Karrierechancen für FrauenSie schaffte den Aufstieg in der Männerwelt des Bankings
Top- und Flop-Branchen für Frauen, die nach oben wollen: Das zeigt eine neue Studie. Florence Schnydrig Moser spricht über ihren Weg in die Chefetage.

Warum gibt es nur wenige Frauen, die in Firmen ganz oben stehen? Vielen kommt die Schweizer Kultur in die Quere. Zu diesem Schluss kommt der jährliche «Gender Intelligence Report», der am Dienstag veröffentlicht wurde. Die Universität St. Gallen hat zusammen mit Advance, dem Wirtschaftsverband für Gleichstellung, den Glass Ceiling Index ermittelt – dies erstmals für verschiedene Branchen einzeln.
Der Glass Ceiling Index (GCI) zeigt, wie dick die gläserne Decke ist – respektive wie schwierig es ist, für Frauen aus unteren in die höheren Hierarchiestufen aufzusteigen. Je höher der Index, desto geringer ist die Durchlässigkeit.
Laut der Studie weist die Pharmaindustrie die dünnste gläserne Decke auf sowie – überraschend – die Maschinen-, Elektro- und Metallbau-Industrie (beide mit einem Index von 1.9). Bei Versicherungen und Banken hingegen sei die Decke besonders dick (Index von 3.3 und 3.1). Interessant sei, dass mit der MEM «ausgerechnet diejenige Branche, die traditionell am wenigsten Frauen anzieht, am meisten aus ihrem weiblichen Potenzial macht».
Dass die Situation insbesondere bei Versicherungen und Banken so unausgeglichen ist, sei kein Zufall: Je schweizerischer eine Branche – gemessen am Anteil der Schweizerinnen und Schweizer an allen Mitarbeitenden –, desto dicker sei die gläserne Decke. «Dies deutet darauf hin, dass sich die Schweizer Kultur immer noch schwertut, Frauenkarrieren als selbstverständlich zu erachten», heisst es im Bericht.
Normen und Sozialisierung spielen eine Rolle
Was das heisst, weiss Florence Schnydrig Moser aus eigener Erfahrung. Als Leiterin Private Banking sitzt sie seit 2021 in der Geschäftsleitung der Zürcher Kantonalbank (ZKB), zudem ist sie Vizepräsidentin der Organisation Advance. Im Gespräch mit dieser Redaktion hält die 50-jährige fest, dass es keineswegs selbstverständlich sei, in der Schweiz als Frau Karriere zu machen. Sie habe immer wieder festgestellt, dass sie gefragt worden sei, wie sie es schaffe, Kinder und Beruf zu vereinbaren, während das bei ihren männlichen Kollegen, die Familienväter waren, kein Thema gewesen sei.
Die Bankerin stammt zwar aus dem Wallis, sieht die Schweizer Kultur jedoch gewissermassen von aussen, denn sie hat fünf Jahre im Ausland gearbeitet: drei Jahre in Australien, zwei Jahre in Hongkong – zudem stammt ihr Mann aus Schottland. Schnydrig Moser sagt: «Mir ist sehr wohl bewusst, dass wir hier in der Schweiz eine ganz andere Ausgangslage haben als in anderen Ländern.»
«Wir haben in der Schweiz eine stark geschlechtergetrennte Berufswahl in typische Frauen- respektive Männerberufe. Das ist viel stärker ausgeprägt als in anderen Ländern».
Warum ist das so? Laut den Studienautorinnen und -autoren gibt es nicht zu wenige Frauen, die sich für Führungspositionen eignen, sondern das Bild, das Firmen von der Idealbesetzung der Stelle haben, ist historisch und strukturell geprägt und passt nicht zu den Kandidatinnen. Auch gesellschaftliche Normen sowie die Sozialisierung spielen eine Rolle. «In der Schweiz wird tendenziell erwartet, Frauen sollten eher bescheiden und zurückhaltend sein und Männer eher zielstrebig und fordernd», sagt Ines Hartmann von der Universität St. Gallen, die die Studie mitverfasst hat.
Weibliche Vorbilder in Führungsrollen seien nach wie vor rar, und es gebe etwa in Gymnasien Mathematiklehrer, die Mädchen von einem naturwissenschaftlichen Studium abraten würden. Hartmann sagt: «Wir haben in der Schweiz eine stark geschlechtergetrennte Berufswahl in typische Frauen- respektive Männerberufe. Das ist viel stärker ausgeprägt als in anderen Ländern.»
