Hungerkatastrophe in OstafrikaKriegsherren blockieren humanitäre Hilfe für den Sudan
Die USA stossen in der Schweiz Gespräche über eine Waffenruhe im Sudan an. Was für die Zivilisten in den Kampfgebieten auf dem Spiel steht.
Manchmal ist der Alltag von Nothelfern in Hungergebieten bizarr. Zum Beispiel, wenn sie vor einem Grenzübergang zum Sudan stehen, der eigentlich gut passierbar ist – und doch ein scheinbar unüberwindbares Hindernis darstellt. So ist die Lage derzeit bei Adré im Tschad, wo es hinübergeht in die Hungerzonen von Darfur. Im Sudan leben – mitten im Krieg – Millionen ausgezehrte Menschen, die auf weitere grausame Wochen voller Entbehrungen zusteuern, ohne Aussicht auf Hilfe.
Die UNO-Trucks könnten einfach hinüberfahren und wären etwa eine Stunde später in der Stadt El Geneina. Aber was heisst «einfach»? Die Hilfskonvois verzichten auf diese Route in den Sudan, weil die von der sudanesischen Armee (SAF) getragene Putschregierung eine Passage am Übergang Adré untersagt hat. Die Armeeführung und ihre Verbündeten reklamieren für sich, als legitime Regierung des Sudan aufzutreten.
Und die Vereinten Nationen akzeptieren das, sonst könnten sie das Grenzverbot einfach ignorieren. Nun fahren die UNO-Trucks einen grossen Umweg, nach Norden zum Grenzübergang Tine, den die SAF kontrolliert. Überflutungen erschweren allerdings die Route enorm. Wertvolle Zeit geht verloren, und was auf der anderen Seite ankommt, ist viel zu wenig.
Erbitterte Kämpfe um Vormacht im Land
«Aber so, wie die Dinge liegen, können wir uns über das Passierverbot in Adré nicht einfach hinwegsetzen», sagt ein UNO-Mitarbeiter, der seinen Namen nicht genannt wissen will. Allerdings – und da wird es schräg – kontrolliert die Armee SAF die Gebiete im Westen des Sudan gar nicht mehr, die Regierung von General Abdel Fattah al-Burhan residiert im Osten am Roten Meer in Port Sudan. Grosse Teile Darfurs werden inzwischen von Milizen der Rapid Support Forces (RSF) beherrscht, den erbitterten Feinden der Armee. Seit April 2023 liefern sich beide Seiten erbittere Kämpfe um die Vormacht im Land.
Öffentlich hat die Armee ihr Passierverbot der Grenze bei Adré mit der Gefahr begründet, dass dann noch leichter Waffen über die Grenze gelangten, für die RSF. Nahe liegt allerdings noch ein anderes Motiv, auch wenn es nicht offen ausgesprochen wird: Die SAF will nicht, dass Nahrungslieferungen in Gebiete gelangen, in denen die RSF herrscht. Umgekehrt tut die RSF ebenfalls alles, um Logistik und Nachschubwege der SAF zu stören.
Angesichts der Blockaden gibt es jetzt in Genf viel zu verhandeln – wenn es dazu kommt. Die USA haben für diesen Mittwoch die Kriegsparteien des Sudan in die Schweiz geladen, mit Unterstützung des Gastgebers, der wichtige Erfahrungen mitbringt bei diplomatischen Vermittlungen in Kriegsgebieten. Frühere Gespräche sind gescheitert.
25 Millionen leiden unter Nahrungsmangel
Der US-Sonderbeauftragte für den Sudan, Tom Perriello, hob die Dringlichkeit auf der Plattform X hervor: «Wir haben Zehntausende Zivilisten im Sudan und ausserhalb gehört, ihre Botschaft ist klar: Sie wollen ein Ende des täglichen Terrors durch Granatbeschuss, Hunger und Belagerung.»
Schon in den früheren Konflikten im Sudan konnte man oft beobachten, dass die Kontrolle von Nahrung zur Machtfrage wurde, jetzt ist das nicht anders, allerdings mit bisher ungeahnten Dimensionen. Der Konflikt hat eine gewaltige Hungerkatastrophe ausgelöst, die grösste, die die Welt derzeit erlebt. 25 Millionen leiden unter dem Mangel an Nahrung, das Leben von 750’000 Menschen ist akut bedroht.
Leni Kinzli vom Welternährungsprogramm WFP sagt am Telefon aus Nairobi: «Wir brauchen diese Waffenruhe, um besonders auch jene Menschen zu erreichen, für die der Hunger lebensbedrohlich geworden ist.» Helfer berichten von einer wachsenden Frustration. Der Zynismus der Kriegsführung, in dem das Aushungern von Zivilisten zur Waffe wird, hat verheerende Folgen. Viele Zivilisten können dem Hunger nicht mehr entfliehen, etwa in der von der RSF belagerten Stadt El Fasher im Norden Darfurs.
Etwas südlich der Stadt liegt das Vertriebenencamp Zamzam, in dem ein Expertengremium Anfang August die höchste Hungerstufe ausgerufen hat, IPC 5 genannt. Dies ist ein technischer Begriff, um eine Hungersnot zu definieren. Es gelten bestimmte Kriterien: extremer Kalorienmangel für 20 Prozent der Bevölkerung, mindestens 30 Prozent der Kinder unter fünf Jahren leiden an akuter Mangelernährung, und mindestens zwei von 10’000 Bewohnern sterben Tag für Tag am Nahrungsmangel oder einer Kombination aus Krankheit und Hunger.
Dass allein in Zamzam bisher eine Hungersnot festgestellt wurde, hat womöglich damit zu tun, dass in anderen Zonen keine gesicherten Daten vorliegen. WFP-Sprecherin Kinzli verweist allerdings auf Einschätzungen der UNO, wonach das Risiko einer Hungersnot – also die schlimmste Stufe des Mangels – auch in weiteren 13 Regionen des Sudan bestehe.
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