Nicht nur Frauen lange ausgeschlossenSo hat sich das Stimm- und Wahlrecht in der Schweiz verändert
Verschiedene Bevölkerungsgruppen wurden benachteiligt – oder werden es immer noch. Wir zeigen, wann in den letzten 100 Jahren die grossen Entwicklungen stattgefunden haben.
Das Schweizer Stimm- und Wahlrecht ist wieder in aller Munde: Vor 50 Jahren durften Frauen erstmals an die Urne. Und im Parlament steht aktuell die Herabsenkung des Stimmrechtsalters auf 16 vor dem Durchbruch, was zu heftigen Diskussionen führt.
Heute gilt: Wer 18 Jahre alt ist, das Schweizer Bürgerrecht besitzt und nicht unter einer Geisteskrankheit oder -schwäche leidet, darf abstimmen und wählen. Das ist für uns selbstverständlich – aber das war bei weitem nicht immer so. Nicht nur die Frauen waren lange ausgeschlossen, auch andere Bevölkerungsgruppen wurden in der Vergangenheit benachteiligt. Wir zeigen auf, wann die grossen Veränderungen stattgefunden haben.
Das Bundesgericht erklärte den Steuerzensus (Steuerzahlung in bestimmter Höhe als Voraussetzung für das Stimmrecht) 1915 als verfassungswidrig. Vier Jahre später waren trotzdem erst 940’000 Schweizer stimm- und wahlberechtigt. Das entsprach nur gut der Hälfte der Männer im Land. Es gab weiterhin verschiedene Gründe für einen Ausschluss: So durften etwa strafrechtlich Verurteilte nicht an Abstimmungen und Wahlen teilnehmen, genauso wie Armengenössige, also Personen in einer finanziell prekären Situation.
Durch Letzteres wurden vor allem die Sozialdemokraten benachteiligt, da sich unter den Betroffenen ein Grossteil ihrer potenziellen Wählerschaft befand. Erst seit 1971 ist eine Verurteilung oder Armengenössigkeit kein Ausschlusskriterium mehr. Der grosse Sprung von 1,5 auf 3,5 Millionen Wahlberechtigte ist aber in erster Linie der Einführung des Frauenstimmrechts im selben Jahr zu verdanken.
Natürlich muss bei der Entwicklung auch die wachsende Bevölkerung berücksichtigt werden. Doch die Zunahme bei den Stimmberechtigten übertrifft das Bevölkerungswachstum deutlich. 1919 durften erst 24,5 Prozent abstimmen und wählen, 1971 waren es mit 57 Prozent schon mehr als doppelt so viele.
Noch immer galt aber das Wohnsitzprinzip: Nur Schweizer, die in der Schweiz lebten, konnten abstimmen und wählen. Erst 1977 wurde dieses Recht auch den Auslandschweizern gewährt, nach zuvor zahlreichen erfolglosen Vorstössen. Auf Bundesebene wie auch in einigen Kantonen können Auslandschweizer seither in ihrer Heimatgemeinde oder in einer früheren Wohnsitzgemeinde mitbestimmen.
Der Übergang zum allgemeinen Erwachsenenwahlrecht war schon durch das Frauenstimmrecht vollzogen worden. Als erwachsen beziehungsweise reif genug, um am politischen Prozess auf Bundesebene teilzunehmen, galten allerdings nur über 20-Jährige. Erst 1991 – vor genau dreissig Jahren – wurde das Stimm- und Wahlrechtsalter auf 18 Jahre herabgesetzt. Das hat den Kreis der Berechtigten noch einmal ausgeweitet.
Aktuell steht im Parlament sogar das Stimmrechtsalter 16 vor dem Durchbruch. Die Staatspolitische Kommission des Ständerats hat am Dienstag ihrer Schwesterkommission im Nationalrat grünes Licht gegeben, um eine Änderung der Bundesverfassung zu erarbeiten. Dazu bräuchte es neben dem Ja des Parlaments zwingend eine Volksabstimmung. Für die definitive Einführung des Stimmrechtsalters 16 auf nationaler Ebene wären das Volks- und das Ständemehr notwendig.
Glarus ist bisher der einzige Kanton, in dem schon 16-Jährige über kommunale und kantonale Vorlagen entscheiden können. In Neuenburg wird am 9. Februar über eine entsprechende Initiative abgestimmt. Mit einer nationalen Senkung des Stimmrechtsalters auf 16 würde der Anteil der Wahlberechtigten in der Bevölkerung nochmals steigen. Momentan liegt er bei 65 Prozent – in den letzten hundert Jahren hat er sich also fast verdreifacht.
Zu den Personen, die immer noch ausgeschlossen werden, gehören neben den Jugendlichen auch alle hierzulande wohnhaften Ausländerinnen und Ausländer. Nur wer das Schweizer Bürgerrecht besitzt, darf bei eidgenössischen Angelegenheiten mitentscheiden. Niedergelassene Ausländer sind nur in einer Minderheit der Kantone stimmberechtigt: auf kommunaler und kantonaler Ebene im Jura (seit 1979) und in Neuenburg (1849 Gemeinden, 2002 Kanton), lediglich auf kommunaler in der Waadt (2003), in Freiburg und Genf (beide 2005).
In Appenzell Ausserrhoden (1996) und Graubünden (2004) können die Gemeinden Ausländern das Stimmrecht auf Begehren gewähren. Punktuelle, zumeist auf Gemeindestufe beschränkte politische Rechte werden im Thurgau, in Zug und St. Gallen gewährt. In den neuen, um die Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert entstandenen Kantonsverfassungen zeichnet sich kein klarer Trend zu einer Ausdehnung des Stimm- und Wahlrechts auf in der Schweiz wohnhafte Ausländer ab.
Fehler gefunden?Jetzt melden.