Die sechs speziellsten SkifigurenSie lässt die Italiener vor Wut schäumen
Ihre Geschichten bereichern den Weltcup: Wir porträtieren sechs aufregende Athleten und Athletinnen. Auch ein Schweizer ist dabei.
Albert Popov: «Die kleine bulgarische Bombe»
Die Shuttle-Fahrer deuten noch heute hinunter in das Geröll von Sölden, wenn sie hochfahren zum Rettenbachgletscher. Dort unten ist es gelandet, 300 Meter in der Tiefe, das Auto mit Drago Grubelnik, dem Trainer, mit Dimitar Hristov, dem Co-Trainer, und mit ihm: Albert Popov, dem Slalomfahrer. Damals, im November 2015, ist er ein aufstrebender Jungfahrer.
Grubelnik, der Slowene, einst selbst Slalomspezialist, verstirbt wenig später im Spital; Hristov wird schwer verletzt; Popov kommt mit gebrochenem Sprunggelenk und Knochenbruch in der Wange davon.
Der Bulgare, als 18-Jähriger gerade erst im Weltcup angekommen, verpasst eine Saison. Es dauert, bis er sich vom Geschehenen erholt, bis er sich mit seinem Miniteam, zu dem fortan nur ein Trainer gehört, festsetzt in der grossen Welt des Skisports. 2019 wird Popov bei den Slalomklassikern von Kitzbühel und Schladming Neunter und Sechster. In der Heimat schalten über eine Million Menschen ihre Fernseher ein, mehr als jeder Siebte, und staunen über den Mann, der mit den Startnummern 71 und 46 mitten in die Weltspitze fährt. Kompakt, mit kurzen Schwüngen, leichten Auf- und Abbewegungen, einem Gummiball gleich.
Es gibt in diesem Sport Hünen wie den 1,91 m grossen Clément Noël oder 2,02-Meter-Gigant Ramon Zenhäusern. Popov ist ihr Gegenstück, bei 1,64 m hörte er auf zu wachsen. «L’Équipe» nannte ihn einmal «die kleine bulgarische Bombe». Und diese hat seither im Weltcup ein paarmal eingeschlagen. 2023 in Palisades Tahoe holt er mit Rang 3 seinen bislang einzigen Podestplatz.
Lara Colturi: Das fahnenflüchtige Wunderkind
Zuletzt stand Sondertraining auf dem Programm. Mit Grössen wie Henrik Kristoffersen und Lucas Pinheiro Braathen. Für Lara Colturi ist nur das Beste gut genug, so läuft das beim Wunderkind seit Jahren.
Im November erst 18 geworden, gehört Colturi bereits zur Weltspitze. Im Slalom von Gurgl wird sie Zweite, geschlagen nur von Mikaela Shiffrin. Es ist ihr erster Podestplatz im Weltcup und auch der erste für Albanien. Colturi ist zwar Italienerin, fährt aber für den Balkanstaat – den Nationenwechsel nimmt sie mit 15 vor, weil ihr der italienische Verband damals keinen Weltcupstartplatz zusichern will. Da der Wechsel vor dem 16. Geburtstag erfolgt, braucht es kein Einverständnis der Italiener. Diese schäumen umso heftiger vor Wut.
Colturi geht mit einem teuren Privatteam eigene Wege. Vater Alessandro koordiniert dieses, Mutter Daniela Ceccarelli, 2002 in Salt Lake City Olympiasiegerin im Super-G, ist die Trainerin. Unterstützt wird Colturi von Red Bull, die österreichischen Experten Robert Trenkwalder und Patrick Riml gehören wie eine Physiotherapeutin und eine Mentaltrainerin zum üppigen Betreuerstab. Der Servicemann präparierte einst schon die Ski Alberto Tombas.
Nach dem Junioren-WM-Titel 2023 zog sich Colturi eine Kreuzbandverletzung zu, doch auch davon liess sie sich nicht aufhalten. Trenkwalder sagte kürzlich, irgendwann werde sein Schützling alles können. Zuerst will sie aber die albanische Hymne lernen.
Elian Lehto: Ein spezieller Gast bei den Schweizern
Es ist noch nicht lange her, da war Elian Lehtos Arbeitstag unmittelbar nach der Ziellinie beendet. Auf der Piste gab er Gas, daneben aber versuchte er es mit Gemütlichkeit. Kraft- und Ausdauertraining, Videoanalyse, Regeneration? War alles nicht sein Ding. Erst Osi Inglin, einst Cheftrainer der Schweizer Männer, führt ihn auf den richtigen Weg. Zwischen 2020 und 2022 betreut er das finnische Skiteam – und macht dem Talent Beine.
Inglin ist weitergezogen, Lehtos Bezug zur Schweiz aber geblieben. Im Rahmen einer Kooperation trainiert er mit der zweiten helvetischen Abfahrtsgruppe. Daheim im hohen Norden liegt zwar reichlich Schnee, eine Alpin-Tradition und entsprechende Trainingsmöglichkeiten aber existieren nicht, vor allem nicht für einen Abfahrer. Swiss-Ski gewährt ihm gerne Anschluss, Lehto spricht von einem «Sechser im Lotto».
24 ist er und mittlerweile einer der besten Gleiter im Weltcup. Er habe auf dieser Welt vor nichts Angst und liebe überall im Leben die Geschwindigkeit und das Risiko, sagt er. Letzte Saison fährt er in Kitzbühel zweimal auf Rang 11 und qualifiziert sich für den Weltcupfinal.
