Interview mit Shane Dändliker und Nicola Wey«Mit 10 Jahren haben wir uns zum ersten Mal am Grind genommen»
Vor dem NOS in Meilen sprechen die zwei stärksten Schwinger vom Zürichsee über Kantönligeist, stellen sich einem spontanen «Ich oder Du» und sagen, was sie vom VAR halten.
Die Schwinghalle auf dem Frohberg steht scharfkantig, dunkelrot und modern neben dem Clubhaus des FC Stäfa. Im übergrossen Glasfenster an der Seitenwand verabschiedet sich gerade die Abendsonne und taucht den Innenraum in warmes Licht. Hier dominiert helles Holz, es ist heimelig und riecht nach Sägemehl und Schweiss. Und alle geben sich zur Begrüssung die Hand.
Im Moment trainieren noch die Jungschwinger. In Paaren greifen ein gutes Dutzend Buben zusammen. Nicola Wey hat sie im Blick. Der 28-jährige Stäfner trainiert zusammen mit einem Kollegen den Nachwuchs am rechten Zürichseeufer. Er gibt Tipps, redet mit den Eltern und schaut immer mal wieder auf die Uhr.
Auf dem langen Holztisch neben dem Sägemehleck liegen zwei Stapel frisch gedruckter gelber Festführer. Am nächsten Sonntag findet in Meilen das Nordostschweizer Schwingfest (NOS) statt, organisiert vom Schwingklub Zürichsee rechtes Ufer und live übertragen vom Schweizer Fernsehen.
Die Tür geht auf. Jetzt ist auch Shane Dändliker da, ein paar Minuten zu spät, aber gut gelaunt und entspannt. Die beiden Männer geben sich die Hand, grinsen. Sie kennen sich seit Jahren, sind Clubkollegen, Freunde und gehören zu den besten Schwingern des Kantons. Das NOS ist für sie ein Heimfest – eines ohne Heimvorteil.
Wir sind in der neuen Schwinghalle in Stäfa. Hier trifft Moderne auf Tradition. Wie gefällt Ihnen dieser Mix?
Dändliker: Das habe ich mir so noch nie überlegt. Aber ich fühle mich wohl. Und ich bin überzeugt, dass gerade bei Buben und ihren Eltern eine solche Halle zieht. Sie ist schön, hell, komfortabel – und wohl der Hauptgrund, warum wir seit der Eröffnung vor drei Jahren die Anzahl unserer Jungschwinger von 10 auf 20 verdoppeln konnten.
Wey: Die Mischung hier auf dem Frohberg steht doch exemplarisch für den ganzen Schwingsport. Schwingen ist modern geworden. Früher waren Schwinger ausnahmslos Bauern oder Handwerker. Heute sind fast alle Berufsgattungen vertreten.
Die Modernisierung wird im konservativ geprägten Schwingsport durchaus kritisch beäugt. Wie sehen Sie das?
Wey: Es gibt Dinge, die ich im Schwingen bei aller Modernisierung nie sehen möchte, dazu gehört der Videobeweis. Die Kampfrichter, die sich in Fronarbeit engagieren, sollen weiterhin souverän entscheiden können. Auch der Fussball hat mir ohne VAR besser gefallen. Was ich aber gut finde, ist die neue Diskussionskultur. Früher wurde alles über die Köpfe der Aktivschwinger hinweg entschieden. Das ist heute nicht mehr der Fall. Es gibt inzwischen einen Schwingerrat, der beim Eidgenössischen Verband Verbesserungsvorschläge anbringen kann.
Dändliker: Mir gefällt das gesunde Mittelmass, das wir im Moment haben. In gewissen Bereichen brauchte es die Modernisierung, etwa im Sponsoring. Schwingen entwickelt sich immer mehr Richtung Spitzensport. Das geht nicht ohne eine gewisse finanzielle Unterstützung der Athleten. Gleichzeitig hat sich das Schwingen seinen traditionellen und familiären Charakter bewahrt.
Wie steht es denn um den fensterlosen und muffigen Schwingkeller von früher, vermissen Sie ihn manchmal?
