Wintersession im TickerSchlussabstimmungen: Das Parlament verabschiedet 18 Vorlagen
In Bern fand die Wintersession der eidgenössischen Räte statt. Wir berichteten laufend.
Parlament will Schritte gegen Engpässe bei Medizinprodukten
In der Schweiz sollen nach dem Willen des Parlaments künftig auch Medizinprodukte auf dem Schweizer Markt vertrieben werden können, die ausserhalb der EU zugelassen sind. Damit soll die Versorgung der Schweiz mit qualitativ hochwertigen und innovativen Medizinprodukten gesichert werden.
Der Nationalrat nahm am Montag nach dem Ständerat eine entsprechende Motion des Luzerner FDP-Ständerats Damian Müller mit 100 zu 79 Stimmen an. Die Schweiz akzeptiere bis heute ausschliesslich Medizinprodukte gemäss dem Zulassungssystem der Europäischen Union (namentlich CE- oder MD-gekennzeichnete Produkte) für die nationale Versorgung, schreibt Müller in seinem Vorstoss. Entsprechend begründet er seine Motion insbesondere mit möglichen Versorgungslücken. Diese drohten wegen Problemen im Zusammenhang mit Verordnungen der EU.
Eine Minderheit lehnte die Motion ab. Es gebe grosse Unterscheide bei den Sicherheitsanforderungen zwischen Europa und den USA, sagte Manuela Weichelt (Grüne/ZG) im Namen der Minderheit. «Wollen Sie eine fehlerhafte Hüftprothese in ihrem Körper?" Die Schweiz könne kein Interesse daran haben, ein Produkt zu verkaufen, dass in Europa nicht zugelassen sei.
Auch der Bundesrat war gegen die Motion. Schon heute seien Ausnahmebewilligungen möglich. Grundsätzlich sei die Konformität mit EU-Regeln sinnvoll – unter anderem, da sie Schweizer Medizinprodukte-Herstellern den Zugang zum EU-Binnenmarkt erleichtere. Die Regierung muss sich nun gegen ihren Willen an die Arbeit machen.
Ärztinnen und Ärzte sollen Rezepte digital ausstellen müssen
Ärztinnen und Ärzte sollen künftig Rezepte für Heilmittel digital ausstellen und übermitteln müssen.. Das will das Parlament. Der Nationalrat hat am Montag eine Motion von Ständerat Damian Müller (FDP/LU) an den Bundesrat überwiesen.
Müller hatte argumentiert, die Digitalisierung von Rezepten erhöhe deren Lesbarkeit. Zudem steige die Patientensicherheit, wenn es bei der Weitergabe von Rezepten zu keinen «Medienbrüchen» komme, also das Rezept nicht beispielsweise vom Papier auf den Computer übertragen werden müsse.
Die Selbstbestimmung der Patientinnen und Patienten sowie die freie Wahl der Apotheke seien weiterhin zu gewährleisten. Personen mit weniger grossen digitalen Kompetenzen müssten eine Kopie des digitalen Rezepts in Papierform verlangen können.
Der Bundesrat wandte sich gegen die Motion. Bundesrat Alain Berset sagte, die rechtlichen Grundlagen für die elektronische Ausstellung und Weitergabe von Medikamenten seien schon vorhanden. Mit 128 zu 41 Stimmen bei 8 Enthaltungen stimmte aber der Nationalrat für die Motion und folgte damit seiner Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK-N).
Deren Sprecherin Regine Sauter (FDP/ZH) sagte im Rat, die Digitalisierung im Gesundheitswesen sei dringend voranzutreiben. Es brauche eine Verpflichtung der Ärzteschaft, um bei der elektronischen Verschreibung von Medikamenten die Digitalisierung zu fördern. Der Ständerat hatte der Motion schon im Mai zugestimmt.
Räte heissen Offensive für Ausbildung der Pflege gut
Die Pflege-Ausbildungsoffensive, die den Schweizer Spitälern und Heimen zum benötigten Pflegepersonal verhelfen soll, kann starten. Das Parlament hat die nötigen Gelder dafür freigegeben und die Gesetzesgrundlagen bewilligt.
Die Förderung der Aus- und Weiterbildung in der Pflege kostet den Bund bis zu 502 Millionen Franken. Nach dem Ständerat hat am Montag auch der Nationalrat zugestimmt. Die Vorlage ist bereit für die Schlussabstimmung.
