Kämpfe im SudanEin Krieg, der die Welt kaltlässt
Seit einem Jahr richten zwei Generäle mit ihren Armeen den Sudan zugrunde, ohne dass sie jemand stoppt.
Am Tag, als in Khartum die ersten Schüsse fallen und Granaten explodieren, gibt sich die Armee siegessicher. Es ist der 15. April 2023, und das Oberkommando lässt über Radio verbreiten, dass die gegnerischen Kämpfer keine Chance hätten: «Ihre sündigen Bestrebungen werden scheitern, angesichts der Entschlossenheit und des Willens der Streitkräfte.» Die Botschaft klingt, als würde die Armee (SAF), unter General Abdel Fattah al-Burhan, nicht lange brauchen, um den aufmüpfigen Gegner niederzuringen.
Gekommen ist es anders. Ein Jahr nach Ausbruch der Kämpfe im Sudan ist die Armee weit davon entfernt, die Oberhand zu gewinnen. Ihr Gegner wirkt fest entschlossen, er sucht seine Chance: Mohamed Hamdan Dagalo, genannt Hemeti, befehligt die «Rapid Support Forces» (RSF), eine kampferprobte und gut gerüstete Bodentruppe, die noch vom damaligen Diktator Omar al-Bashir aufgebaut worden war, um rebellische Kräfte in Darfur niederzudrücken. Hemeti soll aus dem Tschad stammen, was er selbst bestreitet.
Sicher ist, dass der einstige Kamelhändler – ein Aussenseiter im traditionellen Machtgefüge des Sudan – durch seinen Feldzug gegen die etablierte Militärclique aus dem Niltal entscheidend mitbestimmt, ob der Sudan als Vielvölkerstaat noch eine Zukunft hat – oder auf Dauer zerbricht.
«Der Sudan befindet sich in einer steilen Abwärtsspirale Richtung Kollaps», warnt Alan Boswell, Experte für das Horn von Afrika beim Thinktank International Crisis Group. «Die beiden Männer zerstören dabei alles, was sie sich eigentlich einverleiben wollten.» Die Wirtschaft liegt am Boden, die Infrastruktur ist weitgehend zerstört. Dieser Krieg, sagt Boswell am Telefon aus Nairobi, basiere auf falschen Kalkulationen. «Sowohl Burhan als auch Hemeti dachten, sie könnten den Konflikt schnell für sich entscheiden.» Sie lagen daneben. «Keine Seite kann diesen Krieg gewinnen.»
Stattdessen haben sich die Rivalen in ein militärisches Patt hineingekämpft, das gewaltiges Elend erzeugt. «Akteure in Konflikten haben oft eine Tendenz, die Kosten des Krieges zu unterschätzen und ihre möglichen Gewinne zu überschätzen.» Sudan zeige dies nun auf drastische Weise, sagt Boswell.
Gerade mal fünf Jahre ist es her, da flackerte noch Zuversicht auf in Khartum. Proteste setzten den Langzeitdiktator Bashir unter Druck, er stürzte.
Anfangs agierten Burhan und Hemeti gemeinsam, doch dann eskalierte die Rivalität, sie trieben ihre Truppen in eine Kraftprobe, überzogen grosse Gebiete mit Krieg. Dabei zerstörten sie sogar – was es noch niemals gab – das Zentrum der traditionellen sudanesischen Herrschaftszirkel: Das Städtedreieck Omdurman, Bahri und Khartum liegt in Trümmern.
Die Stelle in der Hauptstadt Khartum, wo der Blaue und der Weisse Nil zusammenfliessen, war vor fünf Jahren noch ein beliebter Ausflugsort für Familien. Jetzt sind die Ruinen in der Hauptstadt ein Symbol für die Schmach der Armee.
Unter der Führung von General Abdel Fattah al-Burhan hat sie es nicht geschafft, den innersten Raum ihrer Macht zu beschützen.
Sein Gegner Hemeti kontrolliert Khartum als Faustpfand, falls er sich zurückzieht, wird er einen hohen Preis einfordern. «Hemeti will seinen Reichtum behalten, vielleicht weiter in die Emirate reisen können. Er will nicht im Gefängnis landen und ganz sicher nicht vor dem Strafgerichtshof in Den Haag», sagt Cameron Hudson vom Center for Strategic and International Studies (CSIS) in Washington.
Die Armee hat ihre Regierung längst nach Port Sudan zurückgezogen, ans Rote Meer. Dem Land droht damit eine Spaltung, in Ost und West, wenn nicht eine Zersplitterung, weil Tag für Tag weitere Milizen eingreifen, die sich aus einzelnen Ethnien formieren, als Verbündete der einen oder anderen Seite.
Viele Sudanesinnen und Sudanesen erleiden Folter, Vergewaltigungen, müssen Massaker mitansehen. Die Befehlshaber beider Seiten geben nicht viel auf den Schutz von Zivilisten. Tausende Menschen sind schon gestorben, exakte Zahlen gibt es nicht. Die Vereinten Nationen sprechen von mehr als acht Millionen Vertriebenen, die teils über die Grenzen geflohen sind. Etwa in das Flüchtlingslager Adre im Tschad. Oder in den Südsudan, der sich erst 2011 vom Sudan abgespalten hat – und selbst von Hunger und Bürgerkrieg geplagt ist.
Und das Elend wächst: Mehr als die Hälfte der Bewohner des Sudan, 25 Millionen, brauchen laut UNO dringend Hilfe, um ihr Überleben zu sichern, davon sind 14 Millionen Kinder. Fast fünf Millionen Menschen stehen, wie das International Rescue Committee (IRC) schreibt, «am Rande einer Hungersnot». Viele Familien bleiben tagelang ohne Essen. «Das Schlimmste wird noch kommen», sagt Shashwat Saraf, regionaler Notstandskoordinator des IRC, weil Bauern ihre Felder nicht bestellen können, weil die Märkte verschwunden sind und die Gesundheitsversorgung kollabiert ist. Ohne Strom wird im Kerzenschein operiert.
