Ungebremste KauflauneSparen? Ja, aber sicher nicht bei den Geschenken
Die steigenden Preise machen Sorgen, trotzdem wollen Schweizerinnen und Schweizer bei ihren Weihnachtseinkäufen viel Geld ausgeben. Die grosse Diskrepanz zwischen Stimmung und Verhalten ist aussergewöhnlich.

Die Konsumentenstimmung ist so schlecht wie noch nie zuvor, doch in den Läden ist das nicht zu spüren. Im Gegenteil. Die Detailhändler sehen dem Weihnachtsgeschäft «zuversichtlich entgegen», sagt Dagmar T. Jenni, Direktorin der Swiss Retail Federation, dem Dachverband der grossen und mittleren Detailhandelsunternehmen.
Trotz steigenden Preisen und Unsicherheit: Der Detailhandel entwickle sich weiter «sehr gut». Der Verband Swiss Retail Federation geht sogar davon aus, dass das Weihnachtsgeschäft 2022 gleich gut ausfallen wird wie letztes Jahr. Online seien die Umsätze über alle Segmente gesehen im November fast auf Vorjahresniveau, und stationär seien sie sogar um 4,5 Prozent gewachsen.
Schon der Oktober war gegenüber dem Vorjahr im Plus. «Das zeigt, dass die Rabatte dieses Jahr noch stärker genutzt wurden als bisher», sagt Jenni. Heisst: Viele Konsumentinnen und Konsumenten haben ihre Weihnachtseinkäufe zu einem guten Teil bereits während der kürzlich durchgeführten Rabatttage getätigt.
Tatsächlich sorgte die Black Week, wie die Aktionstage von Ende November und Anfang Dezember mittlerweile genannt werden, für grosse Umsätze. Am Black Friday verzeichneten die Schweizer Detailhändler einen Rekordumsatz durch Karten- und Mobile-Zahlungen. Auch die Onlineshops nahmen in der Rabattwoche mit Kreditkartenzahlungen rund 15 Prozent mehr ein als üblich. Dies zeigt eine Analyse der Nachrichtenagentur AWP basierend auf den Daten von Monitoring Consumption Switzerland, die bis 2019 zurückreichen.
Rabatttage sorgen für rekordhohe Absätze bei Multimedia
Gekauft wurde allerlei wie Windeln, Parfüms und auch Abos für den öffentlichen Verkehr. Besonders zugeschlagen haben die Konsumentinnen und Konsumenten bei Computern und anderen Multimedia-Artikeln. Obwohl Smartphones aufgrund von Engpässen bei Bauteilen und unterbrochenen Lieferketten sehr eingeschränkt erhältlich waren, erzielten die Detailhändler in der Black Week mit Smartphones die höchsten Umsätze: 38,2 Millionen Franken. Laut der Marktforschungsfirma GFK sind dies 12 Millionen Franken (+45,2 Prozent) mehr als im Vorjahr.
Ebenfalls häufig gekauft wurden Laptops, Tablets und Kameras. Fernsehgeräte, Game- und Desktop-Computer jedoch seien nicht mehr so stark gefragt gewesen wie im Vorjahr, so die GFK.
Noch nie seit Beginn im Jahr 1972 erreichte der Index der Konsumentenstimmung einen so tiefen Stand.
Die Kassen klingeln also. Das freut den Detailhandel, denn die Vorweihnachtszeit ist jeweils die umsatzstärkste Zeit des Jahres. Dass es dieses Jahr trotz höheren Preisen und der Unsicherheit so gut läuft, ist dennoch erstaunlich.
Schon seit mehreren Monaten heisst es, dass sich die Konsumentenstimmung verschlechtere. Das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco, das jeweils vierteljährlich die Konsumentenstimmung erhebt, stellte bei der jüngsten Befragung vom Oktober gar ein Rekordtief fest. Noch nie seit Beginn im Jahr 1972 erreichte der Index der Konsumentenstimmung einen so tiefen Stand. Der Grund: die Inflation und die unsicheren Aussichten.
Guter Arbeitsmarkt stützt den Konsum
Warum aber sitzt das Portemonnaie bei vielen Menschen trotzdem so locker? Viele haben einen Job und damit ein geregeltes Einkommen, denn die Arbeitslosigkeit ist tief. Auch wenn die Lohnerhöhungen in den meisten Fällen die Teuerung von rund 3 Prozent nicht ausgleichen werden: Noch haben viele Menschen genug Geld. Schweizerinnen und Schweizer, die sowieso im internationalen Vergleich als sparsames Volk gelten, konnten in den letzten Jahren laufend mehr Geld auf die Seite legen. Die Sparquote von Schweizer Haushalten hat laut Zahlen der Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH im Pandemiejahr 2020 einen Rekordwert erreicht. Seither sinkt sie zwar wieder, liegt jedoch im letzten Quartal noch immer über dem Vorkrisenniveau.
