Pro und Kontra KinderabzügeSollen Eltern steuerlich entlastet werden?
Höhere Abzüge für Kinder und für deren Betreuung in der Kita: Braucht es das? Über diese Frage ist eine hitzige politische Diskussion entbrannt. Auch auf der Redaktion.
Ja
Die SP betreibt einen unredlichen Abstimmungskampf: Sie behauptet mit derben Worten («Steuer-Bschiss»), dass nur die Reichsten von der Erhöhung der Kinderabzüge bei den direkten Bundessteuern von 6500 auf 10’000 Franken profitieren würden. Das ist nachweislich falsch: Fast 60 Prozent der Familien (in absoluten Zahlen: 650’000 Familien) bezahlen Bundessteuern – und sie alle würden mehr oder weniger entlastet. Wegen der starken Progression wären bei den höheren Einkommen die Erlasse höher. Ein Drittel der insgesamt 370 Millionen Franken Steuerersparnis geht an Familien mit gemeinsamen steuerbaren Einkommen unter 100’000 Franken, zwei Drittel an jene, deren steuerbare Einkünfte darüber liegen.
Vertreter der SP schimpfen das Klientelpolitik. Dabei ist es just ihre Klientel, die ebenfalls profitieren würde. Zum Beispiel Eltern, die als Lehrer, in der Pflege oder in der Sozialarbeit tätig sind, und gemeinsam zum Familieneinkommen beitragen. Zusammen generieren sie in solchen Berufen, auch mit reduzierten Pensen, ausreichend steuerbare Einkünfte, um mit den neuen Abzügen zu sparen.
Auch das ist eine Falschaussage in diesem Abstimmungskampf: dass es sich um eine Herdprämie handle.
Klar, diese Familien kommen auch ohne Steuervergünstigungen zurecht. Genauso wird aber immer argumentiert, wenn es um potenzielle Erleichterungen geht. Mit der Folge, dass der Mittelstand in der Regel leer ausgeht – zum Beispiel bei den Prämienverbilligungen oder den Kita-Tarifvergünstigungen.
Dabei müssten wir volkswirtschaftlich allergrösstes Interesse daran haben, gut ausgebildete (und ja: entsprechend besser verdienende) Mütter im Arbeitsmarkt zu halten, statt sie steuerlich zu bestrafen, wenn sie ein Zusatzeinkommen haben. Denn auch das ist eine Falschaussage in diesem Abstimmungskampf: dass es sich bei den höheren Kinderabzügen um eine «Herdprämie» handle.
Das Gegenteil ist der Fall: Tiefere Steuern für höhere Einkommen generieren bei Doppelverdiener-Paaren einen Anreiz zu mehr, nicht zu weniger Erwerbstätigkeit. Das sollte eigentlich gerade jenen recht sein, die es mit der Frauenförderung ernst meinen. Die SVP-Basis jedenfalls scheint den (ihr natürlich nicht genehmen) Effekt bemerkt zu haben: In Umfragen spricht sie sich entgegen der Haltung ihrer Partei gegen die Vorlage aus.
Noch wahrscheinlicher ist, dass die SVP-Basis bemerkt hat, was die Linke mit ihrer schrillen Kampagne gekonnt vernebelt: dass die Vorlage einen zweiten Teil hat. Dabei geht es um die Erhöhung der Steuerabzüge für die externe Kinderbetreuung von heute höchstens 10’000 auf 25’000 Franken – auch das ein Anreiz für eine verstärkte Berufstätigkeit der Mütter. Wie unangenehm also, wenn die SP dem Stimmvolk erklären müsste, warum sie das nicht will (sie will Gratis-Kitas oder zumindest Betreuungsgutschriften).
Zugegeben: Der Vorlage fehlt mit ihrer Zweiteilung die gesetzgeberische Eleganz. Und wegen dieser Abzüge allein wird sich kaum eine Mutter entscheiden, wieder arbeiten zu gehen. Doch der Schweizer Familienpolitik fehlt bisher grundsätzlich die Kohärenz, ein grosser Wurf ist unrealistisch. Den Grund dafür illustriert der Streit um die Kinderabzüge (zum Dossier mit allen Artikeln zur Vorlage) idealtypisch: Massnahmen, die Erwerbsanreize schaffen wollen, sind ideologisch derart umstritten, dass am Schluss gar keine Lösung zustande kommt. In diesem Sinne sind die neuen Steuererlasse zu begrüssen – als rasch umsetzbarer Teil eines grossen Puzzles, das sich aus hoffentlich weiteren Erwerbsanreizen zusammensetzen wird.