Hemetis RSF hat viel Terrain in Darfur im Westen erobert, seine Truppe ist mit Vorwürfen ethnischer Vertreibungen bis hin zum Genozid an nicht arabischen Ethnien konfrontiert.
Es sind Gräueltaten, die an den Völkermord 2003 erinnern. Die Täter von damals gingen straflos aus, was die Hemmschwelle für Verbrecher im aktuellen Krieg sehr niedrig hält.
Jenseits von Darfur beherrschen RSF-Kämpfer viele Gegenden im Grossraum Khartum, oft verschanzen sie sich hinter Zivilisten. Burhan hat das nicht davon abgehalten, die Luftwaffe loszuschicken, um mutmassliche RSF-Stellungen zu bombardieren, was die Zahl der zivilen Opfer in die Höhe trieb. Verlässliche Zahlen gibt es nicht. Gleichzeitig gibt es viele lokale Berichte darüber, wie RSF-Einheiten Viertel geplündert haben und die Bevölkerung terrorisieren. Wer nicht fliehen konnte, ist gefangen zwischen den Fronten. Und Hilfe von aussen ist blockiert, solange es keine haltbare Feuerpause gibt.
Am kommenden Montag treffen sich in Paris Staaten, um über Hilfe für das Land am Nil zu beraten. Angesichts der Kriege in Gaza und in der Ukraine, die weltpolitisch in den Mittelpunkt gerückt sind, dürfte es mühsam sein, Geld für einen Brennpunkt zu sammeln, der abseits globaler Aufmerksamkeit wütet.
Bewaffnete Gruppen erheben Wegezölle auf humanitäre Lieferungen, sie fordern Teile davon für sich selbst, ohnehin sind sie daran interessiert, dass Hilfe zuerst ihren eigenen Kämpfern oder deren Unterstützern zugutekommt. «Viele Menschen sind von Hilfe abgeschnitten, weil die Konfliktparteien keine Sicherheit für Konvois gewähren», sagt Marius Schneider vom Deutschen Roten Kreuz, Büroleiter für den Sudan, mit Sitz im kenianischen Nairobi. Wenn es eine Reihe von Trucks dann doch einmal in ein Gebiet schaffen, wie kürzlich in Darfur, «dann ist das schon die Ausnahme von der Regel», sagt Schneider. Im März war er in Port Sudan, ganz im Osten, den die Armee kontrolliert. Auch dort ist die Lage höchst angespannt, Menschen müssen stundenlang für Wasser anstehen.
Internationale Bemühungen um Feuerpause blieben bislang erfolglos
Unter den Helfern sei Erschöpfung zu spüren, erzählt Schneider, viele empfänden es als belastend, dass die Welt für ihr Land kaum Augen hat, trotz des immer grösseren Leids.
Internationale Bemühungen, eine Feuerpause zu vermitteln, sind bislang gescheitert, aus Afrika kamen bislang keine starken Impulse; und Versuche der USA und Saudiarabiens, Verhandlungen in Jidda anzubahnen, verpufften. Nur ein konzertierter Anlauf von Staaten mit Einfluss könne etwas bewegen, sagt der Analyst Cameron Hudson: «Es braucht eine diplomatische Koalition, ohne sie wird es keine Lösung geben.»
Die Bereitschaft, Verhandlungsinitiativen zu koordinieren, ist in den vergangenen Wochen offenbar etwas gewachsen, und die USA haben einen neuen Sondergesandten ernannt. Doch die Interessen vieler Staaten, die im Sudan Einfluss nehmen, klaffen teils weit auseinander. Ein Beispiel: Die finanzkräftigen Vereinigten Arabischen Emirate (UAE) stützen Hemeti, während Ägypten enge Verbindungen zu Burhan pflegt. Die Saudis wiederum haben auf beide Seiten Einfluss. Und die USA – wenn sie es denn wollen – könnten ihr Gewicht als Supermacht einbringen, wenn es darum geht, vermittelnde Kräfte zu bündeln. Aber dafür müssten sie Sudan erst einmal höher auf ihre Prioritätenliste setzen, was angesichts der Kriege in der Ukraine und in Gaza nicht leicht fallen dürfte.
Und zwei Akteure könnten Verhandlungen jetzt noch komplizierter machen: der Iran und Russland. Beide wollen ihre Position am Roten Meer stärken, Moskau hatte bereits einen Deal mit Diktator Bashir ausgehandelt, eine Marinebasis in Port Sudan aufzubauen; ein Vorhaben, das durch die Umstürze und den Krieg erst einmal auf Eis liegt. Analysten beobachten, dass sich Russland nicht auf eine Seite festgelegt hat. Moskau bleibt flexibel, immer das strategische Ziel vor Augen, an der viel befahrenen Wasserstrasse einen Stützpunkt zu gewinnen.
Dass Teheran inzwischen das sudanesische Militär mit Drohnen versorgt, hält der Analyst Hudson für gesichert, die Waffengeschäfte, die Burhan militärische Vorteile bringen, dürften aber nicht nur finanziellen Erwägungen im Iran folgen. Mit den Huthis in Jemen hat Teheran bereits einen langen Arm an der Ostseite des Roten Meeres. Gewinnt das Regime nun auch noch Einfluss an der Westküste, wäre das ein gewaltiger strategischer Gewinn – und eine wachsende Bedrohung westlicher Interessen, die ohnehin schon viel Kraft einsetzen müssen, um die Route für den Handelsverkehr zu sichern.
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