Protestwelle in SerbienEin «Meister der Irrelevanz» geht, die Wut der Menschen bleibt
Staatschef Aleksandar Vucic opfert seinen Premierminister. Doch die Proteste werden anhalten. Serbien steuert auf unruhige Zeiten zu.
- Premierminister Milos Vucevic trat nach dreimonatigen Protesten in Serbien zurück.
- Die Studierenden fordern Veränderungen nach einem Unglück mit 15 Toten.
- Vucics Regime bleibt umstritten, trotz prominenter internationaler Unterstützung.
Die dreimonatigen Proteste in Serbien haben am Dienstag zum Rücktritt des Premierministers Milos Vucevic geführt. Auch der Bürgermeister von Novi Sad, der zweitgrössten Stadt des Balkanlands, legte sein Amt nieder. Dies war eine der Forderungen der Studierenden, nachdem am 1. November in Novi Sad ein Teil des Bahnhofsvordachs eingestürzt war und 15 Menschen das Leben gekostet hatte. Diese Tragödie, so die Studierenden, sei eine Folge von Korruption und Misswirtschaft gewesen.
Zunächst behauptete die Regierung, dass eine chinesische Firma das Dach nicht renoviert habe, die anderen Teile des Bahnhofs jedoch schon. Die Behauptung war eine Lüge und trieb Tausende Menschen auf die Strasse.
Staatschef Aleksandar Vucic, der Serbien seit 2012 in verschiedenen Funktionen regiert, verkörpert das marode politische System. Die Proteste haben Serbien verändert, aber werden sie auch die Herrschaft Vucics bedrohen? Die Opposition ist gespalten, einen überzeugenden Plan, wie sie das Land regieren wird, hat sie nicht.
Vucic kontrolliert zwar alle wichtigen Institutionen des Landes und die meisten Medien, er hat ein Klientelsystem aufgebaut, ihm nahestehende Hooligans verprügeln politische Gegner. Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere: Vucic ist nach wie vor populär, vor allem auf dem Land. Wirtschaftlich hat er Serbien tatsächlich vorangebracht, noch nie in der jüngeren Geschichte haben so viele westliche Unternehmen in dem Balkanland investiert.
Die Protestbewegung wird von Studierenden dominiert. Es ist noch unklar, welche Pläne sie für die Zukunft haben, ob sie diese Energie in eine politische Alternative umwandeln können und wollen. Vucic wurde oft mit zum Teil heftigen Protesten konfrontiert. Doch stets hat er es geschafft, sich und seine Macht zu retten.
Den Rücktritt des Premierministers hatte Vucic bereits angekündigt. Das Belgrader Magazin «Radar» bezeichnete Milos Vucevic treffend als «Meister der Irrelevanz». Als Alleinherrscher setzt und verschiebt der gewiefte Stratege Vucic die Funktionäre seiner Partei wie Schachfiguren. Gleichzeitig zeigte er sich bereit, Studenten und andere Demonstranten, die von der serbischen Justiz verfolgt werden, zu begnadigen. Wird das die Gemüter beruhigen? Kaum. Die Rücktritte kommen zu spät, und die Wut wird bestehen bleiben.
Derzeit geht die Gewalt ausschliesslich vom Vucic-Regime aus.
Bemerkenswert ist, dass das Regime in den vergangenen Tagen Unterstützung aus Brüssel, Moskau und Washington erhalten hat. Gert Jan Koopman, ein hochrangiger EU-Beamter, der für die Erweiterungspolitik zuständig ist, lobte die «stetigen Fortschritte» Serbiens und soll laut lokalen Medien die Opposition vor einer gewaltsamen Machtübernahme gewarnt haben, die die EU weder akzeptieren noch unterstützen werde. Derzeit geht die Gewalt ausschliesslich vom Vucic-Regime aus. Am Montag wurden in Novi Sad mehrere Studierende von Männern mit Schlagstöcken brutal zusammengeschlagen.
Eine Sprecherin des russischen Aussenministeriums beschuldigte den Westen, hinter der Protestwelle in Serbien zu stehen. Die Beziehungen zwischen Belgrad und Moskau seien den westlichen Mächten ein Dorn im Auge. Schliesslich meldete sich Richard Grenell zu Wort, der unter Donald Trump für Sondermissionen in Krisengebieten zuständig ist. Der impulsive und undiplomatische Diplomat appellierte an die Protestierenden in Serbien, keine Gewalt anzuwenden. Die Schuldumkehr empörte viele Kritiker Vucics in Belgrad. Grenell soll die Investitionspläne der Trump-Familie auf dem Balkan eingefädelt haben.
Ob Vucic Schritt für Schritt seine Macht verliert, wie einige regierungskritische Medien in Serbien bereits jubeln, bleibt abzuwarten. Am Dienstag gab es keine Anzeichen dafür, dass die Proteste bald aufhören könnten. Nach der Blockade des wichtigsten Verkehrsknotenpunkts in Belgrad wurde eine neue Protestkundgebung in Novi Sad angekündigt. Gleichzeitig brachten sich einige regierungskritische Bauern mit ihren Traktoren in Stellung, um eine wichtige Strasse zu blockieren, die die Hauptstadt mit dem Süden verbindet. Das Kräftemessen in Serbien geht weiter.
Fehler gefunden?Jetzt melden.