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Parteiführung abgestraft
Blocher poltert, Aeschi schüttelts

Christoph Blocher, anlässlich eines Interviews zu 150 Jahren Verfassung von 1874, 22. Mai 2024. Foto: Moritz Hager/Tamedia AG
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In Kürze:
  • Mit grosser Mehrheit sprechen sich die SVP-Delegierten entgegen der Parteispitze für die neue Finanzierung des Gesundheitswesens aus.
  • Fraktionschef Thomas Aeschi respektiert trotz Niederlage die direktdemokratische Entscheidung der Partei.
  • Sieg der Basis könnte zu einer Richtungsänderung in der Partei führen.
  • Viele bezweifeln, ob der wirtschaftsliberale Kurs bei der Basis weiterhin unterstützt wird.

Für einmal rebellierte die Basis der SVP gegen die Parteiführung: Überraschend deutlich stimmten gestern die Delegierten mit 248 zu 90 Stimmen der Gesundheitsvorlage zur einheitlichen Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen zu – obwohl der zehnköpfige Parteileitungsausschuss vor Wochen die Nein-Parole beschlossen hatte. Und einzelne Mitglieder der Parteispitze, allen voran Fraktionschef Thomas Aeschi, sich tüchtig ins Zeug gelegt hatten, um auch die Basis auf Nein-Kurs zu bringen. 

Der Streit in der Partei eskalierte vor zwei Wochen: Zuerst wehrte sich der Schaffhauser SVP-Ständerat Hannes Germann gegen die Führung. Dann wandten sich sechs Regierungsräte in einem offenen Brief direkt an die Delegierten. Sie forderten diese auf, der Parteispitze nicht zu folgen. Darauf versuchte der Zentralvorstand der Partei den Ball flach zu halten: Er empfahl der Delegiertenversammlung Stimmfreigabe. Doch dann kam Christoph Blocher. 

Hannes Germann, SVP Ständeratspräsident.  Bild Tom Kawara fuer TA INL.  Zuerich, 20.11.2013.

Am Freitagabend erklärte der SVP-Doyen auf seinem privaten Sender «Teleblocher» ganz beiläufig, dass er entgegen der Parteileitung für die Gesundheitsvorlage gestimmt habe. Ob das Ergebnis an der Delegiertenversammlung auch so deutlich ausgefallen wäre, wenn Blocher nicht persönlich eine Vorgabe gemacht hätte, bleibt Spekulation. Für Ständerat Germann steht jedoch fest: «Dass sich Christoph Blocher am Freitag für ein Ja ausgesprochen hat, hat zweifellos zum guten Ergebnis beigetragen.»

Der Sieger ist überrascht

Germann, der als Erster der Parteispitze die Stirn bot, zählt nun zu den grossen Gewinnern: «Ich bin überaus positiv überrascht von der Parolenfassung. Ehrlich gesagt, hatte ich nicht mehr damit gerechnet.» Das Ja sei ein «deutliches Votum» dafür, dass die SVP nicht den Gewerkschaften aufsitze, die mit ihrem Referendum «nur das Gesundheitssystem an die Wand fahren wollen, um dann eine Einheitskasse zu installieren».

Ebenfalls zu den Gewinnern zählt die Aargauer SVP-Nationalrätin Martina Bircher, eine erfahrene Gesundheitspolitikerin. Sie hätte die Vorlage an der Delegiertenversammlung gern als Befürworterin vertreten, doch die Parteileitung verhinderte dies offenbar. Stattdessen ernannte sie den Genfer SVP-Nationalrat Thomas Bläsi als offiziellen Redner der Befürworter – ein politischer Newcomer, der nur Französisch spricht und nicht Mitglied der Gesundheitskommission ist. Es hiess hinter vorgehaltener Hand, die SVP-Spitze habe ganz bewusst ihn vorgeschickt, weil sie gewusst habe, dass sie damit einen viel schwächeren Gegner als Hauptredner hätte.

Der grosse Verlierer des innerparteilichen Machtkampfs ist Fraktionschef Thomas Aeschi. Er gibt sich jedoch demütig: Die SVP sei eine Volkspartei, in der alle Meinungen vertreten seien. «Wir haben das direktdemokratisch ausgefochten, und ich respektiere selbstverständlich den Entscheid.» Wichtig sei gewesen, dass der Parteileitungsausschuss seine Bedenken habe vorbringen können. «Wir befürchten, dass die Vorlage zu höheren Kosten und Prämien führen wird», so Aeschi. Diese Meinung habe er stets in allen Gremien vertreten.

Nationalrat Thomas Aeschi an der Delegiertenversammlung der SVP Schweiz in der Sporthalle Schachen in Aarau am Samstag, 12. Oktober 2024. KEYSTONE/Walter Bieri )

Er glaube nicht, dass Christoph Blocher den Umschwung bewirkt habe, sagt Aeschi. «Ich kann mit seiner Wortmeldung gut leben.» Ausschlaggebend gewesen sei, dass die Ja-Seite sehr gut mobilisiert habe. «Ich sah Leute, die schon seit Jahren nicht mehr an eine Delegiertenversammlung gekommen sind», sagt der Fraktionschef.

Steht die Partei an einem Wendepunkt?

Der Streit um die Gesundheitsvorlage ist bloss die letzte Folge einer Serie von Unstimmigkeiten zwischen Parteispitze und Basis. Bei der Abstimmung zur 13. AHV-Rente drückte die Parteileitung die Nein-Parole durch, obwohl Umfragen von Anfang an zeigten, dass die Mehrheit der SVP-Wählerschaft für die Initiative war. Genau gleich lief es bei der Abstimmung zur BVG-Reform. Ähnlich verhielt es sich beim Stromgesetz: Die Mehrheit der SVP-National- und Ständeräte hatten der Vorlage im Parlament zugestimmt. Doch die Parteispitze trimmte die Delegiertenversammlung auf ein Nein.

Das alles wirft die Frage auf, ob die SVP mit ihrem wirtschaftsliberalen Kurs bei der Basis noch ankommt oder ob sie, ähnlich wie andere Rechtsparteien in Europa, einen konservativ-sozialen Kurs einschlagen müsste, um weiterhin Erfolg zu haben. Bislang wehren sich Parteiexponenten vehement gegen solche Überlegungen, die sie als «Unterstellungen» abtun.

Unübersehbar wurde aber in letzter Zeit, dass sich die Parteileitung immer stärker von der Basis entfernt hat. Bei den drei letzten umstrittenen Abstimmungsvorlagen konnte sich die Parteispitze bei der Delegiertenversammlung immer noch mit Ach und Krach durchsetzen. Bei der Gesundheitsvorlage hat sich die Basis nun erstmals durchgesetzt. Vielleicht ist das ein Wendepunkt in der Partei.