Dändliker: Vermissen nein. Aber es wäre sicher lustig, noch einmal in unserem alten Schwingkeller zusammen zu greifen, so wie früher. Wir waren 10 Jahre alt, als wir uns zum ersten Mal am Grind genommen haben. Unser Schwingkeller befand sich damals in Männedorf im Schulhaus Platte in einem Luftschutzkeller. Tageslicht hatten wir da keins.
Wey: Dafür den weltbesten Wasserhahn.
Dändliker: Ja, der war richtig gut.
Der Wasserhahn? Warum?
Wey: Keine Ahnung. Das Wasser aus diesem Hahn schmeckte einfach ausgezeichnet. Eiskalt und frisch. Darum haben wir ihn abgeschraubt und mitgenommen, als unser Club 2016 nach Feldbach in ein Provisorium umgezogen ist.
Dändliker: Aber das Wasser dort war trotzdem nicht mehr dasselbe.
Sie sind beide im Dorf aufgewachsen und als Schwinger eng verbunden mit der ländlichen Schweiz. Zugleich ist Zürich nicht weit. Was haben Sie für einen Bezug zur Stadt?
Wey: Darf ich zuerst? (Schaut schmunzelnd zu Dändliker, dieser nickt.) Shane und ich funktionieren in diesem Punkt recht unterschiedlich. Mir gefällt Zürich, hierhin ging ich schon als Jugendlicher gern in den Ausgang. Die Stadt ist für mich ein Erlebnis. Leben aber tue ich lieber auf dem Land. Ich schätze die Ruhe hier, die Menschen und den vielen Platz.
Und für Sie, Shane Dändliker, ist die Stadt gefühlt weit weg?
Dändliker: Definitiv. Da muss es schon fast schwarz schneien, dass ich in die Stadt gehe. Es passt mir hier oben, auf dem Rücken des Pfannenstiels.
Wie im Skirennsport sind auch im ländlich geprägten Schwingen Zürcher in der Minderheit. Der Adliswiler Abfahrer Peter Müller hat einst gemeint, auf eine «Züri-Schnurre» wie ihn habe niemand gewartet. Wie ist das in der Schwingerszene?
(Beide lachen.)
Wey: Genau gleich! Als wir zwei zu den Aktiven kamen, hiess es überall: «Ach, die Zürcher!» Auf den Kraftausdruck, der nicht selten dazugehörte, verzichte ich jetzt. Doch unsere Generation konnte etwas verändern. Zu Beginn unserer Aktivkarrieren hatten unsere Zürcher Kollegen mit den Schwingern aus anderen Kantonen kaum Kontakt. Wir aber setzten uns einfach zu den St. Gallern und Appenzellern dazu und begannen mit ihnen zu «schnurre». Inzwischen sind wir in der Nordostschweiz ein richtiges Team. Alle ziehen am gleichen Strick, und an Bergfesten oder eidgenössischen Anlässen rocken wir das Ding gemeinsam. Der «Kantönligeist» spielt im NOS-Verband nicht mehr wie früher.
Dändliker: Natürlich kommen ab und zu noch Sprüche. Aber das gehört dazu. Wir machen dafür auch mal einen Witz auf Kosten der Appenzeller.
Sie sind Zürcher, Schwinger und Clubkollegen. Was verbindet Sie darüber hinaus?
Wey: Sicher der Jahrgang 1995 und unser beruflicher Werdegang. Wir haben beide im Betrieb der Firma Bertschinger in Bubikon unsere Lehre zum Zimmermann gemacht.
Dändliker: Hinzu kommt eine sehr gute Freundschaft. Wir sind keine Konkurrenten, sondern Verbündete.
Wie gut kennen Sie sich denn neben dem Schwingplatz?
Dändliker: Machen wir jetzt ein «Ich oder Du»?
Wey: Ja, das wäre doch was.
Dann geht die erste Ad-hoc-Frage an Shane Dändliker. Gibt es etwas, was Nicola Wey zur Weissglut treibt?