Der Sohn eines renommierten Rechtsanwalts ist – typisch Finne – kein Mann der grossen Worte. Dafür spricht er nun sogar etwas Schweizerdeutsch.
Franziska Gritsch: Entscheid für die Liebe
«Immer dem Herzen nach bedeutet manchmal, neue Wege zu gehen.»
Mit diesen Worten beginnt Franziska Gritsch im Dezember 2023 ihre Nachricht in den sozialen Medien. Der neue Weg führt sie näher hin zu ihrem Freund Florian Stengg und weg vom österreichischen Team.
Gritsch und Stengg sind verliebt, führen eine Beziehung – und das innerhalb des Technikerinnen-Teams Österreichs. Stengg ist Trainer, Gritsch Athletin. Für den nationalen Verband ÖSV ist es eine zu brisante Kombination. Er stellt das Paar vor die Wahl: Entweder wechselt Stengg die Trainingsgruppe, oder die Beziehung hat ein Ende. Die beiden entscheiden sich für den dritten Weg, für ihren eigenen – an der Seite des Duos bleibt einzig Servicemann Michael Mattle.
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Gleich nach der Trennung vom ÖSV, für den sie immer noch fährt, schlägt sich Gritsch gut. Die Allesfahrerin schafft es in sieben Rennen immer in die Punkte und viermal in die Top 15. Doch dann folgt eine Baisse mit acht Nullern in neun Anläufen. Und auch in diese Saison ist die 27-Jährige mässig gestartet: Fünf Rennen, ein 25. und ein 27. Platz, das ist die bisherige Ausbeute von Gritsch.
Das Planen der Flüge und Trainings ist aufwendig und kräftezehrend, die Kosten sind enorm. Sie wolle gerade wegen der Finanzen das Gespräch mit dem ÖSV suchen, sagt Gritsch. Dennoch bereut sie ihre Entscheidung nicht: für die Liebe und den eigenen Weg.
Steven Amiez: Schon als Baby auf den Ski
Er konnte gar nicht anders, als schnell um die Kippstangen zu wedeln. Mutter Béatrice Filliol stand zweimal auf dem Slalompodest, war französische Meisterin. Vater Sébastien Amiez gewann einst den Slalom-Weltcup, holte zudem Silber an der WM 1997 in Sestriere und fünf Jahre später an den Olympischen Spielen in Salt Lake City.
Und der Junior? Ist 26 und in der Weltspitze angekommen. In Levi fährt Steven Amiez auf Rang 6, in Gurgl wird er Vierter. In den Trainings soll er regelmässig schneller sein als Landsmann und Überflieger Clément Noël.
Mit 16 Monaten steht Amiez erstmals auf Ski, die Mutter hält ihn an der Leine. «Ich war noch ein Baby, hatte wenige Wochen zuvor laufen gelernt», sagt er in der Sportzeitung «L’Équipe». Als Kind übt er viel, sehr viel – und zollt Tribut: Mit 13 schon geht das Kreuzband kaputt. Eine schwierige Zeit durchlebt Amiez auch vor anderthalb Jahren, als er eine Herzmuskelentzündung erleidet. Die Ärzte sorgen sich um ihn, ans Trainieren ist nicht zu denken.
Aufgewachsen ist Amiez in der Schweiz, die Eltern lebten jahrelang im Kanton Neuenburg. In einem Interview mit einer Lokalzeitung sagte der Papa einmal scherzeshalber, er werde für den Buben den Schweizer Pass beantragen. Schade für die Ski-Schweiz, hat er es nicht getan.
Alexis Monney: Ein Illusionist auf Ski
Abfahrer sind Draufgänger, Gladiatoren, stets auf der Suche nach dem Risiko. Es scheint in dieser Welt der rasenden Skihelden wie ein Paradox: Die Besten sind oft diejenigen, die dem Zuschauenden mit ihrer Art, Ski zu fahren, vorgaukeln, es sei ein Leichtes, was sie tun. Weil sie selbst bei Tempo 140 stabil stehen, die Arme eng am Körper, keine Ruckler und Wackler zeigen. Alexis Monney ist einer dieser Illusionisten.
24 ist der junge Mann aus dem freiburgischen Châtel-St-Denis – und eines der aufregendsten Schweizer Skitalente. 2022, vor seiner allerersten Fahrt auf der grauenhaft eisigen und ruppigen Stelvio von Bormio, steht er am Start und versteht nicht, warum sich andere davor fürchten. Acht Weltcuprennen hat Monney da erst hinter sich. In der nächstfolgenden Abfahrt rast er als Zehnter in die Top 10, in Wengen, in seiner zehnten Abfahrt. Beat Feuz und Marco Odermatt haben elf Anläufe gebraucht für dieses Kunststück. In Kitzbühel gibt es eine Woche später Rang 11. Und im vergangenen Jahr mit Rang 8 in der Hahnenkammabfahrt sein bestes Weltcupresultat.
Monney macht seine ersten Schwünge im beschaulichen Skigebiet Les Paccots. Sein Vater Louis, der im Weltcup etwa Paul Accola und Steve Locher betreute, ist dort Trainer im Skiclub. Gefordert ist er 2019: Sein Sohn will alles hinschmeissen, weil er im Nationalen Leistungszentrum in Brig mit einem Trainer nicht mehr zurechtkommt. Die Eltern überzeugen ihn, weiterzumachen – ein Jahr später ist Alexis Monney Juniorenweltmeister in der Abfahrt. Keiner zweifelt, dass er auch auf der grössten Bühne bald zur Weltspitze gehören kann.
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