Nein
Aus 10 Millionen wurden 380 Millionen: So lässt sich die Entstehung der Vorlage zusammenfassen, die ursprünglich nur höhere Steuerabzüge für die Fremdbetreuung der Kinder vorsah. Dieser erste Teil, der jährlich 10 Millionen Franken kostet, ist sinnvoll, weil er die Erwerbstätigkeit gut ausgebildeter Mütter fördert. Eltern sollen künftig bei der direkten Bundessteuer einen Abzug von bis zu 25’000 Franken pro Jahr und Kind machen können. Der heutige Betreuungsabzug ist nicht einmal halb so hoch und berücksichtigt die Krippenkosten für zwei Tage pro Woche. Künftig können die Kosten für die ganze Arbeitswoche geltend gemacht werden, damit sich zusätzliche Erwerbsarbeit auch finanziell lohnt.
Doch auf Antrag der CVP erhöhte das Parlament zusätzlich den allgemeinen Kinderabzug von 6500 auf 10’000 Franken pro Kind und damit die jährlichen Kosten der Vorlage auf 380 Millionen. Aus der begründeten Steuerentlastung für voll erwerbstätige Eltern wurde ein Steuergeschenk für Besserverdiener.
Das kann man wollen – dann soll man es aber auch sagen. Stattdessen reden die Befürworter permanent vom Mittelstand, der entlastet werde. Dieser profitiert indes nur wenig. 40 Prozent aller Familien und damit auch der untere Mittelstand bezahlen schon heute keine Bundessteuer, da diese wegen ihrer starken Progression bei Familien erst ab einem Bruttoeinkommen von jährlich etwa 100’000 Franken erhoben wird. Auf das Gros der Mittelstandsfamilien mit Einkommen zwischen 100’000 und 150’000 Franken entfällt zudem nur ein Drittel der Steuersenkung. Ihre Rechnung wird um 86 bis 350 Franken pro Jahr geringer ausfallen, was ihnen durchaus zu gönnen wäre. Störend ist jedoch, dass zwei Drittel der Steuersenkung auf die Minderheit von 15 Prozent der Familien entfällt, die es auf über 150’000 Franken Bruttoeinkommen bringen.
Bei der Vorlage handelt es sich zudem um eine Schönwetterübung aus der Zeit vor Corona.
Natürlich wissen auch die Befürworter, dass höhere Abzüge vor allem bei hohen Einkommen einschenken. Nur reden sie nicht davon. Die FDP argumentiert stattdessen, dass die Progressionsschwelle angehoben werde und Frauen so einen Anreiz erhielten, nach der Schwangerschaft wieder einer Erwerbsarbeit nachzugehen. Doch niemand kann im Ernst behaupten, dass eine Steuerersparnis von maximal 900 Franken ausschlaggebend dafür ist, ob eine gut ausgebildete Mutter einen Job annimmt oder zu Hause bleibt. Vielmehr betreiben die Befürworter klassische Klientelpolitik. Die FDP bedient den oberen Mittelstand, CVP und SVP die traditionelle Familie, in der die Kinder vorwiegend zu Hause betreut werden und die Mütter deshalb nur ein geringes Erwerbspensum annehmen.
Bei der Vorlage handelt es sich zudem um eine Schönwetterübung aus der Zeit vor Corona, in der es auf einige Hundert Millionen Franken Steuerausfälle nicht ankam, da der Bund regelmässig Milliardenüberschüsse erzielte. Nun muss der Staat zig Milliarden aufwenden und sich neu verschulden, um die Verheerungen der Pandemie abzufedern. Auf einen derart ungezielten Mitteleinsatz, wie es mit dieser Steuersenkung geschieht, sollten wir deshalb verzichten. Bei einem Nein kann das Parlament zum Ursprung der Vorlage zurückkehren und es beim Steuerabzug für die Kinderbetreuung belassen.
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