Dändliker: Er ist grundsätzlich ein zufriedener, ruhiger und feiner Mensch. Aber nach einem schlechten Gang sollte man ihn nicht sofort darauf ansprechen. Und GC sollte im Fussball nicht verlieren.
Sie nicken, Nicola Wey. Wie ist es denn bei Shane Dändliker. Was bringt ihn in Rage?
Wey: Wenn der Gegner nicht mitschwingt und ihm einen Gestellten abringen will. Shane ist ein aktiver Schwinger. Passivität macht ihn «verruckt».
Was hat Shane Dändliker immer im Kühlschrank?
Wey: Rindfleisch.
Dändliker: Stimmt.
Und mit was würde Nicola Wey Sie bekochen, Shane Dändliker?
Dändliker: Mit einem Stück Fleisch. Wir sind zwei Fleisch-Fans.
Wey: Richtig. Doch viel wahrscheinlicher wäre, dass wir ins Restaurant gehen und uns ein Cordon bleu bestellen würden.
Dändliker: Auf unserem Menüplan steht fein, gut und viel.
Bringen Sie denn auch ähnlich viele Kilos auf die Waage?
Dändliker: Nicht mehr. Ich war mit meiner Grösse von 1.92 Meter stets etwas zu leicht und musste zulegen. Ziel war es, an Masse zu gewinnen, ohne Schnellkraft einzubüssen. Inzwischen bin ich mit meinem idealen Schwingergewicht von 122 Kilo fast 20 Kilo schwerer als Nicola.
Wey: Ich bin gewichtsmässig den umgekehrten Weg gegangen. Früher wog ich fast 140 Kilo, bei einer Grösse von 1.82 Meter. Im Ring machte ich es mit der Masse, war eher träge. 2017 reduzierte ich mein Gewicht um gut 30 Kilogramm. In der ersten Saison hatte ich damit im Ring keinen Stich, die Gegner haben mich einfach gelupft. Dann passte ich meinen Schwingstil an. Heute bin ich vielleicht nicht mehr eine so imposante Erscheinung, dafür explosiver und schneller.
Es heisst, Sie würden deswegen manchmal unterschätzt.
Dändliker: Also mir passiert das in jedem Mittwochstraining.
Wey: Das stimmt natürlich nicht. Dafür kennen wir uns zu gut. Duelle zwischen Clubkollegen sind die langweiligsten überhaupt, darum gibt es sie auch nicht an den Festen. Wir kennen jeden Schritt, jeden Zug des anderen.
Sie, Shane Dändliker, gelten als technisch versierter Schwinger, der sich in seiner Karriere kontinuierlich gesteigert hat. Wo liegt Ihr Maximum?
Wey: Jetzt nicht untertreiben, Shane! Nächstes Jahr ist das Eidgenössische in Mollis.
Dändliker: Ja, dort will ich meinen ersten eidgenössischen Kranz holen. Das ist nicht nur ein Traum, sondern mein grosses Karriereziel.
Wey: Das traue ich Shane absolut zu.
Dändliker: Gleichfalls.
Shane Dändliker hat Stand heute 25 Kränze gewonnen, Nicola Wey 19. Wo bewahren Sie das viele Eichenlaub auf?
Wey: In einer Glasvitrine. Hier wird jeder Kranz am Sonntagabend nach einem erfolgreichen Fest mit viel Freude deponiert.
Dändliker: Ich bin vor kurzem umgezogen, von Feldbach nach Wolfhausen. Darum liegen meine Kränze noch in einer Kiste. Aber ich plane, im neuen Zuhause eine Schwingerecke einzurichten.
Welcher Preis bekommt einen Ehrenplatz?
Dändliker: Der Fleischkorb vom Schlussschwinget.
Wey: Der halbe Käse von der Schwägalp. (Beide lachen.) Ich selbst könnte jetzt zehn coole Preise aufzählen, die ich gewonnen habe. Aber am symbolisch wertvollsten bleibt für mich mein erster Kranz vom Zürcher Kantonalen 2014 in Wila.