Die Offensive soll acht Jahre lang laufen und von Bund und Kantonen bis zu einer Milliarde Franken erhalten. Sie war ein Teil des indirekten Gegenvorschlages zur 2021 angenommenen Pflege-Initiative. Es gelte, keine Zeit zu verlieren mit Abhilfen gegen den Personalnotstand in der Pflege, lautete der Tenor.
Weiterhin Gefängnis für Raser
Raser sollen grundsätzlich weiterhin mindestens ein Jahr lang ins Gefängnis müssen. Nach dem Nationalrat ist am Montag auch der Ständerat zurückgerudert, um dem drohenden Referendum den Wind aus den Segeln zu nehmen. Ausnahmen sollen jedoch möglich sein.
So soll die Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsentzug unterschritten werden können, wenn ein Automobilist «aus achtenswerten Beweggründen» gehandelt hat oder wenn er oder sie noch unbescholten ist. Entsprechend soll auch bei Raserdelikten die grundsätzliche Mindestentzugsdauer des Führerausweises von zwei Jahren um bis zu einem Jahr auf zwölf Monate gesenkt werden können.
Die kleine Kammer hat den entsprechenden Anpassungen bei der Revision des Strassenverkehrsgesetzes mit 29 zu 14 Stimmen bei einer Enthaltung zugestimmt und einen erneuten Rückkommensantrag von Beat Rieder (Mitte/VS) abgelehnt. Der Ständerat folgte damit den Kompromissanträgen seiner vorberatenden Kommission, die sich von den neuen Formulierungen mehr Klarheit in Bezug auf die Auslegung des Raserartikels erhofft.
In der Herbstsession hatte bereits der Nationalrat die geplanten Lockerungen bei den Strafen für Raser wieder rückgängig gemacht. Nur wenn das Tempo aus «achtenswerten Gründen» überschritten wird, oder die Person noch keinen Eintrag im Strafregister wegen Verletzung von Verkehrsregeln hat, sollen Richterinnen und Richter statt der Gefängnisstrafe eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe unter einem Jahr aussprechen können.
Es dürfte keine Volksabstimmung geben
Mit dem vom Ständerat gutgeheissenen Kompromissantrag seiner Kommission ist die Referendumsdrohung der Stiftung Roadcross wohl vom Tisch. Diese hat zugesichert, dass sie das Referendum gegen die Gesetzesrevision nicht ergreifen wird, falls der Kompromiss zustande kommt, wie Verkehrsministerin Simonetta Sommaruga im Ständerat sagte.
Die Vorlage geht nun noch einmal zurück in den Nationalrat, weil der Ständerat die entsprechenden Artikel im Gesetz nach Anhörung der Schweizerischen Staatsanwälte-Konferenz (SSK) noch umformuliert hat, um mehr Klarheit bei deren Auslegung zu schaffen. Die Chancen auf eine Annahme des Kompromisses stehen auch in der grossen Kammer gut, da sonst auch alle anderen Ziele der Revision dahinfallen würden.
Historische Premieren im Ständerat
Der Montag hat im Ständerat mehrere historische Premieren gebracht. Nicht nur ist Präsidentin Brigitte Häberli (Mitte/TG) die erste Thurgauerin und erst die fünfte Frau, die den Vorsitz übernimmt. Erstmals besteht das Ratspräsidium ausschliesslich aus Frauen.Zur ersten Vizepräsidentin wählte der Ständerat Elisabeth Baume-Schneider (SP/JU). Sie erhielt 45 von 45 gültigen Stimmen.
Ob Baume-Schneider das Amt längerfristig ausüben wird, ist allerdings noch offen: Die SP-Fraktion hat sie zusammen mit ihrer Baselstädter Ratskollegin Eva Herzog als Kandidatin für die Nachfolge von Bundesrätin Simonetta Sommaruga nominiert.
Premiere für die Grünen
Zweite Vizepräsidentin wurde Lisa Mazzone (Grüne/GE) mit 45 von 45 gültigen Stimmen. Mit Mazzone nimmt erstmals eine Grünen-Politikerin im Ratspräsidium Einsitz – eine späte Folge der «grünen Welle» bei den Wahlen 2019.
Damit könnte die Liste der Ständeratspräsidentinnen schon bald länger werden. Vorausgesetzt, Baume-Schneider wird am 7. Dezember nicht zur Bundesrätin gewählt und verteidigt 2023 ihren Ständeratssitz, dürfe sie in einem Jahr Nachfolgerin Häberlis werden. Schafft auch Mazzone im Herbst 2023 den Wiedereinzug in die kleine Kammer, wird sie im Jahr darauf als dritte Frau in Folge und als erste Grüne überhaupt das «Stöckli» präsidieren.
