropers) scheint nicht viel anderes übrig zu bleiben, als den Entscheid zu akzeptieren. Denn aus juristischer Sicht dürfte die Swiss am längeren Hebel sitzen. «Die rechtliche Lage ist komplex und dürfte die Gerichte, sollte es dereinst zu juristischen Verfahren betreffend Anordnung einer Impfpflicht durch Arbeitgeber kommen, vor schwierige Entscheidungen stellen», sagt Arbeitsrechtsexpertin Seraina Denoth.
«Wirtschaftliche Interessen sind ebenfalls zu gewichten und dürften dazu führen, dass eine Kündigung aufgrund fehlender Covid-Impfung nicht als missbräuchlich qualifiziert würde.»
Der Piks stelle einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit dar. Deshalb seien die Hürden für eine Impfpflicht hoch. «Ein solcher Eingriff ist dann gerechtfertigt, wenn eine gesetzliche Grundlage und ein öffentliches Interesse – wie aktuell die Gesundheit der Bevölkerung – besteht sowie die Verhältnismässigkeit gegeben ist», sagt Denoth vom Anwaltsbüro Legal Partners Zurich. Es sei somit abzuwägen zwischen dem individuellen Recht auf persönliche Unversehrtheit einerseits und dem öffentlichen Interesse am Schutz der Gesundheit der Bevölkerung andererseits.
Auch wirtschaftliche Interessen müsse ein Gericht berücksichtigen. Also etwa, dass eine Airline ihren Betrieb aufrechterhalten können muss. Fluggesellschaften sind darauf angewiesen, dass Mitarbeitende regelmässig in unterschiedliche Länder ein- und ausreisen können. Denoth sagt: «Die Einreisebestimmungen ändern zurzeit fortlaufend, sodass mildere Massnahmen als eine Impfpflicht, wie regelmässiges Testen, sehr schwierig umsetzbar sind.»
GAV enthält «Impfklausel»
Im Fall Swiss spielt zudem der Gesamtarbeitsvertrag (GAV) aus dem Jahr 2009 eine zentrale Rolle. Darin ist geregelt, dass die Airline gegebenenfalls Schutzimpfungen von ihren Mitarbeitenden verlangen kann. «Wer sich von der Swiss hat anstellen lassen, hat mit seiner Vertragsunterschrift zugestimmt. Somit würde ein Gericht in einem Rechtsverfahren vermutlich eher zugunsten der Swiss entscheiden und eine Kündigung aufgrund fehlender Covid-Impfung nicht als missbräuchlich qualifizieren», sagt Denoth.
Wegen dieser speziellen «Impfklausel» im GAV hat die Swiss nicht zwingend Vorbildcharakter für andere Schweizer Firmen. Auch die Tatsache, dass ihre Mitarbeitenden von Berufs wegen regelmässig Ländergrenzen passieren müssen, macht die Airline zu einem Spezialfall. «Würde ein anderes Unternehmen seinen Mitarbeitenden eine allgemeine Impfpflicht auferlegen, dürfte dies unzulässig sein, solange mildere Massnahmen angeordnet werden können, um die Gesundheit von Mitarbeitern und Kunden zu schützen», sagt Denoth.
Für Industriefirmen, deren Mitarbeitende sporadisch zwecks Installationen von Maschinen oder für Verkaufsberatungen ein- und ausreisen müssen, gehe eine Impfpflicht zu weit – denn diese Angestellten, so Denoth, könnten in der Regel ihren Beruf weiter ausüben, wenn sie sich wie vorgeschrieben regelmässig testen liessen.
(Mitarbeit: Konrad Staehelin)
*In einer früheren Version war die Rede von einer Handvoll Mitarbeitenden, denen bei United gekündigt wurde.
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