Dändliker: Bei mir bekommt der Kranz vom Sieg am Schaffhauser Kantonalen 2022 einen Ehrenplatz. Daneben die drei Bergkränze von der Schwägalp und der eine von der Rigi.
Was geschieht mit den Lebendpreisen? Shane Dändliker hat am diesjährigen Kantonalen in Horgen ja ein Rind gewonnen.
Dändliker: Wir Schwinger dürfen selbst entscheiden, ob wir das Tier oder das entsprechende Geld wollen. In letzterem Fall geht der Lebendpreis zurück an die Züchter, was ich mit Blick auf das Tierwohl für die beste Lösung halte. Mein Rind blieb also auf seinem angestammten Hof.
Fast hätten Sie in Horgen sogar um Muni Zeppelin schwingen können.
Dändliker: Nach drei Gängen sah es in der Tat sehr gut aus für mich, ich führte die Rangliste an. Doch nach fünf Gängen musste ich den Schlussgang leider vergessen. Im Schwingen geht es halt schnell. Wer am Morgen noch glänzt, kann am Nachmittag bereits wieder untergehen. Doch mit Schlussrang 3 durfte ich am Ende zufrieden sein.
Sie haben diese Saison bislang je drei Kränze geholt. Zuletzt klassierte sich Shane Dändliker am Bündner Kantonalen im starken vierten Schlussrang. Die Formkurve Richtung NOS scheint zu stimmen.
Dändliker: Ich würde sagen, die Verfassung ist gut, aber noch nicht top. Es braucht noch eine gute Trainingswoche.
Wey: Der Saisonstart ist uns sicher geglückt. Jetzt müssen wir es am NOS in Meilen aber auch auf den Platz bringen.
Das Nordostschweizer Schwingfest findet am nächsten Sonntag sozusagen vor Ihrer Haustür statt. Dürfen Sie da auf einen Heimvorteil hoffen?
Wey: Nein. Am NOS ist der Heimvorteil gleich null. An einem Kantonalen oder kleineren Schwinget bekommst du als Einheimischer mit etwas Glück etwas einfachere Gegner zugeteilt. Also wenn du nicht Shane heisst. Er wird nämlich immer hart eingeteilt. Aber am NOS sitzt aus jedem Kanton je ein Vertreter im Einteilungsgericht. Da gibt es keine Möglichkeit, die eigenen Schwinger durch eine günstige Einteilung nach vorne zu bringen.
Welches Ziel haben Sie sich für das NOS gesteckt?
Wey: Den Kranzgewinn.
Dändliker: Das gilt auch für mich. Schön wäre es, wenn ich möglichst lange vorne mitmischen und für gute Stimmung sorgen könnte. Punkto Publikum ist dieses NOS ja definitiv ein Heimspiel für uns.
Zum Schluss Ihre Expertentipps: Wer gewinnt das NOS?
Dändliker: Der Giger Sämi.
Wey: Für diesen Tipp musst du kein Experte sein.
Dändliker: Die Beteiligung ist aber auch sonst stark, mit den Berner Gästen Staudenmann und Aeschbacher sowie den Innerschweizern Schurtenberger und Müllestein. Das sind alles Eidgenossen.
Wey: Trotzdem bleibt Giger der Topfavorit. Da spielt es keine Rolle, ob er gerade von einer Verletzung zurückkommt.
Dändliker: Er ist eine Maschine.
Gerade läuft die Fussball-EM, und fast alle Nationalteams tragen Trikots mit neuem Design. Haben Sie sich für den Auftritt am NOS ebenfalls ein neues Hemd organisiert?
Wey: Nein. Ich trage wie immer mein rotes Edelweisshemd. Bis vor kurzem hatte ich ein geknöpftes. Aber weil die Knöpfe immer wieder abrissen, wenn ein Gegner zu fest am Hemd zog, habe ich nun eines mit Reissverschluss. Das passt tipptopp.
Dändliker: Ich verzichte ebenfalls auf Gala-Garderobe. Ich habe seit zwei Jahren das gleiche Hemd, und das hält überraschenderweise immer noch.
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