Teilzeit kennt man im Ausland nicht
Bei der Suche nach den Ursachen für das Stocken der Frauenkarrieren nennt der «Gender Intelligence Report» mitunter «die schwierige und kostspielige Vereinbarkeit von Familie und Beruf» sowie «die weit verbreitete Teilzeitkultur».
Auch Schnydrig Moser erachtet die Teilzeitkultur, die in der Schweiz so stark gefördert werde, als hinderlich. «Die Teilzeitpensen sind Karrierekiller», sagt die ZKB-Frau. «80 Prozent ist kein Teilpensum, das ist fast gleich viel wie 100 Prozent. Aber wer nur 60 Prozent oder weniger arbeitet, kann keine Karriere machen.» Für viele Schweizerinnen seien solch kleine Pensen normal und viele kämen ihr Arbeitsleben lang fast nicht mehr aus dieser Lage heraus. International gesehen, sei das überhaupt nicht Usus. «Weder in Hongkong, Australien noch in den USA existiert ein solches Teilzeitwesen.»
Im Ausland würden viele Frauen ihre Karriere trotz Familiengründung weiterverfolgen, während Schweizer Frauen pausierten oder stark reduzierten. «Den Schweizerinnen fehlen deshalb wichtige berufliche Erfahrungen, die man im Alter zwischen 30 und 40 Jahren machen sollte und die für den Aufstieg in eine Geschäftsleitungsposition notwendig sind», sagt Schnydrig Moser.
Für die Karriere den Kindergeburtstag opfern
Das bestätigen die Zahlen aus dem «Gender Intelligence Report». Das Verhältnis derjenigen Frauen, die aus unteren Funktionen ins oberste Kader vorstossen, ist bei Schweizerinnen kleiner als bei Ausländerinnen (Faktor 3,5). Das heisst: Wenn es Frauen tatsächlich in Führungspositionen schaffen, sind es laut dem Report häufig keine Schweizerinnen, sondern «Nicht-Schweizerinnen». Zwar steht es nicht so im Text, doch gemeint sind mit «Nicht-Schweizerinnen» etwa Deutsche, Italienerinnen oder US-Amerikanerinnen.
Hinzu kommt ein Umstand, der im Bericht zwar nicht erwähnt ist, jedoch von Personalvermittlern für Top-Kader zu hören ist: Schweizer Frauen seien oftmals nicht bereit, den Preis der Karriere zu zahlen. Top-Manager und -Managerinnen müssen mitunter einschneidende Kompromisse in Kauf nehmen – etwa die Geburtstagsparty der Kinder zu verpassen oder nur wenig Zeit für sich selbst zu haben.
«Zuerst kommen bei mir Familie und Job, erst dann ich selber.»
Für Florence Schnydrig Moser hat der oftmals fehlende Antrieb für die Karriere «allenfalls mit der Schweizer Luxussituation zu tun». Schweizer Haushalte könnten es sich finanziell leisten, dass nur ein Elternteil Vollzeit arbeite, der andere – meistens die Frau – Teilzeit.
Die Managerin, die ihre Kinder mit 36 und 38 Jahren «eher spät bekommen hat», sagt, sie habe damals bereits einen tollen, sehr motivierenden Job gehabt. Ihre frühe hierarchisch höhere Funktion habe ihr ermöglicht, die Agenda selbst zu bestimmen, und so habe sie selten Geburtstage oder Elternabende verpasst. Doch: «There is no free lunch. Abstriche gehören dazu.» Ihre Prioritäten seien klar: «Zuerst kommen bei mir Familie und Job, erst dann ich selber.»
Wichtig findet sie darüber hinaus, dass Frauen nicht nur in zudienenden Aufgaben tätig sind – oder in den Bereichen Marketing, Personal oder Compliance: «Frauen sollten Budgetverantwortung übernehmen. Diese Rollen bedeuten nicht nur grosse Verantwortung und Druck, sondern sie gehen auch mit Wertschätzung und mehr Lohn einher.» Frauen seien, so Schnydrig Moser, diesbezüglich manchmal «vielleicht etwas arglos». «Sie überlegen sich das viel zu wenig.»
Die Bankerin rät Frauen, bei der Wahl ihrer Stelle auch das Monetäre zu beachten. Männer schauten sehr genau darauf, wo sie gut verdienen könnten. Dieser Faktor spiele bei Frauen zu wenig eine Rolle. Sie sagt: «Damit Frauen weiterkommen, sollten sie realisieren, dass Geld ihnen die Flexibilität bietet, sich notwendige Unterstützung bei der Familienbetreuung zu holen. Darüber hinaus ist Geld eine Form der Wertschätzung, diese sollten Frauen einfordern.»
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