Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen
Meinung

Kommentar zur Tat in Solingen
Deutschland hat ein Gewaltproblem

Forensic police inspect on early August 24, 2024 the area where at least three people were killed and several injured when a man attacked them with a knife on late August 23, 2024 in Solingen, western Germany, according to German media, as the city celebrated its 650th anniversary. (Photo by INA FASSBENDER / AFP)
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Deutschland hat ein Gewaltproblem. Das lässt sich nicht wegdiskutieren, die furchtbaren Bilder aus Solingen vom Freitagabend, von dem widerwärtigen Angriff auf das Stadtfest mit drei Toten und mehreren Verletzten, sind ein weiterer Beleg dafür. Der Täter handelte im Namen des «Islamischen Staats», der sich am Samstagabend zu dem Anschlag bekannte. Und das Tatmittel, das kennt man: Es war ein Messer – eine Waffe also, die in Deutschland bei Gewalttaten immer häufiger eingesetzt wird.

Erst neulich hat es die bis dato letzte grössere Diskussion über Messergewalt gegeben, nachdem vor bald drei Monaten ein Mann in Mannheim den Polizisten Rouven Laur erstochen hatte. Natürlich war das längst nicht der einzige Fall mit einer solchen Tatwaffe. Die «Bild» führt inzwischen sogar einen Liveticker, ein «Protokoll der Messer-Gewalt». Ob man das für wertvolle Aufklärung hält oder für populistischen Clickbait – die Fälle sind da, in Mannheim, auch in Lüneburg, München, Neumünster. Und nun auch noch die schreckliche Bluttat von Solingen, ein möglicher Anschlag mit einem Messer.

Der deutsche Bundespolizeichef Dieter Romann und die deutsche Innenministerin Nancy Faeser haben erst am Montag eine weitere Schreckensstatistik präsentiert: Im vergangenen Jahr zählte Romanns Behörde allein in ihrem Zuständigkeitsbereich (Grenzen, Bahnhöfe, Flughäfen) 853 Gewalttaten, bei denen ein Messer zum Einsatz kam. Und Romann fügte an, Ausländer seien dabei sechsmal häufiger Täter als Deutsche. Das Bundeskriminalamt zählt in seiner Kriminalstatistik für das vergangene Jahr 13’800 Messerangriffe (davon fast 9000 im Zusammenhang mit schwerer und körperlicher Körperverletzung), knapp 1500 mehr als 2022. Und das sind nicht mal vollständige Zahlen.

Faeser will jetzt durchgreifen: Messer mit einer Klingenlänge von mehr als sechs Zentimetern sollen in der Öffentlichkeit nicht mehr mitgeführt werden dürfen, der Umgang mit Springmessern soll künftig ausnahmslos verboten werden. Ausserdem sollten die Kommunen mehr Waffenverbotszonen einrichten.

Das wird wenig bringen, mutmasslich hätte sich auch der bisher unbekannte Täter von Solingen von einem Waffentrageverbot nicht beeindrucken lassen. Zuerst zum Waffenrecht: Schon jetzt darf man Messer nicht bei sich tragen, wenn deren Klinge länger als zwölf Zentimeter ist, ein Teil der Springmesser sowie gefährliche Butterfly-Messer sind auch verboten. Im Umlauf sind sie trotzdem. Ob ein paar Zentimeter kürzere Klingen zu leichteren Verletzungen führen? Oder zu weniger Angriffen?

Schon jetzt kann man straffällig gewordenen Menschen das Tragen von Waffen untersagen

Überhaupt könnte man die bestehenden Möglichkeiten des Waffengesetzes erst mal ausschöpfen, ehe man es immer weiter verschärft. Es gäbe zum Beispiel die Möglichkeit, bereits straffällig gewordenen Menschen grundsätzlich das Tragen von Waffen zu verbieten. Solche persönlichen Waffenverbote werden bloss ziemlich selten verhängt.

Auch der Ruf nach mehr Waffenverbotszonen, etwa grundsätzlich an Bahnhöfen, ist voreilig. Wo es solche Zonen gibt, werden zwar jedes Jahr ein paar Dutzend Waffen sichergestellt, das allerdings bei Hunderten bis Tausenden Kontrollen, die immer Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen sind. In Leipzig soll eine Verbotszone wieder abgeschafft werden, weil auch die Polizei sagt, dass es dort unverändert viel Gewalt gebe. Um räumlich begrenzte Verbote konsequent durchsetzen zu können, hat die Polizei ohnehin viel zu wenig Personal.

Die jüngst breit verspottete Idee des Chefs der Gewerkschaft der Polizei, Jochen Kopelke, mag etwas naiv klingen: denjenigen ein Netflix-Abo zu spendieren, die ein offensichtlich nicht fürs Butterbrotschmieren gedachtes Messer abgeben. Aber Waffenamnestien wurden in der Vergangenheit ordentlich angenommen, warum es nicht probieren?

Was man bei alldem aber nicht aus dem Blick verlieren darf: Die Gewaltkriminalität in Deutschland steigt insgesamt in bedenklichem Mass, die Zahl der Messerangriffe wiederum nicht überproportional. Ihr Anteil an allen Gewaltdelikten liegt bei unter zehn Prozent. Über Messertaten zu reden, ist richtig. Aber sie sind nur ein Symptom einer insgesamt gestiegenen Gewaltbereitschaft. Deren Ursachen bekämpft man nicht mit Verboten. Sondern mit mühevoller Präventionsarbeit, in Elternhäusern, Schulen, Beratungsstellen. Was nicht bedeuten soll, dass sich der Angriff von Solingen damit definitiv hätte verhindern lassen. Aber die Mühe muss es wert sein, damit solche Gewaltexzesse in Zukunft unwahrscheinlicher werden.