Dennoch: Die grosse Diskrepanz zwischen Stimmung und Verhalten ist aussergewöhnlich. Das findet auch Kurt Meister, Marketingexperte bei der Marktforschungsfirma GFK: «Die aktuelle Situation ist total irrational.» In den 30 Jahren, die er nun für die GFK arbeite, sei es nie so schwierig gewesen, die künftige Umsatzentwicklung abzusehen, sagt er. Ob die Konsumentinnen und Konsumenten in Befragungen Absichten äusserten, die sie dann gar nicht umsetzten, oder sich im Gegenteil aufgrund der Unsicherheit jetzt «richtig etwas gönnen» – er wisse es schlichtweg nicht, so Meister.
Diesen Widerspruch zeigt auch eine Umfrage, die das Beratungsunternehmen EY Ende November durchgeführt hat. Sie zeigt zum einen: Schweizerinnen und Schweizer wollen dieses Jahr so viel Geld für Weihnachtsgeschenke ausgeben wie noch nie: 343 Franken, das sind 3 Prozent mehr als im Vorjahr. Ausgabefreudig sind vor allem Männer. Ihr Geschenkbudget umfasst im Schnitt 375 Franken, dasjenige der Frauen nur 309 Franken.
Zum anderen stellt die EY-Umfrage fest, dass die hohen Budgets für Weihnachtsgeschenke nicht mit den Absichten übereinstimmen. Eine Mehrheit von 62 Prozent der Befragten möchte die Ausgaben nämlich reduzieren – 41 Prozent davon «leicht» und 21 Prozent sogar «deutlich». Die restlichen 38 Prozent beabsichtigen – zumindest für diese Weihnachten – ihr Konsumverhalten zu nicht ändern. Im Gegensatz zu den Deutschschweizern scheinen die Westschweizer zurückhaltender zu sein und vermehrt ihr Weihnachtsbudget zu verknappen. Dies geht auf einer Umfrage der Finanzvergleichsplattform Hellosafe hervor.
Noch schränken viele Konsumentinnen und Konsumenten ihr Konsumverhalten also nicht wesentlich ein, vermuten aber – mit Blick aufs Ausland und auf weiter steigende Kosten für Energie und Wohnen –, dass sie bald mehr verzichten müssen. Vielleicht greifen sie jetzt zu, weil sie für die Zukunft steigende Preise erwarten.
Lego, Games und Gutscheine kommen unter den Tannenbaum
Gekauft werden insbesondere Spielzeuge, auch wenn diese massiv von der Inflation betroffen sind. Eine Auswertung von Digitec Galaxus hat bei Lego für November eine Teuerungsrate von 17,6 Prozent festgestellt.
Trotzdem wird «Lego» beim grössten Onlineshop des Landes derzeit so häufig ins Suchfeld eingetippt wie kein anderer Begriff. Die Auswertung dieser Suchwörter sei ein gutes Indiz, was dieses Jahr unter Schweizer Christbäumen liegen werde, schreibt Digitec Galaxus. Demnach sind Gamekonsolen von Sony und Nintendo, Handys und Kopfhörer von Apple sowie Föhne und Staubsauger von Dyson dieses Jahr besonders beliebte Weihnachtsgeschenke.
Bei der Umfrage von EY hingegen schwang ein anderes Geschenk obenaus: Gutscheine. Spielwaren landeten an zweiter Stelle, Lebensmittel an dritter. Letztes Jahr war das anders. Damals standen Kleider und Kosmetika ganz oben auf der Geschenkliste.
In vielen Familien wird Weihnachten also gleich üppig ausfallen wie in früheren Jahren. Die Diskrepanz zwischen der Konsumentenstimmung und dem Verhalten in den Läden könnte mitunter eine psychologische Komponente haben: Das, was die Menschen bei Befragungen angeben, ist nicht deckungsgleich mit ihrem Verhalten – respektive mit dem Verhalten, das sie aufgrund ihrer ökonomischen Situation eigentlich an den Tag legen müssten.
Derweil zeigen Erkenntnisse der Verhaltensökonomie, auf welche Art und Weise die Menschen sparen, wenn sie dazu gezwungen sind: Sie überlegen sich, was für sie und ihre Identität wichtig ist, und reduzieren diejenigen Ausgaben, die für ihre Selbstwahrnehmung nicht unbedingt notwendig und identitätsstiftend sind. «Wenn es wirklich ums Budget geht, dann rechnen die Leute sehr genau. Alles, was sie nicht brauchen, lassen sie weg», sagte Verhaltensökonom Gerhard Fehr im Interview mit der SonntagsZeitung. Und: «Bei den Kindern wird zuletzt gespart.»
Darauf hofft auch Dagmar Jenni von der Swiss Retail Federation. Sie ist überzeugt: «Die Konsumentinnen und Konsumenten wollen sich und ihren Liebsten gerade in einer etwas herausfordernden Zeit etwas Gutes tun.»
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