Andrea Caroni (FDP/AR) ist neu Stimmenzähler. Zum Ersatzstimmenzähler bestimmte der Rat Stefan Engler (Mitte/GR). Alle Gewählten rutschten eine Stufe höher in Richtung künftiges Ratspräsidium. Als weiteres Büromitglied wählten die Mitglieder des Ständerats ausserdem Werner Salzmann (SVP/BE) wieder.
Thurgauerin Häberli präsidiert die Kleine Kammer
Brigitte Häberli-Koller ist neue Ständeratspräsidentin. Die kleine Kammer wählte die Thurgauer Mitte-Politikerin am Montag mit 45 von 45 gültigen Stimmen. Sie folgt auf den Glarner FDP-Mann Thomas Hefti.
Häberli stellte nach ihrer Wahl das Vertrauen in die Demokratie ins Zentrum ihrer ersten Rede im neuen Amt. Kritik übte sie an der Rhetorik der Corona-Massnahmengegner und an radikalen Klimaprotesten.
«Respekt, Offenheit und Ehrlichkeit sind die Voraussetzungen für unseren Erfolg», sagte Häberli am Montag vor der kleinen Kammer. Nur so liessen sich die Herausforderungen der Gegenwart bewältigen. Als Beispiele nannte die Thurgauer Ständerätin die Energiekrise, die Klimakrise und die Debatte um die Neutralität angesichts des Ukraine-Krieges.
«Der Wandel bestimmt nicht seit gestern unser Handeln», räumte sie ein. Doch heute lebten die Menschen in der Schweiz stärker als früher in Widersprüchen. Dies erzeuge Unsicherheit. Diese wachse in gewissen Milieus bis hin zu Verschwörungstheorien.
Häberli warnte in diesem Zusammenhang vor einer Spaltung der Gesellschaft: «Wir müssen Sorge tragen, dass unsere zivilen Rechte nicht durch neue, schrill vorgetragene Forderungen einer Minderheit ausgehebelt werden.
Bündner Mitte-Politiker Candinas neuer Präsident des Nationalrats
Der Graubündner Mitte-Politiker Martin Candinas ist neuer Nationalratspräsident und damit für ein Jahr höchster Schweizer. Der Nationalrat wählte ihn am Montag mit 181 von 188 gültigen Stimmen.
Candinas› Vorgängerin Irène Kälin (Grüne/AG) war vor einem Jahr mit 151 von 166 gültigen Stimmen gewählt worden. In seinen elf Jahren im Nationalrat setzte sich der 42-jährige Candinas vor allem für Berggebiete und auch für die Sprachenvielfalt ein. Rätoromanisch wird dank ihm im Parlament oft zu hören sein.
Denn als einer von bloss drei Rätoromanisch sprechenden Politikern in Bern eröffnet Candinas seine Reden und Sitzungen oft mit einem Satz in der vierten Landessprache, seiner Muttersprache. Dies tat er als Vizepräsident des Nationalrates und das möchte er auch in seinem Präsidialjahr tun, wie er selbst einmal sagte.
Berner Marc Jost (EVP) legt im Nationalrat den Eid ab
Der Berner EVP-Politiker Marc Jost ist neuer Nationalrat. Er hat am Montag in der grossen Kammer seinen Amtseid abgelegt. Der 48-Jährige ist Nachfolger der zurückgetretenen Marianne Streiff.
Die Dreierdelegation der EVP ist Teil der Mitte-Fraktion des Bundesparlaments. Jost hatte bei den Eidgenössischen Wahlen 2019 im Kanton Bern Platz zwei hinter Streiff auf der EVP-Liste erreicht und kann nun knapp ein Jahr vor den nächsten Wahlen nachrutschen.
Marc Jost ist einer von zwei Generalsekretären der Schweizerischen Evangelischen Allianz. Er präsidierte in den Jahren 2015/16 das Berner Kantonsparlament und wohnt in Thun. Seit zwei Jahren ist er nicht mehr Mitglied des Berner Kantonsparlaments.
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Die Wintersession - ein Überblick
Am Montagnachmittag beginnt die Wintersession der eidgenössischen Räte. Im Schatten der Bundesratswahlen am 7. Dezember debattiert das Parlament über das Budget 2023, die Initiative für eine 13. AHV-Rente, die künftige berufliche Vorsorge und die Prämienverbilligung.
