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Anschläge von Solingen bis Zürich
«Erhöhte Terrorgefahr»: 47 Gefährder unter Beobachtung der Schweizer Behörden

23.08.2024, Nordrhein-Westfalen, Solingen: Polizei und Rettungswagen stehen in der Nähe des Einsatzortes. Bei einer Attacke auf der 650-Jahr-Feier der Stadt hat es Todesopfer und Verletzte gegeben. Die Tatwaffe sei mutmaßlich ein Messer gewesen, hieß es aus Polizeikreisen. Die Polizei löste Großalarm aus. Foto: Gianni Gattus/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
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Der Terror ist zurück in Europa: In Deutschland ging am Freitagabend beim Stadtfest in Solingen ein Mann mit einem Messer auf Besucher los. Es gab mehrere Tote und Verletzte. In Wien wurden kürzlich die Konzerte von Taylor Swift wegen Terrorgefahr abgesagt. Und in der Schweiz? Da ist die Bedrohung ebenfalls «erhöht», wie der Nachrichtendienst (NDB) im letzten Sicherheitsbericht schreibt. Das plausibelste Szenario sei ein Gewaltakt eines jihadistisch geprägten Einzeltäters.

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So wurde im März in Zürich ein orthodoxer Jude mit einem Messer niedergestochen und lebensbedrohlich verletzt. In einem Video hatte sich der 15-jährige Täter mit dem Islamischen Staat (IS) solidarisiert. Zudem wurden in der Ostschweiz drei Jugendliche verhaftet. Ihnen wird vorgeworfen, den IS unterstützt und Sprengstoffanschläge geplant zu haben. Sie hatten offenbar auch Kontakte nach Deutschland.

Der Direktor des NDB, Christian Dussey, hat diese Woche konkrete Zahlen bekannt gegeben. Demnach gab es im laufenden Jahr in der Schweiz und in Europa rund 30 Verhaftungen, weil Personen verdächtigt wurden, Attentate zu planen. Das sind mehr Fälle als im ganzen letzten Jahr.

Terrorismus ist «sehr präsent»

In der Schweiz befinden sich zurzeit 47 Namen auf der Risikoliste des Nachrichtendienstes. Dort werden Jihadisten und andere Gefährder aufgeführt, die den Terrorismus unterstützen oder dazu ermutigen. Zudem hat der NDB innerhalb eines Halbjahres 43 Personen neu identifiziert, die von der Schweiz aus im Internet jihadistisches Gedankengut verbreitet oder sich mit Gleichgesinnten vernetzt haben.

Auch die Bundesanwaltschaft schlägt Alarm. Die Fallzahlen im Bereich Terrorismus hätten in den letzten zwei bis drei Jahren «markant zugenommen», heisst es auf Anfrage. Die Behörde bearbeitet «zurzeit rund 100 Verfahren» sowie Rechtshilfeersuchen aus anderen Ländern. Hauptsächlich geht es um extremistische Strömungen innerhalb des Islamismus. «Dies zeigt, dass das Phänomen des jihadistisch motivierten Terrorismus in der Schweiz mitnichten verschwunden, sondern nach wie vor sehr präsent ist», sagt ein Sprecher.

Den Beschuldigten wird etwa vorgeworfen, für Terrororganisationen Personal zu rekrutieren, solche Gruppen zu finanzieren oder Propaganda zu verbreiten. Dazu kommen Jihad-Reisende und Rückkehrer. Und vereinzelt steht der Verdacht im Raum, dass terroristische Attentate geplant wurden.

Ermittler sind am Anschlag

In den Zahlen der Bundesanwaltschaft sind indes nur Verdächtige und Beschuldigte im Erwachsenenalter berücksichtigt. Den Behörden machen derzeit aber insbesondere junge Terroristen zu schaffen. «Wir müssen feststellen, dass die mutmasslichen Täter immer jünger werden», sagte Bundesanwalt Stefan Blättler im Frühjahr an einer Medienkonferenz. Teils seien sie sogar minderjährig.

Bundesanwalt Stefan Blaettler spricht waehrend einer Medienkonferenz ueber den Taetigkeitsbericht 2023 der Bundesanwaltschaft, am Donnerstag, 11. April 2024, Verwaltungsgebaeude am Guisanplatz, in Bern. (KEYSTONE/Anthony Anex)

In solchen Fällen sind die kantonalen Jugendanwaltschaften zuständig. Doch diese sind am Anschlag. Terrorismusverfahren gegen Jugendliche liessen sich mit dem gegenwärtigen Personal «wenn überhaupt nur noch schwer auffangen», heisst es im Jahresbericht der Berner Staatsanwaltschaft. Blättler hat bereits die Frage aufgeworfen, ob die Bundesanwaltschaft mehr Kompetenzen bei Ermittlungen gegen Minderjährige erhalten sollte.

Radikalisierung mit Tiktok, Instagram und Telegram

Es handelt sich hierbei um ein neues Phänomen. Jugendliche Terroristen waren vor zehn Jahren noch eine Ausnahme, heute sind sie gemäss Terrorismusexperte Peter R. Neumann die Regel. «Das neue Muster zeigt sich auch in der Schweiz», sagte der Professor für Sicherheitsstudien am King’s College in London jüngst in der NZZ.

Neumann spricht in einem neuen Buch von «Tiktok-Terroristen». Der Einstieg erfolgt oft über diese Plattform oder Instagram, später landen die Jugendlichen in geschlossenen Gruppen, zum Beispiel bei Telegram, wo sie Videos von Anschlägen teilen. Zudem leiden spätere Täter überdurchschnittlich oft an psychischen Krankheiten. «Ihnen gibt die jihadistische Ideologie eine Möglichkeit, ihre Gewaltfantasien auszuleben», sagt Neumann.

Auch in Zusammenhang mit dem vereitelten Anschlag auf die Taylor-Swift-Konzerte in Wien nahm die Polizei einen 19- und einen 18-Jährigen fest. Zudem wurde bekannt, dass fünf vom Staatsschutz beobachtete Gefährder im Stadion in den Bereichen Facility und Catering hätten arbeiten sollen. Hinweise, dass sie in die Terrorpläne verwickelt waren, liegen bislang nicht vor.

Schweiz braucht Hilfe aus dem Ausland

Den entscheidenden Tipp, der zur Absage der Konzerte führte, erhielten die österreichischen Sicherheitsbehörden von den USA. «Wäre ein Anschlag auf das Konzert von Taylor Swift in Zürich geplant worden, wäre der NDB mit grosser Wahrscheinlichkeit auch auf Informationen von Partnerdiensten angewiesen gewesen», sagt der ehemalige NDB-Chef Peter Regli. Die Geheimdienste der Schweiz und Österreich sind klein, andere Länder wie die USA haben ganz andere Möglichkeiten. Der NDB schreibt auf Anfrage, dass die Zusammenarbeit mit dem Ausland sogar «von kritischer Wichtigkeit» sei. Es passt ins Bild, dass der Messerstecher von Zürich dem NDB vor der Tat nicht bekannt war.

NDB-Chef Dussey verlangt nun mehr Personal, um auf die verschärfte Sicherheitslage reagieren zu können. In Österreich werden derweil zeitgemässe Methoden gefordert. Zur Diskussion steht etwa, die Überwachung von Messengerdiensten wie Whatsapp, Telegram oder Signal zu ermöglichen. Dies ist im Nachbarland nicht erlaubt. Hierzulande hingegen ist das kein Thema, weil der NDB diese Kanäle bereits anzapfen darf. Er braucht dazu jedoch eine Genehmigung des Bundesverwaltungsgerichts.