In der Mitte der dreiwöchigen Session, am 7. Dezember, entscheidet das Parlament über die Nachfolge von Bundesrat Ueli Maurer (SVP) und Bundesrätin Simonetta Sommaruga (SP).
Die SVP hat Nationalrat Albert Rösti (BE) und den Zürcher alt Nationalrat Hans-Ueli Vogt nominiert. Die SP schlägt dem Parlament die Ständerätinnen Eva Herzog (BS) und Elisabeth Baume-Schneider (JU) zur Wahl vor. Am selben Tag werden voraussichtlich Alain Berset zum Bundespräsidenten und Viola Amherd zur Vizepräsidentin des Bundesrates gewählt.
Budget im Schatten der Wahlen
Schon ersten Sessionstag neu bestimmt werden die Ratspräsidien: Neuer Präsident des Nationalrats soll Martin Candinas (Mitte/GR) werden und neue Ständeratspräsidentin Brigitte Häberli-Koller (Mitte/TG).
Im Schatten dieser Wahlen stehen gewichtige Geschäfte: Wie immer im Dezember haben die Räte über das Budget für das nächste Jahr zu entscheiden. Der Nationalrat, der zuerst am Zug ist, hat dafür an drei Tagen in der ersten Woche Zeit reserviert. Das Bundesbudget für 2023 ist – noch – ausgeglichen und konform mit der Schuldenbremse.
Verschobene BVG-Reform im Ständerat
Auf den Ständerat wartet die im Juni verschobene Reform der beruflichen Vorsorge (BVG). Die Senkung des Umwandlungssatzes zur Berechnung der Renten der zweiten Säule will die vorberatende Kommission für 15 Jahrgänge grosszügiger ausgleichen als der Nationalrat. Rund die Hälfte der Rentnerinnen und Rentner sollen nach Alter und Vorsorgeguthaben abgestufte Zuschläge erhalten.
Der Nationalrat beschloss Zuschläge nur für 35 bis 40 Prozent der Rentner von 15 Jahrgängen. Der von den Sozialpartnern vorgeschlagene und dem Bundesrat gestützte Kompromiss hatte Zuschläge für alle Neurentner vorgesehen. Die Gewerkschaften haben bereits mit dem Referendum gedroht, sollte dieser Kompromiss im Parlament scheitern.
Auch mit der Verbilligung der Krankenkassenprämien befasst sich der Ständerat – Anlass dafür sind die Prämienentlastungs-Initiative der SP und der indirekte Gegenvorschlag dazu. Den vom Nationalrat beschlossenen deutlichen Ausbau der Prämienverbilligung lehnt die zuständige Kommission des Ständerates allerdings ab.
Debatte zum Sexualstrafrecht
In der zweiten Sessionswoche befasst sich der Nationalrat mit der Revision des Sexualstrafrechts. Seine vorberatende Kommission will den Grundsatz «Nur Ja heisst Ja» im Gesetz verankern, also eine Zustimmungslösung.
Wer ohne Einwilligung der betroffenen Person eine sexuelle Handlung an dieser Person vornimmt, begeht eine Straftat. Der Ständerat dagegen hat für «Nein heisst Nein» gestimmt. Eine sexuelle Handlung ist demnach strafbar, wenn sie gegen den Willen der betroffenen Person stattgefunden hat.
Der Nationalrat befasst sich zudem einmal mehr mit Wölfen und dem Abschuss der geschützten Grossraubtiere, deren Zahl in der Schweiz rasch steigt. Sie zu töten, um präventiv Risse von Nutztieren und die Gefährdung von Menschen zu vermeiden, befürwortet allerdings nur eine knappe Mehrheit der vorberatenden Kommission.
13. AHV-Rente im Nationalrat
In der dritten Woche beugt sich die grosse Kammer dann über die AHV-Initiative des Gewerkschaftsbundes (SGB), die eine 13. AHV-Rente verlangt. In der Kommission war das Anliegen chancenlos. Die Kommission will für die Unterstützung von bedürftigen Rentnerinnen und Rentnern weiterhin auf Ergänzungsleistungen setzen.
Traditionsgemäss wird in der Wintersession auch gefeiert: Am Mittwoch der ersten Woche sind die Feiern für Nationalratspräsident Candinas und Ständeratspräsidentin Häberli-Koller geplant. Und am 15. Dezember sind die zwei neuen Bundesratsmitglieder und Bundespräsident Berset mit dem Feiern an der Reihe.
SDA/red
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